Die Stuttgarter Zeitung diskutierte mit Politikern, Unternehmern und Beratern über die Energiezukunft. Mit dabei waren unter Bosch-Chef Volkmar Denner, EU-Kommissar Günther Oettinger und StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Stuttgart - Zwei Welten prallen aufeinander: Bosch und Google, zwei Konzerne, die in der Vergangenheit kaum Berührungspunkte hatten, dürften künftig mehr miteinander zu tun haben. Der rasante Fortschritt in der IT- und Softwarebranche führt dazu, dass klassische Industriebetriebe wie Bosch ihre Produktionsprozesse digitalisieren, gleichzeitig wollen Internetkonzerne wie Google etwa mit einem selbstfahrenden Auto in ureigene Industriebereiche vordringen. Wer wird sich durchsetzen? „Künftig geht es nicht mehr nur um Ingenieurwissen, sondern auch darum, wer über welche Daten verfügt“, sagte StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs bei der Podiumsdiskussion „Industrie 4.0 – Die digitale Revolution“, die die Stuttgarter Zeitung gemeinsam mit der Unternehmensberatung Roland Berger veranstaltete.

 

Schon allein wegen der herausragenden Bedeutung der Industrie für Baden-Württemberg „kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Zukunft der deutschen Industrie in Baden-Württemberg entschieden wird“, so Dorfs vor rund 600 Gästen in der Alten Reithalle in Stuttgart. Doch viele Unternehmen unterschätzten die Bedeutung der Entwicklung noch vielfach, sagte Thomas Rinn, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger. Er sprach gar von „beängstigenden Ergebnissen“, die eine gemeinsame Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und weiterer Auftraggeber ergeben habe. Demnach sagen zwei Drittel der Befragten über sich selbst, dass sie nur eine „geringe bis mittlere digitale Reife“ besitzen. Vor allem große Unternehmen würden sich intensiv mit dem Thema beschäftigen. „Doch was macht dann der schwäbische Mittelstand“, dem häufig Personal und Kompetenz fehlten?

„Künftig sollte auch eine Programmiersprache zur Grundbildung gehören“

Bosch-Chef Volkmar Denner ist Vorreiter beim Thema Industrie 4.0. Er empfiehlt den Unternehmen, nicht nur technologisch, sondern an Lösungen für ihre Kunden zu denken. Es komme auf die intelligente Kombination von Dingen und Dienstleistungen an, sagte Denner. Entwickler seien heute stolz auf ihre hochgenaue Einspritzpumpe; die dahinterliegenden Geschäftsmodelle hätten dagegen nicht den Stellenwert, der ihnen gebühre. Dies müsste Eingang in die Ausbildung finden. Denner verglich es mit dem Mathematikunterricht in Schulen; er gehöre zur Grundbildung, die wenigsten würden Mathematik zu ihren Beruf machen. „Künftig sollte auch eine Programmiersprache zur Grundbildung gehören“, fordert der Bosch-Chef.

Ähnlich sieht es Philipp Justus, Deutschlandchef von Google: „In einer Welt, die permanent miteinander vernetzt ist, liegt die größte Herausforderung darin, schnell zu sein. Konstante Innovation ist dabei alternativlos.“ Google werde aber kein Hersteller von industriellen Produkten werden, versichert Justus. Das Unternehmen frage jedoch, was Menschen brauchen, und tüftle an Innovationen. Als Beispiel nannte er Kontaktlinsen für Diabetiker, mit denen die Zuckerwerte aus der Tränenflüssigkeit ermittelt werden können. „Wir haben aber nicht vor, Kontaktlinsen selbst herzustellen.“ Ähnlich sehe es beim Google-Auto aus, von „dem ich Ihnen nicht sagen kann, wann es kommt“. Google bietet sich dabei auch als Partner an. So habe das Unternehmen im Internet eine Plattform für Mittelständler entwickelt, um diesen den weltweiten Vertrieb ihrer Produkte zu erleichtern. Die Plattform bietet Informationen etwa zu Steuerrecht, Zahlungsverkehr und Marketing. 300 000 Unternehmen hätten diesen „Exportplan“ bereits genutzt.

Oettinger spricht sich für Netzneutralität aus

Justus forderte aber europaweit einheitliche Richtlinien für die Digitalwirtschaft, für die sich auch EU-Kommissar Günther Oettinger starkmachte. Wenn ein Start-up den europäischen Markt ins Visier nehme, müsse es sehr unterschiedliche nationale Vorschriften beachten. „Dann brauchen Sie 28 Rechtsanwälte, einen für jedes Land“, sagte Digitalkommissar Oettinger, der frühere baden-württembergische Ministerpräsident.

Er sprach sich grundsätzlich für die Netzneutralität aus, also für die gleichberechtigte Nutzung des Internets für alle. Ausnahmen müsse es aber für Spezialdienste geben. Damit reagierte er auf ein Beispiel von Denner. Der hatte eine Stausituation beschrieben, in der alle Autofahrer zum Handy greifen und damit das Netz überlasten, so dass dieses die Stauwarnungen moderner Fahrzeuge nicht mehr überträgt. Dafür müsse aber schnelles Internet erst mal flächendeckend verfügbar sein. Deutschland liege bei der Übertragungsgeschwindigkeit weltweit auf Platz 26. „Wir sind ein digitales Entwicklungsland“, urteilt Denner.