Bei den Suchttherapietagen in Tübingen haben sich Forscher mit den Entwicklungen des Drogenkonsums weltweit beschäftigt. Crystal Meth hat zwar Heroin und Kokain bei den illegalen Drogen abgehängt. Die größte Bedeutung für die Gesellschaft hat aber immer noch die alltägliche Droge Alkohol.

Tübingen - Es gibt zwar immer mehr Menschen, die sich mit der Droge Crystal Meth aufputschen. Das Hauptdrogenproblem in Deutschland ist allerdings immer noch der Alkohol“, sagte Roland Härtel-Petri bei den diesjährigen Tübinger Suchttherapietagen, einer Konferenz, zu der sich seit 20 Jahren Suchtexperten an der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie treffen.

 

Unter den illegalen Drogen nimmt Crystal Meth allerdings inzwischen eine führende Rolle ein: „Bei Kokain geht man weltweit von 14 Millionen Konsumenten aus, bei Heroin sind es 16 Millionen und bei Crystal Meth sind es 18 Millionen“, erklärte Härtel-Petri, der lange Zeit als Arzt in der Abteilung für Klinische Suchtmedizin des Bezirkskrankenhauses Bayreuth viele Crystal-Abhängige betreut hat. Inzwischen hat er in Bayreuth eine Praxis.

Das Image eines Medikamentes ist fatal

Fatal an dieser Droge sei ihr positives Image. Sie werde assoziiert mit einem modernen, dynamischen Lebensstil. Besonders ärgert es den Experten, wenn in den Medien ein gestresster Politiker erklären darf, dass er Crystal gebraucht hätte, um voll leistungsfähig zu bleiben. Auch das Image eines Medikaments verharmlose die Droge. Crystal Meth ist eine Variante der synthetischen Droge Methamphetamin. In den 50er Jahren hat man es gelangweilten Hausfrauen in den USA in Werbekampagnen als probates Mittel angepriesen, um ihr tristes Dasein zwischen Kindern und Küche etwas bunter zu machen. Die kristalline Form des Methamhetamins – daher der Name Crystal Meth – ist allerdings wesentlich stärker. Dies führt dazu, dass die Droge schon beim ersten Konsum abhängig macht. Sie wird vor allem geschnupft, was die Wirkung noch erhöht, denn so kommt die Substanz wesentlich schneller im Gehirn an, verglichen mit Drogen, die in Form von Tabletten konsumiert werden.

Crystal Meth verleiht dem Konsumenten ein unglaubliches Glücksgefühl: „Völlig banale und stupide Tätigkeiten, wie etwa das stundenlange Sortieren von Schrauben oder das Streichen von Wänden, bringt den Betroffenen eine tiefe Befriedigung“, berichtet Härtel-Petri aus seiner Arbeit mit Abhängigen. Der Konsument fühle sich umwerfend, unbesiegbar und extrem selbstbewusst. Man könne viel Alkohol trinken und bleibe dennoch reaktionsfähig. Aufgrund dieser stark euphorisierenden Wirkung sei der anschließende Absturz allerdings umso krasser. Im Vergleich zum Rausch mache nun gar nichts mehr Spaß. Und der Drang nach neuem Konsum werde umso größer. Hinzu komme, dass die sogenannte Toleranzentwicklung bei Crystal Meth sehr stark sei – man braucht sehr schnell immer mehr von der Droge, damit sie die gleiche Wirkung entfalte.

Crystal Meth wirkt wie alle Methamphetamine auf das empfindliche Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn. So beeinflusst es beispielsweise den Botenstoff Dopamin. Dieser ist für die Belohnung und Motivation des menschlichen Handelns zuständig. Crystal setzt sich auf die Pumpen des Wiederaufnahmesystems in den Nervenzellen, so dass das Dopamin nicht so schnell von den Nervenzellen wieder aufbereitet wird und damit länger wirkt. Dies lässt beim Konsumenten das übersteigerte Gefühl der Zufriedenheit entstehen – er fühlt sich unbesiegbar.

Die Droge macht die Konsumenten gewalttätig

Auch der Transmitter Serotonin, der die Gefühlswelt des Menschen steuert, wird beeinflusst. Emotionen werden verzerrt, Betroffene empfinden keine Empathie mehr, sie werden eiskalt. Sie können sich nicht mehr in andere Menschen hineinversetzen. Dies zeige sich etwa an Müttern, die ihre schreienden Kinder vernachlässigen. Oder bei abhängigen Jugendlichen, die ihre Mütter verprügeln. „Die Crystal-Meth-Szene ist sehr gewalttätig“, berichtete Härtel-Petri. Auch nach einem Entzug seien die Betroffenen wesentlich gewalttätiger als Abhängige anderer Drogen.

Der Grund dafür liege unter anderem in der kompletten Zerstörung der Nervenzellen. „Zunächst dachte man, dieser Zellverlust und die Zerstörung ganzer Hirnregionen sei irreversibel“, sagt er. Mittlerweile jedoch konnte gezeigt werden, dass sich die betroffenen Hirnregionen erholen können – auch wenn dies sehr lange dauere. Dennoch sei das eine positive Botschaft für Abhängige: Es gebe ihnen Hoffnung und Motivation, den Entzug doch zu wagen.