Von Indien ist Gifty Kiruba Paul nach Waiblingen gekommen, um als Freiwillige im Kindergarten zu helfen. Sie hat Deutsch und Schwimmen gelernt – und will künftig so manches anders machen als zuvor.

Waiblingen - Wenn Gifty Kiruba Paul demnächst in Tirunelveli, ihrer Heimatstadt im äußersten Süden von Indien landet, hat sie nicht nur Kleidung im Koffer, sondern auch jede Menge Pläne und Ideen im Gepäck. Sechs Monate ist die 23-Jährige, die zu Hause bereits an einer Highschool als Englischlehrerin tätig war, in Waiblingen zu Gast gewesen. Das Ökumenische Freiwilligen-Programm der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) hat Gifty Kiruba Paul ins Remstal und zur evangelischen Kirchengemeinde Waiblingen gebracht. Dort hat sie als „Süd-Nord-Freiwillige“ sechs Monate im Kindergarten Silcherstraße gearbeitet.

 

„Es war meine erste Reise ins Ausland“, erzählt die 23-Jährige, deren Mutter nicht begeistert war, dass ihre Tochter so weit weg fährt. Der Papa aber hat sie bestärkt und dank der Familie Beerlage, die ein Zimmer für sie bereit stellte, hatte sie Familienanschluss. Den hat sie brauchen können, denn Deutschland entpuppte sich als eine andere Welt, Kulturschock inklusive.

Von wegen grünes Deutschland

Anfang Februar ist die junge Frau am Frankfurter Flughafen gelandet. „Ich habe mich dort sehr alleine gefühlt“, sagt sie im Rückblick und lacht, „so, als ob mich jemand mit verbundenen Augen in einem Wald abgestellt hätte“. Der erste Eindruck: alles Grau in Grau und trostlos. „Ich dachte, wenn ich ankomme, ist es zwar kühl, aber grün.“ Fehlanzeige!

Wenig später hat Gifty Kiruba Paul den ersten richtigen Frühling erlebt – und war rundum glücklich angesichts der vielen Blumen und blühenden Streuobstbäume. Sie hat in den vergangenen Monaten in ihrem Tagebuch notiert, was sie am Leben in Deutschland bemerkenswert findet: Dass sich fremde Menschen grüßen. Dass die Hierarchien flach sind und Wert auf Teamarbeit gelegt wird. Dass Erdbeeren nicht sauer und teuer sind wie in Indien. Dass die Deutschen viel Sport machen – „ohne Alterslimit“. Dass die Menschen sich für kleine Dinge bedanken und loben. Was die These widerlegt, für Schwaben gelte die Devise „nicht gemotzt ist gelobt genug“.

Gleich am ersten Tag habe ihre Gastmutter Andrea Riecker-Beerlage ihr Linsen, Spätzle und Saitenwürstle serviert und gesagt: „Sag mir, ob dir das schmeckt oder nicht“, erzählt Gifty Kiruba Paul, um eine weitere aus ihrer Sicht typische deutsche Eigenschaft zu verdeutlichen: „Die Deutschen sind sehr direkt. In Indien würden wir nie sagen, dass wir etwas nicht mögen.“ Das schwäbische Nationalgericht kam bei ihr gut an: „Ich habe zum ersten Mal Würstchen gegessen, und es hat mir geschmeckt.“

Deutsch geht, aber Schwäbisch ist schwierig

Apropos Schwäbisch: „Deutsch kann ich nun verstehen, aber Schwäbisch ist ganz, ganz schwer“, sagt die junge Inderin, die neben ihrer Muttersprache Tamil die offizielle Sprache Hindi sowie Englisch spricht. Doch selbst Hochdeutsch hat seine Tücken. Der Umlaut „ü“ ist eine Herausforderung für indische Zungen, ganz oben auf der Liste schwer auszusprechender Wörter steht zudem das Wort „Eichhörnchen“ mit seinem Rachenlaut „ch“.

Stolz erzählt Gifty Kiruba Paul, dass sie ab dem vierten Tag alleine zu ihrem Arbeitsplatz gelaufen sei. „Das war eine echte Leistung.“ Zu Hause bringe ihre Mutter sie täglich zur Bushaltestelle, trotz ihrer 23 Jahre. „In Indien werden Kinder wie Augäpfel behütet. Viel Freiraum hat man da nicht.“ In Deutschland aber seien schon die ganz Kleinen sehr unabhängig.

Ein bisschen Bammel hatte sie wegen ihrer geringen Sprachkenntnisse vor dem neuen Job: „Ich war zuerst etwas schüchtern, aber ich habe festgestellt, dass ein Kindergarten der beste Ort ist, um eine Sprache zu lernen.“ Wie der Tag dort abläuft, hat sie zunächst verwundert: „Ich dachte, die Kinder spielen ja nur. In Indien ist Gedächtnistraining wichtig, dort lernt man im Kindergarten Mathe und Englisch. Aber dann habe ich gemerkt, dass hier auf spielerische Weise gelernt wird und dass die Kinder dabei eigenes Denken lernen.“ Diese Methode gefalle ihr gut. So gut, dass sie sogar erwägt, zuhause einen Kindergarten nach deutschem Vorbild zu eröffnen.

Sehr stolz ist Gifty Kiruba Paul darauf, dass sie Schwimmen gelernt hat. Und sie ist alleine nach Stuttgart und Mannheim gereist. „Ich wusste bisher gar nicht, was ich alles kann.“ Sie habe sich vorgenommen, künftig so manches anders zu machen als früher, sagt die 23-Jährige. Dass da eine verwandelte Gifty nach Hause zurückkehrt, ahnen ihre Eltern vielleicht. „Ich habe ihnen nicht verraten, wann ich am Flughafen ankomme. Denn ich will ganz alleine heim nach Tirunelveli reisen.“

Freiwilligen-Programm

Heimat
Die Stadt Tirunelveli ist die Hauptstadt des gleichnamigen Distrikts und hat rund 480 000 Einwohner. Sie liegt unweit des südlichsten Punktes des indischen Festlands, Kap Komorin, im Bundesstaat Tamilnadu. Die Mehrheit ihrer Bewohner sind Hindus, dort leben aber auch Muslime und Christen.

Partnerschaft
Die Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) ist ein Zusammenschluss von 23 Kirchen und fünf Missionsgesellschaften in Asien, Afrika, dem Nahen Osten und Europa. Der Verein hat sich das Ziel gesetzt, eine bessere weltweite Lebensqualität zu erreichen und die Rechte der Armen, Ausgegrenzten und Verletzlichen zu stärken. Die EMS will den respektvollen Umgang über Kulturen und Religionen hinweg fördern und vermittelt im Zuge eines Ökumenischen Programms Freiwillige von der Nordhalbkugel in den Süden und in umgekehrter Richtung.