Die Stuttgart-21-Gegner sind in der Nacht vor Beginn des Abrisses angerückt, um den Südflügel zu schützen. Doch ihr Protest ist vergeblich.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Erst mal herrscht Stillstand auf der Baustelle. Die Bahn hatte angekündigt, dass der Bagger um 13 Uhr die ersten Steine aus der Fassade des Südflügels beißen wird. Doch hinter der Absperrung rührt sich gar nichts. An beiden Enden der abgeriegelten Straße Am Schlossgarten rumort es hingegen.

 

Mehrere Hundert Meter entfernt vom Ort des Geschehens stehen Stuttgart-21-Gegner und warten auf den Moment, den vermeiden zu können sie bis zuletzt gehofft hatten: auf den Anfang vom Ende des Südflügels. Ein letzter Hoffnungsschimmer war am Morgen erloschen. Der Bonatz-Enkel Peter Dübbers hatte beim Verwaltungsgerichtshof einen Eilantrag gegen den Abriss des Seitenflügels eingereicht. Das Gericht lehnte dies ab. Die Bahn konnte loslegen.

"Die Bahn legt es auf größtmögliche Zerstörung an"

"Wir sind hier eben auf einer Baustelle", sagt Nadia El Almi, als der Arm des 110 Tonnen schweren Raupenfahrzeugs sich reckt, um dann wieder zu Boden zu sinken. Da könne man nicht alles auf die Minute genau planen. Mit Brechstangen machen sich Mitarbeiter der Abbruchfirma am 36 Meter langen Arm der Maschine zu schaffen. Das Fahrzeug steht schon seit Tagen auf dem Gelände, die Transportstütze sitzt fest. Bevor sie nicht ab ist, kann die Abrisszange nicht angeschraubt werden.

Zwei Stunden später ist das schwere Gerät dann im Einsatz. Der Arm reckt sich nach oben, die Zange beißt knirschend ein Stück vom Dach ab. Dann fallen die ersten Steine. Vorne, an der Absperrung, wo die Gegner stehen, kommt nur ein dumpfes Rumpeln an. Nach hinten, an die Baustelle, dringt durch den Lärm das Pfeifkonzert der Gegner. "Frevel" nennt der Enkel des Bahnhofs-Architekten Paul Bonatz am Abend auf der Montagsdemonstration das, was der Bagger anrichtet. Es sei "unfassbar, mit welcher Brutalität ein wichtiger Teil des Bahnhofs zerstört wird", sagt Dübbers.

Was mit Verzögerung beginnt, kommt vielen noch zu früh. Als "unnötige und voreilige Zerstörung eines Kulturdenkmals" verurteilen die Kreisvorsitzenden der Stuttgarter Grünen, Petra Rühle und Philipp Franke, den Abbruch. "Die Bahn legt es auf größtmögliche Zerstörung an", sagen sie und meinen damit nicht nur den Abbruch, sondern auch die Baumfällarbeiten vor dem Wagenburgtunnel am vorvergangenen Wochenende.

"Die Bahn hat das Recht und die Pflicht weiterzubauen"

Als "destruktive und völlig sinnlose Aktivitäten", bezeichnet der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, den Beginn des Abrisses. Die Bahn stürze sich blindwütig in Bauaktivitäten, statt bekannte technische Probleme wie die Wasserentnahmemenge des Grundwassermanagements und den Bau des Nesenbachdükers zu klären.

Ganz anders klingt der Projektsprecher Wolfgang Dietrich. "Endlich" gehe es weiter, sagt er in jede Fernsehkamera, die sich während des Wartens auf ihn richtet. "Die Bahn hat das Recht und die Pflicht weiterzubauen", wiederholt Dietrich immer wieder gerne. Schließlich seien die Arbeiten - auch wegen des Baustopps am Grundwassermanagement - ein Jahr im Verzug.

Nach wie vor darf auf dem Geländedes Grundwassermanagements nichts geschehen. Der vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim verhängte Baustopp hat Bestand. Die Umweltschutzorganisation BUND erwirkte diesen Stopp im vergangenen Herbst. Seither darf beim ehemaligen Busbahnhof nicht gebaut werden, auch keine Bäume dürfen hier fallen. Nur die Wachleute schieben dort ihre Schicht. Den Abriss halten sie mit Handykameras fest.

"So viele Demonstranten wie seit der Volksabstimmung nicht mehr"

Am Wochenende hat dennoch die Nachricht unter den Stuttgart-21-Gegnern die Runde gemacht, dass die 18 Bäume in diesem Bereich in der Nacht zu Montag gefällt werden. Die aktiven Parkschützer lösten deswegen schon gegen 20 Uhr am Sonntagabend Handyalarm aus, um so viele Demonstranten wie möglich an den Bauzaun zu rufen. Gegen 23 Uhr reagierte die Stuttgarter Polizei und dementierte.

Es werde im Januar keine von der Polizei bewachten Baumfällarbeiten geben, meldete das Präsidium über Twitter und Facebook. Kurz darauf kommt der Parkschützeralarm, den Hannes Rockenbauch im Namen des gesamten Aktionsbündnisses verschickt. Da ist nur noch die Rede vom Südflügel, nicht von den Fällungen, die illegal gewesen wären.

"Es reagieren nur wenige"

Wie viele Gegner genau dieser Alarm erreicht, das kann Rockenbauch nur schätzen. "Etwa 3000 bis 4000 sind es wohl", meint er mit Blick auf die Handykosten der letzten Aktion, der nächtlichen Demo gegen die Errichtung des Bauzauns am Südflügel vor eineinhalb Wochen. Es reagieren nur wenige, wie eine 47-jährige Demonstrantin ernüchtert feststellt: "32.000 Leute sind im Internet als Parkschützer registriert. Jetzt wird es ernst, und es kommen nur noch 150", sagt sie.

Um Mitternacht hat sie genug, für sie ist der Protest und das Frieren am Bahnhof vorbei. Was bleibt, sind gut zehn Anstecker an ihrer Jacke. Damit wird sie ihre Ablehnung des Tiefbahnhofs weiterhin in die Stadt tragen. In kleinen Runden diskutieren die verbliebenen Projektgegner in der Nacht, wie sie weitermachen wollen. "Momentan sind 150 von uns hier organisiert", tragen die Sprecher der Gruppen vor, "wir sollen nun beraten, wie wir eine dauerhafte Präsenz hinbekommen können."

Die Präsenz halten sie bis zum Morgen aufrecht. Dann erklärt die Ordnungsbehörde der Stadt die Versammlung für aufgelöst. Nach mehreren Durchsagen beginnt die Polizei, die Straße zu räumen. 125 Demonstranten sind noch da, "gut 100 sind gegangen, 25 wurden weggetragen oder weggebracht", sagt der Polizeisprecher Stefan Keilbach. Am Abend kommen die Gegner wieder, zur Demo am Ort des Geschehens. 2300 sind es laut der Polizei, die Parkschützer zählen mehr als das Doppelte, 5000 Demonstranten, "so viele wie seit der Volksabstimmung nicht mehr", schreibt von Herrmann.

Der Bagger nagt draußen weiter

Für die Gegner stehen die Zeichen auf Sturm, auch wenn sie in der Nacht vor dem Abriss nur wenige waren. Der teilweise Fall des Bahnhofs ist ein Schritt - der nächste steht noch bevor: die Baumfällarbeiten im Park. Vergangene Woche bekam die Bahn dafür grünes Licht. Zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass auch die Allgemeinverfügung der Stadt für ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot im Schlossgarten Bestand hat. Das ist die Grundlage dafür, dass die im Park zeltenden Projektgegner vor den Fällarbeiten das Feld räumen müssen - sonst räumt die Polizei das Zeltdorf.

Seit diese Fakten bekannt sind, wehren sich die Dorfbewohner noch entschiedener gegen das Ende ihrer Unterkunft. Mit Holzpaletten verbarrikadieren sie sich, einer Trutzburg gleicht nun, was vor eineinhalb Jahren als kreativ-verspielter Ort des Protests begonnen hat. Der Sprecher der Zeltbewohner, Niko Zahn, hat angekündigt, dass sie der Kälte und der Aufforderung zu gehen weiterhin trotzen werden.

Rund um die Zelte ist es still. Von Ferne verfolgen Projektgegner durch das Geäst der Bäume, was sich am Seitenflügel tut. Die Steine hört man hier kaum noch poltern. Auch in der Bahnhofshalle deutet außer einem Zaun nichts darauf hin, dass das Gebäude zerlegt wird. Auf Gleis 16 rollt eine Bahn ein, um 15.04 Uhr, drei Minuten bevor der Bagger zum ersten Mal zubeißt. "Der Zug endet hier", so die Anzeige. Der Bagger nagt derweil draußen weiter - acht Wochen lang, dann ist der letzte Stein weg.