Suriname ist das kleinste Land auf dem südamerikanischen Kontinent. Viele Einwohner sind Nachkommen ehemaliger Sklaven. Sie bilden heute die größte traditionell afrikanische Gruppe außerhalb Afrikas.

Goejaba - Der Obere Suriname gurgelt über rund geschliffene Granitfelsen, die wie reglose Nilpferde im Wasser liegen. Er sprudelt durch Stromschnellen, die die bunt bemalten Holzkähne nur mühsam überwinden. Manchmal steigen die Bootsführer aus und schieben die Gefährte gegen die Strömung. Urwaldriesen säumen die Ufer. Schlingpflanzen mit roten Blüten haben die Bäume zu einer grünen Wand verwoben.

 

Aus dem Inneren des Dschungels tönt ein Kreischen, Unken und Flöten. Es sind die Stimmen von Affen, Vögeln und Fröschen, die irgendwo im Blätterwirrwarr verborgen leben. Der Suriname ist der kleine Bruder des Amazonas, der 500 Kilometer Luftlinie entfernt fließt. Eine Verbindung der beiden Wasserwege gibt es nicht. Auch Straßen zum südlichen Nachbarland Brasilien existieren nicht. Noch etwas irritiert: Man kann schwarze Frauen beobachten, die am Ufer ihre Wäsche waschen. Halbnackte, ebenfalls dunkelhäutige Kinder tollen im Wasser herum. Hinter ihnen lugen aus dem Regenwald mit Palmstroh gedeckte Holzhäuschen hervor. Szenen wie in Afrika mitten in Amerika?

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts blühte die Landwirtschaft

Das kam so: Suriname, seit 1973 der kleinste unabhängige Staat Südamerikas, war jahrhundertelang Teil der Kolonie Niederländisch-Guyana. Die Holländer hatten das Gebiet 1667 von den Engländern im Tausch gegen Nieuw Amsterdam, das spätere New York, erhalten. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts blühte die Landwirtschaft in Suriname. Angebaut wurden vor allem Kaffee, Kakao, Tabak, Zucker und Indigo. Der Großteil der Arbeit auf den Pflanzungen wurde von etwa 60 000 afrikanischen Sklaven verrichtet, die meist schlecht behandelt wurden. Viele von ihnen flohen deshalb in die Urwälder, wo sie verborgene Dorfgemeinschaften bildeten. Bis 1760 hatten sie Clans und Stämme gebildet - sogenannte Maroons.

Diese revoltierten gegen die Kolonialherren und zwangen sie zu Friedensverträgen. So wurden die entlaufenen Sklaven in Suriname die ersten freien Afrikaner in der Neuen Welt. Durch die Abgeschiedenheit, in der sie seit Jahrhunderten leben, blieben viele afrikanische Traditionen wie Schamanismus, Pflanzenheilkunde, Trommel- und Tanzriten bis heute erhalten. Der größte Clan namens Saramacca siedelt am Mittel- und Oberlauf des Suriname. Interessierte können im Maroon-Museum die Geschichte der Stämme erkunden und an Urwaldtouren oder dem Dorfleben teilnehmen.

Das 4000-Seelen-Dorf Goejaba fährt für die Gäste aus Europa sogar ein Empfangskomitee auf: Ein Dutzend Frauen in Karoröcken und bunten Kopftüchern tanzt zur Begrüßung. Mit vorgebeugtem Oberkörper stampfen sie einen afrikanischen Rhythmus in den Uferboden, singen und klatschen in die Hände. Laut schnatternd ziehen die Frauen danach mit ihren Gästen durch den Ort. Die Kinder schauen ein bisschen verstört drein. Doch ein fröhliches „Owekino“ löst den Bann, erstaunt antworten sie den Touristen mit „Owekino - Guten Tag“. Vor einem Steinhaus wartet Kapitän Baneys Asodanoe, Oberhaupt des Dorfes. Er ist so eine Art Bürgermeister, hat aber auch rituelle Aufgaben. Als Insignien der Macht trägt er einen Stoffumhang, einen Sonnenschirm und einen Stab - ähnlich der Tracht westafrikanischer Häuptlinge. Mit zwei seiner drei Frauen stellt er sich für ein Foto auf.

„Für jede musste ich ein Haus bauen und eine Plantage anlegen“, sagt er. „Ich hätte gerne noch eine weiße Frau. Könnt Ihr mir mal eine mitbringen?“ Die Maroon-Frauen haben in der Zwischenzeit ein Feuer entzündet und demon-strieren, wie Cassava-Brot hergestellt wird. Sie zerstampfen dazu die spindelförmigen Wurzelknollen von Maniokpflanzen. Im rohen Zustand sind die Wurzeln giftig. Werden sie jedoch verletzt, zum Beispiel durch das Raspeln oder Stampfen, entweicht das Gift und die stärkehaltige Pflanze wird genießbar.

Palmblätter sollen böse Geister abstreifen

Das Dorf Lebidoti liegt am südöstlichen Ufer des Brokopondo-Stausees. Überall liegen die Skelette ehemaliger Baumriesen, die zugrunde gingen, als der Brokopondo 1964 künstlich aufgestaut wurde. Lebidoti blieb als einziges Dorf auf einer Halbinsel erhalten, alle anderen Orte wurden umgesiedelt. Besucher des Weilers schreiten zunächst durch einen Vorhang aus Palmblättern. Der soll bösen Geister abstreifen. Etwas weiter steht ein kleiner Schrein. Nebenan hängt ein Laken auf einem Holzgestell, ein Opferplatz für Verstorbene. Die Einwohner des Dorfes sind Anhänger der geheimnisvollen Winti-Religion, die sich aus afrikanischen und christlichen Elementen zusammensetzt. Die Ahnen, die Götter der vier Elemente, Trance-Zeremonien und schwarze Magie spielen eine Rolle, der christliche Gott ist nur einer unter vielen.

Das Dorfoberhaupt, Kapitän Babo, ist in Lebidoti für Gott und die Welt zuständig. Bei Gewaltverbrechen müsse er die Polizei aus der nächsten Stadt rufen, erklärt er, aber über kleinere Vergehen wie Diebstahl oder Fremdgehen könne er selbst richten. „Als Strafe verhänge ich die Verbannung aus dem Dorf oder Ausgleichszahlungen in Suriname-Dollar und Rum.“ Da klingelt sein Handy und er ist für eine Weile abgelenkt. „Wir achten auf unsere Tradition“, sagt er dann. „Hin und wieder bekommen wir Besuch aus Afrika!“ Dann nimmt Simon, einer der Männer des Dorfes, die Gäste aus Europa mit zu einem Streifzug durch den Urwald. Im Blätterdach über den Wanderern pfeift der Buschpolizei-Vogel mit seiner Sirenen-Stimme. Simon durchschlägt mit seiner Machete eine Liane und trinkt daraus wie aus einem Wasserschlauch.

Bitter Lemon findet er in den Nüssen der Bugrumaka-Palme und Rhabarbersaft in Sangrafu-Stängeln. Medizin und Wellness-Produkte muss er auch nicht lange suchen. „Mit dem Mark der Busch-Papaya werden Wunden behandelt“, erklärt er. Das Harz des Loksi-Baums diene dagegen zum Räuchern. Manchmal hausen in den Palmnüssen auch dicke weiße Maden. „Kinder essen die gern“, sagt Simon. Seine Gäste lehnen dankend ab. Dann zeigt Simon den Besuchern noch einen besonderen Baum. Mächtige Rippen geben ihm Stabilität und machen ihn zum Signalgeber. Simon sucht sich einen dicken Knüppel und hämmert mit aller Kraft auf die Stützwurzeln ein. Der Stamm wirkt wie ein Klangkörper und sendet einen tiefen Ton.

„Das ist der Telefonbaum. Wenn ich in Probleme gerate, kann ich durch ihn einen Notruf absetzen. “ Dann entlässt er die Besucher wieder auf die einzige Verkehrsader der Region, den Oberen Suriname. Sollten sie sich verirren, wissen sie ja nun, wie sie Hilfe rufen können.

Infos zu Suriname

Anreise
Mit KLM ( www.klm.com ) oder Surinam Airways ( www.fly-surinamairways.com ) nach Paramaribo.

Unterkunft
Luxus im Zentrum der Hauptstadt Paramaribo: Royal Toracica ab 165 Euro im DZ, www.torarica.com

Komfortable Holzhütten mit Hängematte auf der Terrasse und tollem Blick auf den Fluss: Danpaati River Lodge auf einer Insel im Oberen Suriname, ab 75 Euro pro Person mit drei Mahlzeiten und Dorfwanderung, www.danpaati.net

Die einfachen Zimmer auf Matu Island im Brokopondo-Stausee kosten ab 110 Euro inklusive Vollpension, www.matu-island.com

Essen und Trinken
Im Restaurant Tori Oso in Paramaribo genießt man neu interpretierte surinamische Fusions-Küche (Fred Derby Straat 76). An der Straße nach Französisch Guyana liegt Tamanredjo mit vielen authentisch indonesischen Restaurants, z.B. Warung Toucha. Auf dem Weg ins Inland kann man im stilvollen Bergendal Resort gute internationale Küche genießen, www.bergendalresort.com

Touren
In vielen Dörfern ist man ohne Anmeldung nicht willkommen und kann sich in den lokalen Sprachen nicht verständigen. Ein Guide ist daher angeraten. Der deutschsprachige Norman McIntosh stellt die Touren nach Wunsch zusammen. Er spricht Sarramaccan und mehrere Indianersprachen, 3-Tagestour zum Oberen Suriname mit Urwald- und Dorferkundungen ab 335 Euro, 8 Tage Expedition mit dem Kleinflugzeug ab 1250 Euro, www.discoversurinametours.com

Benito Aloema begleitet in Englisch Ausflüge in sein Indianerdorf nahe der Küste, führt dort ein in Tänze, Initiationsriten und Glauben der Ureinwohner, nach Französisch Guyana und von Februar bis Juli zu den Eiablageplätzen der Meeresschildkröten, 2-Tagestour ab 175 Euro, www.galibi-tours.com

Literatur
Der einzige deutschsprachige Reiseführer ist „Suriname und das Welterbe Paramaribo“ von Bernhard Conrad (Aragon Verlag, 39,90 Euro). Englische Alternative: „Guyana, Guyane & Suriname“, Footprint Travel Guides Verlag (19,35 Euro)