In Stuttgart gibt es nicht nur immer mehr Burger-Läden, in letzter Zeit sind auch viele neue Sushi-Bars dazugekommen. Die wenigsten Kunden interessieren sich dafür, woher der Fisch in den Sushis stammt – dabei lohnt es sich, kritisch nachzufragen.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Sushi ist in aller Munde. Ein gutes Dutzend Locations haben sich in Stuttgart auch oder ganz der japanischen Spezialität verschrieben, und immer neue kommen hinzu. Zuletzt haben wir in der Rubrik „Lokaltermin“ das Sushi Le vorgestellt. Für Sushi scheint zu gelten: jeder mag es, jeder kann es. Nun, zum Können ist zu sagen, dass zwar bei uns Sushi-Meister auch vom Himmel gefallen sind, die Ausbildung in Japan aber bis zu zehn Jahre dauert. Und mögen? Häufig kann es eigentlich egal sein, was von Reis und Nori-Blättern ummantelt ist, weil die Füllung vor lauter Sojasoße, Ingwer und Wasabi nicht herauszuschmecken ist.

 

Aber gerade die Füllung ist nicht egal. Die beliebtesten Sushi-Lieferanten bei uns sind Thunfisch, Lachs und Garnele. Letztere lassen sich unter meist fragwürdigen Bedingungen züchten, deswegen empfiehlt der World Wide Fund for Nature (WWF) sie nur bedingt. Wirft man einen Blick in den WWF-Fischeinkaufsführer, in dem die gängigsten Speisefische und Meeresfrüchte nach einem Ampelsystem sortiert sind, muss man ernüchtert feststellen: etwa nur ein Achtel läuft unter Grün als „gute Wahl“, ein Drittel hat den Status Gelb mit „zweite Wahl“, und mehr als die Hälfte steht mit „lieber nicht“ auf der roten Liste, was die Umweltverträglichkeit angeht.

Bei allen Fischen muss man genau hinschauen und differenzieren. Aus welchen Gewässern stammen sie? Wie wurden sie gezüchtet oder gefangen? Das fällt bei deklarierter Ware im Tiefkühlregal leichter als an der Frischtheke – im Restaurant ist man den Auskünften der Betreiber ausgeliefert. Britta König, Sprecherin von WWF Deutschland, ermuntert: „Immer wieder nachfragen – das erhöht den Druck.“

Thunfisch aus Europa landet auf dem Großmarkt in Tokio

Das gilt insbesondere für Sushi-Bars, weswegen der WWF auch einen kleinen Sushi-Führer herausgibt. Die Fischportion in den Reisröllchen oder auch pur als Sashimi mag gering sein. Was aber den gefährdeten Thunfisch angeht, muss man nicht Mark Halls Dokumentation „Sushi – The Global Catch“ gesehen haben, um zu wissen, dass der seit zehn, zwanzig Jahren nicht aufzuhaltende Sushi-Boom dies zu beträchtlichen Mengen multipliziert. Allerdings wird beim Import oft nicht einmal erfasst, welcher Art er angehört, und schon gar nicht, ob er zu Steak oder Sushi verarbeitet wird.

So oder so: einige Spitzenköche verzichten seit Jahren darauf. Johannes King zum Beispiel, der als Zwei-Sterne-Koch das Glück hat, auf Sylt zu leben und zu arbeiten und regelmäßig mit dem Fischkutter auf Makrelenfang rausfährt, sagt in einer „Spiegel TV“-Reportage über Thunfisch: „Zwei Drittel der Ware sind gedopt: bestrahlt, begast, mit Blut gewaschen, damit sie schön rot aussieht.“ Damit meint King insbesondere den Blauflossenthunfisch (auch Roter Thun), der in Tsukiji in Tokio, dem größten Fischmarkt der Welt, nur noch ein Spekulationsobjekt ist. Laut Britta König landeten sogar 90 Prozent des im Mittelmeer gefangenen Thunfischs dort, wo täglich 2000 Tonnen Fisch und Meeresfrüchte gehandelt und im Jahr vier Milliarden Euro umgesetzt werden. Der größte und beste Anteil an Thunfisch bleibt in Japan, wo er vom Broker zur Auktionsfirma zum Ersteigerer zu Zwischenhändlern und schließlich in die Fischläden und Restaurants wandert.

Weil Thunfische in freier Wildbahn tatsächlich große Wanderer und in allen Weltmeeren zu Hause sind, ist eine exakte Bestandsaufnahme schwierig. Am meisten bedroht ist der Blauflossenthunfisch, nun gerät auch der Gelbflossenthun immer mehr ins Visier. Kleinere Arten, die meist in der Dose landen, gelten als weniger gefährdet. Aber man schätzt, dass die Thunfischbestände insgesamt in den vergangenen 50 Jahren weltweit um 60, wenn nicht gar 80 Prozent zurückgegangen sind. Manche Experten warnen, dass einige Arten bis zum Jahr 2050 ganz verschwunden sein könnten, wenn es so weitergeht. Britta König vom WWF formuliert das nicht ganz so dramatisch, sondern sagt, dass jüngst die offiziellen Fangquoten den wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst worden seien. „Aber es gibt ein großes Problem mit der illegalen Fischerei. Es ist extrem schwierig zu überwachen, was auf hoher See geschieht“, so König.

Verbraucher sollten auf das MSC-Siegel achten

Dabei ist das, was man offiziell weiß, schon problematisch genug. So werden etwa ganze Schwärme junger Thunfische gefangen und in Käfigen turbomäßig gemästet, ohne dass sich die Tiere fortpflanzen können und Nachwuchs gesichert wird. Beim Einsatz von Lockbojen fallen auch andere Meerestiere dieser Methode zum Opfer ebenso wie bei der Langleinen-Fischerei (Long Line), bei der mehrere Kilometer lange Leinen mit Tausenden von Ködern und Haken ausgelegt sind, was zu einem hohen Beifang von Haien, Schwertfischen oder auch Meeresschildkröten führt. Umweltschonender ist die selektive Handleinenfischerei, die für die Fangindustrie aber zu uneffektiv ist. Dem Verbraucher rät Britta König, bei Wildfangware auf das MSC-Siegel (Marine Stewardship Council) zu achten, „dem weltweit strengsten Standard in Sachen Umweltverträglichkeit“.

Was bedeutet das nun für Sushi? In einem WWF-Bericht heißt es: „Wir möchten Sushi weiterhin genießen können, aber nicht unbedacht und rücksichtslos, sondern informiert, verantwortungsbewusst und in Maßen.“ Wenn man aber auch in Stuttgart beobachten kann, dass es zusätzlich zu den Sushi-Locations für Urban Hipster immer mehr Imbisse und Supermärkte gibt, in denen einem die Reisröllchen hinterhergeworfen werden, kann von verantwortungsbewusst wohl keine Rede sein. Natürlich ist Sushi auch in Japan, wo 1958 das erste Fließbandrestaurant eröffnet wurde, teilweise zu Fast Food verkommen. Andererseits gibt es sie aber noch, die Tradition der alten Sushi-Meister wie zum Beispiel bei Mitsuyasu Nagano, in dessen Tokioter Restaurant Umi ein Menü 200 Euro wert ist.

„Hier darf alles nichts kosten“, sagt Britta König vom WWF. Sie meint damit das wenige Geld, das wir Deutschen für Essen ausgeben. Aber man kann diese Geiz-ist-geil-Mentalität, die Produkte zweifelhafter Herkunft fördert, auf andere Bereiche des Konsums übertragen. Wir treffen uns also irgendwann vor Primark im Milaneo, wo es bestimmt auch Sushi to go geben wird . . .

Informationen – Auf der Homepage www.wwf.de kann man einen Sushi-Führer sowie als große und kleine Version den „Einkaufsratgeber Fische und Meeresfrüchte“ herunterladen. Eine kostenlose App hat der WWF ebenso im Programm. Auch Greenpeace bietet auf seiner Website einen Fischratgeber an.