Seit dreißig Jahren strahlt der SWR den Radiotalk „SWR 1 Leute“ aus. Zwei Moderatoren stemmen die anspruchsvolle Sendung im Alleingang: Stefan Siller und Wolfgang Heim.

Stuttgart - Aus gutem Grund kommen Sendungen außerhalb der Kulturwellen bei   den „Radioperlen“ kaum vor. Schließlich geht es hier um anspruchsvolles Wort-Radio. Bei den Hit- und Schlagerwellen hingegen laufen Interviews, bei denen nach 2:30 Minuten dem Gesprächspartner der Saft abgedreht wird – oder es laufen Programme, in denen hysterisch fröhliche Moderatoren endlos und ohne Sinn und Verstand miteinander herumalbern. Eine Sendung aber ragt seit dreißig Jahren aus dem dortigen Einerlei heraus. Am kommenden Mittwoch feiert sie Jubiläum: „SWR 1 Leute“.

 

Die erste Ausgabe lief am 7. Januar 1985, damals noch unter dem Titel „Von 10 bis 12“, moderiert von Wolf Renschke, im dritten Programm des Südfunks. Das Konzept von „Leute“ ist denkbar einfach: Ein Moderator unterhält sich über zwei Stunden mit einem (hoffentlich) interessanten Gast. Zwischen den einzelnen sechs- bis achtminütigen Gesprächsphasen läuft Musik. Insgesamt kommt so eine Unterhaltung von rund einer halben Stunde zusammen. Genug Zeit also, um aus den Gesprächspartnern etwas Spannendes herauszukitzeln. Der Schauspieler Mario Adorf zum Beispiel machte deutlich, dass er von Ehrlichkeit bei Seitensprüngen nicht viel halte. „Das tut dem anderen doch nur weh“, erzählte er im Livegespräch. Auch Götz George gab offen zu, dass Treue nicht seine stärkste Seite ist. Der Modedesigner Wolfgang Joop hingegen nutzte die Gelegenheit zur Partnersuche. Er sei gerade wieder solo, plauderte er. Wer Interesse habe, egal ob Mann oder Frau, könne sich gerne melden. „Dank der entspannten Atmosphäre der Sendung sprach Joop sehr offen über seine Bisexualität“, erinnert sich Stefan Siller.

Mini-Redaktion mit Maximal-Erfolg

Zusammen mit seinem Kollegen Wolfgang Heim moderiert der 64-jährige Stefan Siller die Sendung. Und nicht nur das: die beiden sind auch die einzigen Mitglieder der „Leute“-Redaktion. Während für eine der abendlichen Fernsehtalkshows ein ganzes Großraumbüro aus Redakteuren, Rechercheuren und Hilfskräften aktiv wird, müssen sich die beiden ohne große Unterstützung auf fünf Gäste in der Woche vorbereiten. Am Mikrofon immerhin werden sie hin und wieder von Petra Zundel und Michel Ries abgelöst.

Bei Prominenten fällt die Vorbereitung leichter. „Eine Sendung mit Harald Schmidt kann eigentlich nicht in die Hose gehen“, meint Siller. Insofern hatte er Glück, dass seine bislang größte Panne ausgerechnet mit diesem Gast passierte. Nach dem ersten Gesprächsblock leitete der „Leute“-Moderator zur Musik über. Zu hören war aber nur ein „klack, klack“. Der damals noch übliche CD-Spieler war kaputt. Für solche Fälle gab es einen Ersatzplayer. „Klack, klack.“ Auch der funktionierte nicht. In der folgenden Viertelstunde Unterhaltung, bis die Technik das Problem gelöst hatte, lief der Fernsehkabarettist mit spontanen Witzen zur Hochform auf.

Als Harald Schmidt zur Hochform auflief

Nicht jeder der bislang mehr als 8000 Gäste aus Politik, Wissenschaft, Show und Kultur besitzt die Schlagfertigkeit eines Harald Schmidt. Vor allem bei den weniger prominenten und medienerfahrenen Menschen, die etwas Außergewöhnliches erlebt haben, müssen die Redakteure bei Bekannten und Kollegen des potenziellen Gastes nachforschen: Kann diese Person an einem Mikrofon gut erzählen? Schließlich wäre es für beide Seiten peinlich, wenn ein Gast im Studio plötzlich keine zwei zusammenhängenden Sätze herausbekommt. Wobei Eloquenz allein nicht ausreicht. Als einen seiner unangenehmsten Gäste hat Siller den redegewandten ehemaligen Republikaner-Chef Franz Schönhuber in Erinnerung. Der rechte Politiker, selbst Radio- und Fernsehmoderator, wusste sich gut zu verkaufen. „Mit diese Sendung war ich sehr unzufrieden, obwohl sie journalistisch wohl unangreifbar war“, sagt Siller.

Zufrieden hingegen ist der Moderator, wenn die Zuhörer bei einem Gast eine neue Seite kennenlernen. Wenn zum Beispiel Jürgen Todenhöfer meint, George W. Bush werde als Präsident in die Geschichte eingehen, der den internationalen Terrorismus erst hervorgebracht habe, oder wenn Heiner Geißler den Kapitalismus als eigentliches Problem hinter dem Islamismus vermutet. „Man muss solche Auffassungen nicht teilen, aber sie machen eine Sendung wie ‚Leute‘ erst interessant“, findet Siller.

Natürlich gibt es auf den Kulturwellen ähnliche Sendungen, auf Deutschlandradio Kultur zum Beispiel jeden Tag über eine Dreiviertelstunde „Im Gespräch“. Zudem spricht die Musikfarbe, die auf SWR 1 gepflegt wird, nicht jeden Hörer an. Aber eine journalistisch anspruchsvolle Gesprächssendung dreißig Jahre in einem zunehmend durchformatierten Programm gehalten zu haben ist schon eine stolze Jubiläumssendung wert.