Der Rundfunkrat berät über die Zukunft der Klangkörper des Senders, vertagt den Beschluss aber auf September.

Stuttgart - Mit dem Tagesordnungspunkt sechs kam Dynamik in den Saal des Stuttgarter Funkhauses. Nach einem halben Jahr von Empörung und Protest, der Debatten und Beratungen, befasste sich der Rundfunkrat des Südwestrundfunks abschließend mit der von der Intendanz des Senders ins Spiel gebrachten Fusion seiner beiden Orchester. Manager und Musiker des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) und des SWR-Rundfunkorchesters Baden-Baden und Freiburg (SO) verfolgten die öffentliche Sitzung ebenso wie Musikstudenten aus Karlsruhe, die sich in den vergangenen Wochen mit mehreren Protestaktionen für den Erhalt aller SWR-Ensembles ausgesprochen hatten.

 

Der Rundfunkrat hatte zur Mittagszeit über eine vom Hörfunkausschuss entwickelte mehrseitige Vorlage „Zukunft der Orchester“ zu beschließen. In drei dem Vernehmen nach sehr ausführlichen Sitzungen (er tagt nicht öffentlich), hatte der Ausschuss in den vergangenen Monaten ein Papier entwickelt, das vorschlug, eine unmittelbare Entscheidung über eine Fusion zu vertagen. Und zwar bis zur nächsten Rundfunkratssitzung am 28. September. Der Ausschuss hatten weiteren Bedarf für die Erörterung und Ausarbeitung von belastbaren Alternativkonzepten gesehen, die „die Einsparvorgaben des SWR nachhaltig erfüllen, die programmlichen Erfordernisse im Blick haben und auch rechtlich umsetzbar seien“. Ein überschaubarer Zeitraum für eine komplexe Materie wie die Neuausrichtung der Trägerschaft zweier Orchester. Aber immerhin: bis Ende September schien weiterhin alles offen.

Der Konjunktiv hat seine Berechtigung, denn der geschickte SWR-Intendant Peter Boudgoust hatte diese Vorlage kurz vor der Rundfunkratssitzung um einen Passus ergänzt. Sollte die Erarbeitung dieses Alternativmodells nicht gelingen, gelte die Fusion als beschlossene Zukunftsoption, hieß es nun. Mit diesem Schachzug stand eine Möglichkeit im höchsten Kontrollgremium des öffentlich-rechtlichen Senders überhaupt nicht mehr zur Diskussion, geschweige denn zur Abstimmung: die direkte Frage, ob man die Orchester von den Sparauflagen ausnehmen soll. Oder zumindest die ihnen auferlegten 25 Prozent verringern sollte. Der gesamte Sender will bis zum Jahr 2020 166 Millionen Euro sparen. Der Intendant verließ sich auf seinen Gremienspürsinn. Die Mehrheit im Rundfunkrat, so hatte es sich seit Anfang des Jahres herauskristallisiert, will die beiden Orchester von der Sparrunde nicht ausnehmen. Und so stimmten gestern bei einer Enthaltung dreißig Mitglieder für die Annahme der Vorlage, zehn dagegen.

„Noch nicht begriffen, was auf uns zukommt“

Unter den Neinstimmen waren der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und der Kulturstaatssekretär Jürgen Walter. Schuster hatte zuvor in der mehr als einstündigen Aussprache, die andere Redner mehr als einmal zur Polemik nutzten, bedächtig, aber eindringlich daran erinnert, dass der Sender seinem kulturpolitischen Auftrag gerecht werden müsse, er alle Möglichkeiten auszuloten habe, bevor eine Fusion beschlossen werde. Ihn störe an der Debatte, dass alles als „sparfähig“ gilt.

Gemessen an seiner generellen Diplomatie konnte Schuster kein deutlicheres Plädoyer für die weitgehende Ausnahme der Orchester von den Sparabsichten abgeben. Schade, dass Walter seine Rolle als Vertreter der Kultur nicht sehr viel mehr genutzt hat, um noch einmal für den Erhalt der Orchester zu werben; stattdessen forderte er den Verwaltungsdirektor Viktor von Oertzen auf, seine Zahlen zu präzisieren und dass man sich – wenn denn schon über Fusion geredet werde – bitte frühzeitig und offen der Standortfrage annehmen solle. Laut und vehement malte dagegen der von den Sportverbänden Baden-Württemberg in den Rundfunkrat entsandte Rainer Brechtken ein düsteres Bild eines zum Abspecken gezwungenen Senders: „Wir haben noch gar nicht begriffen, was auf uns zukommt“, tremolierte er so allgemein wie unkonkret.

Damit ist die Fusion der beiden SWR-Orchester zwar nicht konkret beschlossen worden, doch nun sehr viel wahrscheinlicher. Denn dass sich innerhalb von knapp drei Monaten alternative Lösungen auftun, die tragfähig sind, ist unwahrscheinlich. Je Orchester wären pro Jahr mindestens 2,5 Millionen Euro aufzubringen. Angesichts der knappen Haushaltslage werden sich weder die Stadt Stuttgart noch das Land an GmbH-Lösungen beteiligen. Der Kulturstaatssekretär hatte zwei Anläufe unternommen, das Württembergische Staatsorchester und das RSO Stuttgart unter ein gemeinsames Dach zu bringen; das ist am entschlossenen Widerstand der Intendanten Marc-Oliver Hendriks und Jossi Wieler gescheitert. Von Seiten des RSO habe man das für umsetzbar gehalten. In Freiburg gibt es Bestrebungen der Stadt, sich finanziell am SO zu beteiligen. So beginnt jetzt der Run auf die Rettungsringe. Und da ist sich jeder der Nächste.