Die Würfel sind gefallen: Mit deutlicher Mehrheit wurde beschlossen, dass die beiden SWR-Orchester in Stuttgart und Baden-Baden/Freiburg zu einem verschmelzen. Ob das klug ist?

Stuttgart - Vor zwanzig Jahren, als erstmals im wiedervereinigten Deutschland die Orchester gezählt wurden, kam man auf die Weltrekordsumme von 168. Seither sind 37 Orchester abgewickelt oder fusioniert worden. Gestern ist ein Orchester dazu gekommen – ein schwarzer Tag für die Musikkultur in diesem Land. Der Rundfunkrat hat seinen im Juni gefassten Beschluss endgültig bestätigt: Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR und das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg sollen von 2016 an zu einem „Superorchester“, so der Südwestrundfunk, verschmolzen werden.

 

Die Entscheidung ist in Mainz mit deutlicher Mehrheit beschlossen worden. Der SWR-Intendant Peter Boudgoust sagte: „Eine lange und quälende Hängepartie für unsere Musikerinnen und Musiker ist jetzt zu Ende, sie können nun in die Zukunft schauen und sich auf dem Weg zu einem gemeinsamen Orchester mit einbringen. Deshalb bin ich froh, dass wir eine klare Entscheidung des Rundfunkrats haben.“ Der Rundfunkratvorsitzende Harald Augter wies darauf hin, dass die SWR-Gremien „mehrfach und sehr intensiv“ über das Thema Orchesterzukunft beraten haben.

Vehement hatte nach Angaben von Beobachtern der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster mehr Zeit gefordert, um alternative Lösungen zu prüfen und zu entwickeln, etwa die Beteiligung der Städte Freiburg, Baden-Baden und Stuttgart sowie des Landes Baden-Württemberg an einer Dachgesellschaft für beide Orchester. Bis zur gestrigen Sitzung habe dem Südwestrundfunk nach Angaben des Senders allerdings nur ein alternatives Konzept vorgelegen, das aber nicht die SWR-Auflagen erfüllt und die Einsparvorgaben nachhaltig garantiert habe.

Entlassungen von Musikern soll es nicht geben

Zwei im Kern gesunde, leistungsstarke Orchester mit einer großartigen Tradition – das RSO in Stuttgart wurde 1945, das SO im Badischen ein Jahr später gegründet –, die zu den zwanzig Toporchestern in Deutschland gehören, werden zerschlagen für ein Ensemble, von dem heute keiner weiß, wie es einmal dastehen wird. Eine eingespielte, miteinander vertraute Musikergemeinschaft wird es nicht vor dem Jahr 2025 geben – das ist laut einer internen SWR-Studie der früheste Zeitpunkt, zu dem der Abschmelzungsprozess von zweihundert Musikern auf geschätzte 110 abgeschlossen sein dürfte. Der Sender hat sich verpflichtet, keine Musiker zu entlassen, das erlaubt eine Verkleinerung allein durch natürliche Abgänge wie etwa Ruhestand und Wegbewerbungen.

Von Profil und Charakter dieses künftigen Orchesters gibt es beim Südwestrundfunk bis jetzt keine konkrete Vorstellung, jedenfalls keine, die so klar umrissen kommuniziert worden wäre, dass sie den nun in ihren Grundfesten erschütterten Musikern und Musikliebhabern wenigstens ein positives Leitbild geben könnte.

Auch wenn der Blick zurück nicht weiterhilft: es ist schmerzlich, dass der Grund für die Fusion, nämlich innerhalb des Senders ein hoch gesetztes Sparziel zu erfüllen, bisher allein auf Annahmen beruht. So hat der Freiburger Rechtswissenschaftler Friedrich Schoch in einem Beitrag zur seit Anfang des Jahres laufenden Fusionsdebatte darauf hingewiesen, dass es „eine gesicherte Grundlage für die Annahme des Südwestrundfunks, bis zum Jahr 2020 müssten insgesamt 166 Millionen Euro eingespart werden“, nicht gibt. Schoch spielt auf die veränderte Einnahmesituation an; 2013 werden die Rundfunkgebühren von der Geräte- auf eine Haushaltsabgabe umgestellt. Ob die öffentlich-rechtlichen Sender dadurch tatsächlich deutliche Einnahmeverluste erleiden, ist weithin umstritten.

Warum die Eile? Das fragen sich viele Beobachter

Friedrich Schoch führt weiter aus: „Dennoch im Jahr 2012 eine erst 2016 finanziell wirksam werdende Entscheidung treffen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund kaum zu verantworten, zumal im Falle einer Fusion der beiden Orchester eines feststehen dürfte: Die Irreversibilität der Abschaffung der beiden Orchester.“

Angesichts der Zeitspannen, die im Raum stehen – wie erwähnt, wird die Fusion nicht vor 2025 abgeschlossen sein –, ist vielen Beobachtern unverständlich, dass sich weder der SWR-Intendant noch der Rundfunkrat auf einen Aufschub eingelassen haben. Die Deutsche Orchestervereinigung monierte in einer Stellungnahme, dass der SWR „sich selbst fast eineinhalb Jahre Zeit genommen hat, das Fusionsmodell auf den Weg zu bringen. Fördervereinen und Kritikern einer Fusion blieben gerade einmal drei Monate von Ende Juni bis Ende September 2012, um über die Sommerpause alternative Modelle zu entwickeln“ – die Orchestergewerkschaft sieht darin „ein abgekartetes Spiel“.

Das lässt zwei Schlüsse zu. Erstens soll mit der Orchesterfusion ein starkes Zeichen gesetzt werden: Der Sender bemüht sich zu sparen. Und zweitens findet damit ein Richtungswechsel statt: Der Programmauftrag kultureller Vermittlung wird mit Blick auf Mehrheitsfähigkeit und Quoten weiter vernachlässigt. Kürzlich hat der Intendant, der immerhin einem Unternehmen vorsteht, das dem Gemeinnutz dient, gerechnet. In einem Interview spielte er die Hörer der Kulturwelle SWR 2 gegen die der Pop-Nachrichten-und-Stauwarnungs-Welle SWR 3 aus. Die eine Welle erreiche nur zwei Prozent Hörer, die andere 24, das SWR-2-Programm koste aber doppelt so viel wie SWR 3. Der Komponist und Musiktheorie-Professor Otfried Büsing nannte es in einem Leserbrief arrogant, dass „Inhalte nach Nachfrage und Kosten hierarchisiert“ werden. „Das ist kapitalistisch motivierter Quotenrassismus.“

Früher war man beim SWR klüger

Eine Haltung, die auch hinter der durchgepeitschten Entscheidung zu stehen scheint, zwei Orchester zu fusionieren, die in künstlerischer Hinsicht bestens dastehen und regelmäßig ein stabiles bis wachsendes Publikum finden. Vor noch sieben Jahren übrigens hat die Senderspitze erkannt, wie risikobehaftet die Verschmelzung seiner Sinfonieorchester sein würde. So hieß es 2005 in einer Informationsvorlage für den Rundfunkrat: „Ein entscheidender Punkt aus Sicht des SWR ist jedoch der, dass durch eine solche Fusion keinesfalls die musikalischen Profile, Stärken und Traditionen von SO und RSO sich gegenseitig verstärkend zusammengeführt werden können. Vielmehr würde ein völlig neu ausgerichteter Klangkörper entstehen, der sich ein eigenständiges Profil erst noch erarbeiten müsste. Faktisch würde ein solcher Schritt die Schließung zweier etablierter und erfolgreicher Klangkörper und die Neugründung eines sinfonischen Klangkörpers erfordern. Das neu zu gründende Orchester müsste sich in jahrelanger Aufbauarbeit erst wieder ein eigenständiges, unverwechselbares Profil aufbauen, und es wäre keineswegs von Anfang an sichergestellt, dass dies auch gelänge.“

Das SWR-Papier selbst also benennt die Imponderabilien, mit denen sich ein künftiger Gründungschefdirigent, der nach internen Überlegungen natürlich „hervorragend“, also ein Weltstar sein soll, und ein Management zu befassen haben. Bis es dazu kommt, stehen die Musiker der jetzt noch vier Jahre eigenständigen Orchester vor vielfältigen Problemen.

Die erste Hürde in der Annäherung der Musikerkollektive wird die Entscheidung über den Standort des fusionierten Orchesters sein. Die Orchestermitglieder werden jeweils für ihre Stadt kämpfen. Sie müssen aufpassen, dass es ohne Verletzungen ausgeht, später wird man möglicherweise gemeinsam an einem Pult sitzen. Wichtiger noch ist für sie, bis 2016 die Motivation zu finden, sich auf ein sterbendes Orchester einzuschwören. Entscheidend wird hier die Solidarität der beiden Chefdirigenten sein, François-Xavier Roth in Baden-Baden/Freiburg und Stéphane Denève in Stuttgart. Beider Vertrag endet 2014 mit Option auf eine zweijährige Verlängerung.

Den Orchestern wäre zu wünschen, dass die beiden Franzosen davon Gebrauch machten. Andererseits könnte man ihnen den vorzeitigen Absprung aus Karrieregründen nicht verübeln – beide sind Jahrgang 1971, haben ihre Laufbahn vor sich und sind international begehrt. Denn eines wenigstens ist klar: Weder Roth noch Denève kommen als Chef des Fusionsorchesters in Frage, das gäbe nun wirklich böses Blut.