Assyriologie oder Islamistik: eine Expertengruppe des Wissenschaftsministeriums untersucht die Kleinen Fächer mit dem Ziel, fachwissenschaftliche Kompetenzen zu erhalten

Stuttgart - Beim Symposion „Kleine Fächer in Baden-Württemberg“ waren selbst viele Experten überrascht. Die Staatsgalerie war vor einiger Zeit zum Biotop der Exoten geworden. Obwohl selbst Vertreter so genannter Kleiner Fächer, trafen die Forscher nach eigenem Bekunden auf Wissenschaftler aus Disziplinen, von denen selbst sie gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt. Zusammengeführt hat sie das Gefühl der Bedrohung in Zeiten, da auch die Hochschulen immer mehr aufs Geld schauen müssen.

 

Es sind nicht immer die Wasserzeichenforscher oder die Assyriologen, die um ihre Existenz kämpfen müssen. Eher weniger. Wer auf der roten Liste der Orchideenfächer steht, ist nach Einschätzung des Heidelberger Unirektors Bernhard Eitel vielmehr auf der sicheren Seite. Das sei wie Artenschutz, meint er. Niemand schließe ein Fach, das es nur einmal gebe. Schließlich müsse der nötige Sachverstand erhalten bleiben, um das wissenschaftliche und das kulturelle Erbe zu sichern.

Zu kämpfen haben nach Meinung der Experten eher die Kernforschung oder die Meteorologie und das aus unterschiedlichen Gründen. Die Kernforschung ist durch den allgemeinen politischen Stimmungsumschwung ins Abseits geraten. Professoren klagen, „wer heute Kerntechnik studiert, wird gemobbt“. Die Meteorologie an den Universitäten wiederum wird durch Großforschung in den Schatten gestellt. Auf beide Fächer kann die Gesellschaft nach Ansicht der Experten aber nicht verzichten. Wer soll in den nächsten Jahrzehnten die Atomkraftwerke abbauen, wenn niemand mehr etwas von Kerntechnik versteht, fragen die Wissenschaftler. Klimaforschung wiederum sollte an verschiedenen Standorten so ausgestattet sein, dass sie sich gegen die Großforschung behaupten kann.

Seit 9/11 will niemand mehr die Islamistik abschaffen

Der Zeitgeist macht den Kleinen Fächern schwer zu schaffen. Das wurde auf dem Symposion schnell deutlich. Manchmal hilft er ihnen auch. „Islamistik war gefährdet, seit 9/11 traut sich niemand mehr, sie abzuschaffen“.

Das Exotentreffen in der Staatsgalerie ging auf eine Anregung des Wissenschaftsministeriums zurück. Schon Ende vorigen Jahres hat Ministerin Theresia Bauer (Grüne) eine Expertengruppe berufen, die ausloten soll, welchen Bedarf es künftig bei den Kleinen Fächern gibt und die außerdem eine Bestandsaufnahme erstellen soll. Das Symposion war der zweite Schritt. Den dritten soll ein Abschlussbericht bilden, der im Sommer erwartet wird.

Die Bestandsaufnahme indes gestaltet sich schwierig. Markus Hilgert, der Direktor des Vorderasiatischen Museums Berlin und Vorsitzender der vom Ministerium einberufenen Expertenkommission, ist durchaus auf Ressentiments gestoßen. Nicht alle Professoren von Orchideenfächern betrachten die „rote Liste“ als geschütztes Biotop. Wenn man sich erst mal als Kleines Fach geoutet habe, wecke das beim Ministerium sogleich den Kürzungs- oder Streichreflex, befürchten die anderen, hat der Altorientalist Hilgert erfahren.

Die Ministerin sagt, die Vielfalt an den Unis soll erhalten werden

Dazu gibt es nach den Erklärungen der Wissenschaftsministerin keinen Grund. Theresia Bauer hat schon zu Beginn des Prozesses erklärt, das Ministerium wolle die Vielfalt der Kleinen Fächer an den Universitäten bewahren. „Obwohl klein in puncto Personalausstattung, Studierendenzahl oder Anzahl der Universitätsstandorte sind die kleinen Fächer von unschätzbarer Bedeutung für die Grundlagenforschung und die Vielfalt des Denkens in unserer Gesellschaft“, versichert Bauer.

In Nöte geraten die Kleinen Fächer jedoch, wenn sie in den Struktur- und Entwicklungsplänen der Universitäten keine Rolle spielen. Wenn die Fächer zu klein werden, kann auch die Kompetenz verloren gehen, befürchtet die Ministerin. Über den richtigen Weg sind sich die Wissenschaftler noch nicht einig. In erster Linie geht es den Experten um den Erhalt der fachwissenschaftlichen Kompetenzen, ob das Fach als selbstständiges bestehen bleibt, ist für nicht wenige dabei zweitrangig. Die Zukunft liege nicht in Kleinststudiengängen sondern in Vertiefungsrichtungen größerer Studiengänge, sagen sie.

Geforderte Spezialkenntnisse verlängern die Studienzeiten

Ein Problem der Kleinen Fächer liegt oft darin, dass Spezialkenntnisse wie alte Sprachen nötig sind, das verlängert die Studiendauer, erhöht die Abbrecherquote und bringt die Universitätsleitungen politisch in Rechtfertigungszwang. Zudem fehlt häufig ein echter Arbeitsmarkt für Absolventen. Dennoch, sagen die Befürworter, seien eigene Studiengänge nötig. Sonst würden die Fächer zu Hilfswissenschaften degradiert, die Sichtbarkeit gehe verloren. Zu diskutieren sei ein landesweiter Finanzpool, über den beispielsweise Vertretungen und Forschungssemester organisiert werden könnten, regt etwa der Freiburger Rektor Hans-Jochen Schiewer aus der Arbeitsgruppe Rahmenbedingungen an. Für die Expertengruppe, die im Sommer ihren Abschlussbericht vorlegen will, erwartet Markus Hilgert, dass auf Landesebene „konkrete politische Lösungen“ erarbeitet werden können. Er hoffe, „dass damit in der deutschen Wissenschafts– und Hochschulpolitik ein Meilenstein erreicht ist, hinter den man nicht wieder zurück gehen kann“.