Wolfgang Niedecken eröffnet den Reigen der Scala-Konzerte in der Waldorfschule – und strotzt dabei vor Energie. Der 61-Jährige liest und singt und zelebriert für sein Publikum eine fast vierstündige Reise durch die Vergangenheit.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ludwigsburg - Ja, die Zeiten ändern sich. Das merkt man manchmal auch an Nebensächlichkeiten. An den Autos etwa, die am Donnerstagabend die ziemlich zufriedenen Konzertbesucher wieder heimgeschaukelt haben. Keine Rostbeulen wie einst, nur wenig Aufkleber. Kurz: propere Fahrzeuge mit glücklichen Menschen in mittleren bis fortgeschrittenen Jahren. Sie haben sich miteinander auf eine Zeitreise begeben. Durch das Leben von Wolfgang Niedecken und der Kölner Band Bap. Mancher wird an diesem Abend auch wehmütig über die eigene geschwundene Jugend sinniert haben. Der Bap-Frontmann hat mit seinem Soloprogramm „Für ‚ne Moment“ (so der Titel seiner 2011 erschienen Autobiografie) alle in die restlos ausverkaufte Festhalle der Waldorfschule Ludwigsburg gelockt. Das Scala hat hier seine Zelte für seinen Interimsbetrieb bis zum Wiedereinzug ins feste Haus aufgeschlagen – und fungiert nun selbst unter „Scala on Tour“.

 

Premiere fürs Scala in der Waldorfschule

Es war das erste Konzert am neuen Ort, und es war eine gelungene Premiere. Denn nicht alles verändert sich. Manches bleibt auch so, wie man es kennt und liebt. Bap-Konzerte, so werden sich die Altvorderen erinnern, dauerten gern bis nach Mitternacht. Nach drei Stunden Show hatten sich die Jungs erst richtig warm gespielt. Manchmal mussten die Hallenbetreiber das Licht anschalten, um den gegenseitigen Sympathiebekundungen von Publikum und Band endlich ein Ende zu bereiten. So wird es wohl auch damals vor knapp 30 Jahren gewesen. Am 1. Dezember 1982 war Bap das einzige – und bis dato letzte Mal – in Ludwigsburg. Verdammt lang her eben, um den Klassiker zu bemühen, der am Donnerstagabend natürlich – wenn auch nur mit akustischer Gitarrenbegleitung – zu hören war. Die Stadthalle war Niedecken anno 82 wohl suspekt, „was das Publikum aber wieder wettmacht“, wie er in seinem Tourtagebuch notierte.

Wer sich nun fragt, ob der 61-Jährige noch der Alte ist, kann sich entspannt zurücklehnen. Die graue Mähne wallt weiter, Jeans und Turnschuhe deuten ebenfalls nicht auf eine modische Kehrtwende hin. Und die Autokarawane verließ den Parkplatz kurz nach Mitternacht. Will sagen: Niedecken zelebrierte seinen Auftritt, der sich über knapp vier Stunden erstreckte. Da kann man nicht sagen, er sei auch nur irgendwie gehandicapt durch die Folgen des Schlaganfalls, der sich am Donnerstag jährt.

Von Schwächeln keine Spur

Es gab auf der nüchtern-schwarzen Bühne kein Ausbüxen und kein Verstecken. Das war Niedecken pur. Niedecken am Lesetisch mit Lesebrille (!), und Niedecken mit Gitarre und Mundharmonika stehend am Mikrofon. Von Schwächeln keine Spur. Nicht einmal ein Glas Wasser brauchte er, um mit durchdringender Stimme zu lesen und zu singen. Puristisch wirkte das. Es scheint fast, als nähere er sich mit dem Alter noch ein bisschen mehr seinem großen und bei seinen Konzerten so verschlossenem Idol Bob Dylan an. Niedecken lässt die Stille im Raum stehen, wenn er seinen Lesepart beendet hat, ans Mikrofon tritt und die Mundharmonika in der Halterung fixiert. Erst gegen Ende wurde das anders.

Aber da war die Fangemeinde schon wieder in der Gegenwart angekommen, nachdem sie gemeinsam mit dem Mann aus Köln vergangene Zeiten vor dem inneren Auge erlebt hatte: Niedecken und seine Eltern; der Vater, der beherzt eingreift, als er merkt, dass der Sohn im Internat misshandelt wird; Bap auf der Loreley, Bap als Vorgruppe der Rolling Stones; Niedecken mit dem Zimmermobiliar auf dem Hoteldach im bayrischen Deggendorf; Niedecken zusammen mit seinem Sohn in Uganda bei einem Projekt zur Wiedereingliederung von Kindersoldaten. Und die Musik? Der süffige Soundtrack zur Lesung und zu seinem Leben. Logo. Den „Jupp“ hat er übrigens nicht gespielt. Aber der Eintrittsstempel auf der Hand hält sich hartnäckig. Manches ändert sich halt doch nicht.