Jan Bosse inszeniert Ingmar Bergmans Zerfleischungsstück – und lässt Joachim Król und Astrid Meyerfeldt triumphieren. Am Ende dieser „Szenen einer Ehe“ ist das Publikum aus dem Häuschen.

Stuttgart - Am Ende dieser „Szenen einer Ehe“ ist das Publikum aus dem Häuschen. Beifallsstürme, Bravorufe und rhythmisches Klatschen, Begeisterung in allen Reihen, zehn entfesselte Minuten lang, nur die Zugabe-Rufe fehlen: Der Regisseur Jan Bosse hat den Stuttgarter Theatergängern ein Geschenk gemacht, auf das sie hörbar lange warten mussten. Und er legt seine wie eine Erlösung gefeierte, kluge, ergreifende, mit Humor und Schmerz ans Herz fassende Inszenierung auch dem Intendanten Armin Petras auf den Gabentisch, der sich zumindest in diesem Fall sicher sein kann: Das Schauspielhaus wird ausverkauft sein, wenn die in jeder Hinsicht makellosen „Szenen einer Ehe“ auf dem Programm stehen. Makellos, weil die zwei Darsteller des Abends den Regisseur und sein Konzept kongenial ergänzen. Joachim Król spielt den Johan, Astrid Meyerfeldt die Marianne – und beide durchleiden ihre skandalös vermurkste Beziehung mit einer Intensität, die alle Körperfasern und Nervenstränge aufs Höchste elektrisiert.

 

Am Anfang stehen Johan und Marianne vorne an der Rampe. Frontal und freundlich ins Parkett schauend, stellen sie sich dem Publikum als glückliches, erfolgreiches, aufgeklärtes Paar vor – und schon die Art, wie Król & Meyerfeldt aus der Selbstvorstellung eine Selbstdarstellung machen, nimmt den Ruin des Eheglücks mit subtiler Rhetorik und präziser Gestik vorweg. Er: forsch auftretend wie in einer Quizshow, zwanghaft gut gelaunt, selbstsicher hinter Ironie versteckt. Ein guter Steuerzahler sei er, behauptet Johan /Król, er erkenne die Regierung an, sei 52, was man ihm nicht ansehe, und obendrein ein „großartiger Liebhaber“ – und er gluckst als Humor in sich hinein, was er später als Hass ausspucken wird. Sie dagegen: unsicher auftretend, sich über ihren Beruf und ihre Töchter definierend und schon nach drei, vier dünnen Sätzen am Ende mit dem Selbstporträt. Hilflos lächelt Marianne / Meyerfeldt ihre Verlegenheit weg, unmerklich befällt sie eine leise Panik, von der sie später als Hysterie geschüttelt wird – später, wenn sie auf ihren Mann, ihr Mann auf sie losgeht und das Paar sich in Wortgefechten demütigt und mit Handgreiflichkeiten zerfleischt.

Bosse zaubert die Bilder mit emphatischer Kraft auf die Bühne

Denn genau das sind die„Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman: ein Zerfleischungsstück, das mit ungeheurem psychologischen Realismus den ewigen Geschlechterkampf mit brennender Schärfe ins Heute überträgt. „Ich habe drei Monate gebraucht, um dieses Buch zu schreiben, aber es hat mich lange Zeit meines Lebens gekostet, es zu erfahren“, sagt der schwedische Regisseur, der mit „Buch“ freilich Drehbuch meint: Die „Szenen einer Ehe“ basieren auf seinem gleichnamigen Filmdrama, das in den siebziger Jahren sowohl im Fernsehen als auch im Kino mit großem Erfolg lief, auch und gerade in Deutschland. In der Tat strotzt das allein auf Monologe und Dialoge setzende Psychogramm einer Ehe nur so vor geballter Liebes- und Lebenserfahrung, sich niederschlagend in einer Vielzahl peinsamer Momentaufnahmen. Bergman entwirft Bilder der Nähe und Distanz, der Entfremdung und Annäherung, des Verstehens und Missverstehens – und Bosse zaubert sie mit emphatischer Erfindungskraft auf die Bühne.

Noch während der prekären Selbstdarstellung von Johan und Marianne schiebt sich ihr Einfamilienhaus nach vorne: ein von Moritz Müller gebautes Raumlabyrinth, das vom Schlafzimmer im zweiten Stock überthront wird. Das Ehebett als heiliger, als mythischer Ort der Ehe, in dem nun freilich bürgerlich unheilige Themen verhandelt werden. Johan / Król hat sich in eine junge Frau verliebt und will sich scheiden lassen, Marianne /Meyerfeldt versucht, ihn zu halten. Und panisch und hysterisch redet sie los, sie wirft sich in einen Redefluss, an dessen Grund die Verzweiflung wie schweres Geröll mittransportiert wird. Und über dem Fluss rudert sie mit den Armen, weitet die Augen, strampelt mit den Beinen, ringt mit dem Atem und kämpft mit den Tränen – und Johan /Król verhärtet sich, wird böse und bösartig, wendet die Ironie in Sarkasmus und sagt verbittert: „Ich bin ein Arschloch. Und ich werde mich wie ein Arschloch benehmen.“

Sternstunde des Stuttgarter Theaters

Mit virtuoser Sensibilität stürzen sich die beiden Seelenspieler bis zur wahrhaftigen Selbstaufgabe in das Auf und Ab des Ehekriegs, souverän lotst sie die Regie über die intimen Schlachtfelder der Gefühle. Und immer wieder dreht sich die Bühne, die dafür Szenenapplaus erhält, und zeigt im Dämmerlicht ihre märchenhaft verwunschene Hinterseite: die von Moosen, Farnen, Orchideen überwucherte Fassade, die aus dem Eigenheim von Johan und Marianne ein Geisterhaus macht. Schemenhaft huschen und irren sie im Kellergeschoss umher, sie suchen sich selbst und einander, ein Alptraum der Einsamkeit und Verlorenheit, den Jan Bosse mit seiner anrührenden Schlussszene auskontert.

Im Film auf der Leinwand sieht man Johan und Marianne als altes Paar. Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz sind sie seit vierzig Jahren miteinander verheiratet. Die Krisen sind überstanden. Die Nähe, die Vertrautheit, die Liebe sind geblieben. Ist das Kitsch? Nein. Gerade die Unerbittlichkeit, mit der das grandiose Trio Bosse, Król, Meyerfeldt zuvor den Geschlechterkampf gezeigt haben, beglaubigt die Möglichkeit der Treue: Auch die Utopie gehört zu dieser umjubelten Sternstunde des Stuttgarter Theaters – und seines Neuanfangs.