2019 soll ein ehrgeiziges System starten, um den Weg jeder einzelnen Zigarettenpackung zurück zu verfolgen. Industrie und Handel sind alarmiert.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Der Zigarettenschmuggel prellt den Steuerzahler um Milliardensummen. Die Finanzminister der EU, Norwegens und der Schweiz hätten 2015 rund 11,3 Milliarden Euro mehr in der Kasse gehabt, wenn alle Zigaretten regulär versteuert worden wären. Damit stammt jede zehnte Zigarette, die sich die rund 150 Millionen Raucher anstecken, vom Schwarzmarkt. Nach einer Studie von KPMG wurden 2015 in der EU und den beiden Ländern rund 53 Milliarden illegale Zigaretten geraucht.

 

Die EU-Kommission will die kriminellen Strukturen zerschlagen und die Tabaksteuer sichern. Daher will sie das weltweit ehrgeizigste System gegen den Zigarettenschmuggel aufbauen. Dies wurde mit der Tabakproduktrichtlinie (TPD) beschlossen, die bis auf die Passage zur Schmuggelbekämpfung bereits im Mai in Kraft getreten ist. 2019 soll nun ein System zur Rückverfolgung dazu kommen, das im Fachjargon „Tracking and Tracing“ (Deutsch: Aufspüren und Verfolgen) heißt. Dabei ist vorgesehen, dass künftig der Weg einer jeden Zigarettenschachtel lückenlos dokumentierbar sein muss – und zwar von der Fabrik bis zum letzten Großhändler vor der Auslieferung an den Einzelhandel.

Wie in Brüssel und Berlin zu hören ist, rotieren die Behörden angesichts der zu bewältigenden Aufgabe. Derzeit hört die Kommission Wirtschaft und Verbände. Intensiv wird an einer zweiten Machbarkeitsstudie gearbeitet, nachdem die erste nicht zufriedenstellende Ergebnisse gebracht hat. Die Zeit tickt, und es tun sich immer mehr Fragen auf.

Es gibt große Zweifel, ob der aufwändige EU-Ansatz viel bringt

Die Chefin des Haushaltskontrollausschusses im Europa-Parlament, Inge Gräßle (CDU), sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Wir haben 2014 das Rückverfolgbarkeitssystem beschlossen, dessen technische Realisierbarkeit und Kosten zum derzeitigen Zeitpunkt aber leider nicht überschaubar sind.“ Die Heidenheimer Europa-Abgeordnete warnt: „Wenn wir am Ende einen Datenfriedhof mit Details zu jeder gerauchten Schachtel bekommen, dann haben wir etwas falsch gemacht.“

Niemand bezweifelt, dass der Zigarettenschmuggel besser bekämpft werden muss. Es gibt aber handfeste Zweifel daran, ob der EU-Ansatz mit einem logistisch aufwändigen System zur Rückverfolgbarkeit viel bringt. Damit würde man bei den legalen Strukturen ansetzen, nämlich bei der Industrie, beim Großhandel und den Zwischenhändlern. Dort tauchen aber die Zigaretten, die den Löwenanteil an der Schmuggelware haben, gar nicht auf. Die eingangs zitierte KPMG-Schmuggelstudie fächert den illegalen Markt auf: Bei rund einem Drittel der Zigaretten vom Schwarzmarkt handelt es sich nämlich um Ware, die in Fabriken außerhalb der EU unter Fantasienamen wie „Fest“, „NZ“, „Minsk“ oder „Jin Ling“ eigens dafür produziert wird, um sie illegal und ohne Steuerbanderole nach Europa und durch dubiose Kleinhändler unter die Raucher zu bringen. Selbstverständlich ohne dass dafür je ein Cent Tabaksteuer fließt.

Von diesen so genannten „Illicit Whites“ (deutsch so viel wie „illegale markenlose“ Zigaretten) wurden 2015 knapp 19 Milliarden Stück in Europa geraucht. Mehr als ein Viertel davon stammt aus weißrussischer Produktion.

Ein System zur Rückverfolgbarkeit wird Markenpiraten nicht das Handwerk legen

Klar ist: „Fest“, „Jin Ling“ und CO. tauchen EU-weit nicht im legalen Handel auf, was könnte da ein System zur Rückverfolgbarkeit, wie es die EU für 2019 vorschreibt, anrichten? Ebenso wenig wie gegen die gefälschten Zigaretten. Das ist das zweite Standbein der kriminellen Zigarettenbranche: Sie fälscht Markenzigaretten. Packungen von Marketing-Legenden wie Marlboro und Camel werden kopiert und mit Tabak gefüllt, der jedenfalls nicht den strengen Vorschriften an den Verbraucherschutz entspricht. Die illegalen Zigaretten, die auf das Konto von Produktpiraterie gehen, machen noch einmal knapp zehn Prozent des Schwarzmarktes aus (4,7 Milliarden Stück). Auch die gefälschten Markenzigaretten tauchen nicht im legalen Handel auf, ein System zur Rückverfolgbarkeit wird also auch nicht den Markenpiraten das Handwerk legen.

Das einzige Schmuggel-Segment, das erfasst würde, wäre der Schmuggel mit Markenzigaretten. Doch der hat eine immer geringere Dimension. Seit 2010 haben sich Philip Morris und die anderen international tätigen Tabakkonzerne gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, den Schmuggel mit ihren Produkten zu bekämpfen. Wenn Markenware, die etwa nachweislich in der Ukraine produziert wurde, von den Behörden irgendwo in der EU aufgegriffen wird, drohen den Konzernen empfindliche Strafzahlungen. Der Deal zeigt inzwischen Wirkung. 2010 wurden noch 22,2 Milliarden geschmuggelte Markenzigaretten in der EU beschlagnahmt, 2015 waren es gerade noch 6,5 Milliarden Stück.

Industrie und Handel sind alarmiert. Klar ist, dass sie die Kosten für das Rückverfolgbarkeitssystem tragen müssen. Sie befürchten, dass die EU und die Mitgliedsstaaten in der Umsetzung noch draufsatteln. Der Chef des europäischen Verbandes der Tabakgroßhändler (TGV), Paul Heinen, warnt: „Ein Weiterführen des Tracking und Tracing bis zum Warenausgang des Großhändlers wäre unverhältnismäßig.“ Es wäre sehr aufwändig und würde keine wesentlichen Informationen bringen, die nicht ohnehin in ähnlicher Form vorliegen. „Außerdem bin ich überzeugt, dass das System am eigentlichen Problem vorbeigeht: Es ändert nichts am Schmuggel von gefälschten Zigaretten, von Illicit Whites oder auch dem Schmuggel aus Herkunftsländern außerhalb der EU.“