Kämpferische Töne auf dem Marktplatz, keine Warteschlangen auf dem Stuttgarter Frühlingsfest: Der Feiertag ist in Stuttgart recht ruhig ausgefallen.
Stuttgart - Normalerweise ist der 1. Mai ein Tag, an dem man an der Grillstelle Schlange stehen muss. Oder braucht auf dem Wasen Geduld, um einen Sitz im Karussell zu ergattern. Oder man nimmt sein Bier und die rote Wurst auf dem Marktplatz im Stehen zu sich, weil die Bierbänke belegt sind. Doch dieses Mal ist alles anders. An den klassischen Zielen des Feiertags gab es jede Menge Platz für alle Beteiligten – und ebenso jede Menge Menschen, die sich von den winterlichen Temperaturen ihr Feiertagsprogramm nicht vermiesen ließen.
Kämpferisch trotz des Mistwetters war die Stimmung auf dem Marktplatz. Der Deutsche Gewerkschaftsbund stellte den Feiertag in diesem Jahr unter das Motto „Die Arbeit der Zukunft gestalten wir“. Eine der Kampfansagen der Gewerkschafter richtete sich an die Gegner des neu eingeführten Mindestlohns. „Wir wollen nicht zurück“, sagte Philipp Vollrath, der Vorsitzende des DGB-Stadtverbands Stuttgart. Er referierte zudem, dass die immer als „reich“ bezeichnete Landeshauptstadt viele verschuldete Privathaushalte habe. Das liege unter anderem auch am hohen Mietpreisniveau, bei dem ein Normalverdiener 60 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen ausgeben müsse.
Gewerkschafter verteidigen den Mindestlohn
Die Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier trat ebenfalls als entschiedene Verteidigerin des Mindestlohns auf. Sie habe sich den Jahresanfang ganz anders vorgestellt: „Ich wollte mich am ersten Januar freuen und ab dem 2. Januar gegen Ausnahmen und für eine Erhöhung kämpfen“, sagte sie. Stattdessen müsse sie seit dem 2. Januar gegen das Wort „Bürokratiemonster“ kämpfen. Das, worüber sich Arbeitgeber bei der Verwaltung des Mindestlohns beklagen würden, sei aufzuschreiben, wann Arbeitskräfte morgens anfangen und abends aufhören. „Wir Gewerkschaften können gerne Papier und Kugelschreiber vorbeibringen.“
Die aktuell größten Feinde der neuen Regelung sieht Breymaier in den Reihen des Hotel- und Gaststättenverbands. „Die wollen hintenrum den Zwölf-Stunden-Tag wieder einführen“, wetterte sie. Die Gewerkschaft habe vor 35 Jahren den Acht-Stunden-Tag erfolgreich erstritten. Bei ihrer kämpferischen Rede nutzte die Verdi-Chefin die Nähe zur Königstraße, um auf den Fall des Kaufhauses Karstadt hinzuweisen. Dieses würde geschlossen, die Immobilie als Haus in bester Einkaufslage angeboten. „Investoren und Kapitalisten haben das Haus zugrunde gerichtet“, schimpfte Breymaier, in der Folge würden Menschen ihre Arbeit verlieren.
Wenig Trubel auf dem Frühlingsfest
Im Vergleich zum Marktplatz ging es auf dem Wasen gemächlich zu. Keine Schlangen vor den Zelten, Fahrgeschäfte, die einen Teil der Kassenhäuschen schlossen und Zuckerwatte, die im Regen in Sekundenschnelle zerfiel: das Wetter hatte für die Besucher, die sich bei neun Grad nicht abhielten ließen, Vor- und Nachteile. Ein ganz klarer Unterschied zu wärmeren Tagen: Die Dirndl-Dichte ließ nach, Outdoorparkas lagen modisch hoch im Kurs.
Das lange Wochenende hatte am Donnerstag mit einer Schrecksekunde für das Frühlingsfest begonnen: Die Feuerwehr rückte an, weil an einem Wohnwagen ein Brand entdeckt worden war. Auf den Betrieb hatte der kleine Zwischenfall keine Auswirkungen, da er sich gegen 10.30 Uhr und damit vor der Eröffnung des Festbetriebs zutrug.