Mit dem Tag der offenen Tür am Samstag beginnt die Diskussion um die künftige Nutzung der Villa Berg. Eine Bürgerbeteiligung soll darüber entscheiden. Die StZ war vorab im Denkmal unterwegs.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die Natur hat sich die Villa Berg zurückerobert. Auf dem Dach des einstigen Landsitzes von König Karl und Zarentochter Olga wächst ein kleines Bäumchen. Im untersten Stockwerk des Gebäudes ist der Boden so wellig, als würde der Hügel erste Baumwurzeln vorschicken, um das Parkett zu durchbohren. Ein Stockwerk weiter oben stehen in der Toilette drei einsame Getränkebecher eines Energydrinkherstellers, der in der Villa Berg im Sommer vor zwei Jahren eine viel diskutierte Party veranstaltet hatte – nur für geladene Gäste. Im ehemaligen Sendesaal des Südwestrundfunks liegen die bei einem Einbruch in die Villa Berg herausgerissenen Teile der Walcker-Orgel auf der Bühne wie eine traurige Metapher für den bedauernswerten Zustand der Villa, in der einst Könige und Zaren feierten.

 

An diesem Samstag hat ein beispielloses Trauerspiel um die Villa Berg ein Ende. Die Stadt Stuttgart veranstaltet von 11 bis 18 Uhr einen Tag der offenen Tür. 2005 hatte der Südwestrundfunk (SWR) die Villa aufgegeben, nachdem er sie 1948 im Tausch gegen die Karlshöhe von der Stadt erhalten hatte. Seitdem versuchten sich einige Investoren erfolglos an einer Nutzung des Kleinods. Seit Kurzem ist die Villa wieder im Besitz der Stadt. Die hat die Villa Berg nun zur Chefsache erklärt. Für Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) ist das 1853 errichtete Gebäude eine Chance, nach der Bürgerbeteiligung zum Rosensteinviertel sich ein weiteres Mal als Stadtoberhaupt zu inszenieren, das den Bürger in seine Entscheidungen einbindet: „Bei der Villa Berg geht es mir um zwei Aspekte: um die künftige Nutzung des Gebäudes und um die Wiederherstellung des Parks, wie er einmal war“, sagt Kuhn und sieht sich dabei in der Tradition von Karl Lautenschlager.

Fritz Kuhn will die Villa Berg so schnell es geht an die Bürger zurückgeben

Der damalige Oberbürgermeister hatte das Gebäude 1913 von den Erben gekauft und es dann der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht, nachdem dem gemeinen Volk der Zugang zu Villa und Park ein halbes Jahrhundert lang verwehrt geblieben war. „Ich will die Villa und den Park an die Bürger zurückgeben – am liebsten schon innerhalb der nächsten fünf Jahre“, sagt nun Fritz Kuhn.

Mit dem Tag der offenen Tür am Samstag beginnt der Bürgerbeteiligungsprozess. Noch vor der Sommerpause soll es eine Auftaktveranstaltung geben, bei der über den Stand der baulichen Untersuchungen informiert werden soll. „Unser Ziel ist es, dass sich dann einzelne Projektgruppen bilden, die drei bis vier Nutzungskonzepte für die Villa Berg erarbeiten“, erklärt Matthias Bertram, der stellvertretende Leiter des Stadtplanungsamtes der Stadt Stuttgart. Bis Weihnachten soll es dann ein Abschlusspodium geben, bei dem die konkreten Ideen für die Nachnutzung vorgestellt werden. „Die Verwaltung will sich bei dem ganzen Prozedere ganz bewusst zurückhalten und keine Richtung vorgeben“, sagt Matthias Bertram weiter.

Horst Sondermann: Rundfunk hat mehr Schaden angerichtet als der Krieg

Eine herausragende Vorarbeit zur Zukunft des Gebäudes hat die Initiative Occupy Villa Berg geleistet. Im Dezember des vergangenen Jahres hat die Gruppe in einer Abschlussveranstaltung ihre Vorschläge an Fritz Kuhn übergeben. „Ein zukünftiger städtischer Beteiligungsprozess wird nur dann gelingen, wenn er die Bürgerinnen und Bürger motiviert, multiperspektivisch auf Villa Berg und Park zu blicken. Dazu braucht es professionelle, externe Partner und Budgets im Haushalt der Stadt Stuttgart“, fordert Christian Dosch von der Initiative Occupy Villa Berg.

Ein möglicher externer Partner könnte Horst Sondermann sein. Der Dekan der Fakultät Architektur und Gestaltung an der Stuttgarter Hochschule für Technik hat sich intensiv mit der Villa Berg und ihrer Geschichte auseinandergesetzt. „Der Süddeutsche Rundfunk hat an der Villa mehr zerstört, als es die Bomben im Zweiten Weltkrieg geschafft haben“, sagt Sondermann. Der zentrale Eingang der Villa sei zugemauert worden, das Erdgeschoss sei komplett abgetragen worden, um den Sendesaal einzubauen. „Wenn ein Investor sich so an der Villa vergriffen hätte, würden wir heute von einer furchtbaren Vergewaltigung eines Baudenkmals sprechen“, so Sondermann.

Der Sendesaal ist von großer Bedeutung für die künftige Nutzung

Für die künftige Nutzung der Villa Berg ist der ehemalige Sendesaal des damaligen Süddeutschen Rundfunks (siehe großes Foto oben) von herausragender Bedeutung. Um den Saal wird schon jetzt erbittert gestritten. Seine Sanierung dürfte einen Großteil der Kosten für die Villa Berg beanspruchen, die Matthias Bertram vom Stadtplanungsamt derzeit mit zehn Millionen Euro beziffert, „wobei das nur eine erste Schätzung ist“. Horst Sondermann hat zum historischen Sendesaal in Archiven geforscht. Seine Forderung: „Man muss den Sendesaal herausreißen, da er bei Weitem nicht so bedeutsam ist, wie es die innovative Raumstruktur der Villa einmal war.“

Die Einwände der Denkmalschützer, es handle sich um ein schützenswertes Bauwerk des bekannten Architekten und Designers Egon Eiermann, lässt Horst Sondermann dagegen nicht gelten. „Ich verstehe nicht, wieso hier reflexartig mit Eiermann gerufen wird. Alle Bauantragspläne sind von Adolf Mössinger unterzeichnet. Eiermann war am Sendesaal maximal beratend beteiligt.“

Fragt man bei der Stadt zum Sendesaal nach, erhält man zurückhaltende Antworten. „Der Eiermann-Saal hat eine wichtige Bedeutung. Ich will aber den Denkmalschutz nicht von vornherein gegen innovative Ideen der Nachnutzung ausspielen“, sagt OB Kuhn. Horst Sondermann wünscht sich für die Villa Berg einen Wettbewerb, bei dem Architekten aus der ganzen Welt ihre Ideen für die Nachnutzung der Villa vorstellen. Für Fritz Kuhn ist der Rahmen der künftigen Bespielung zumindest schon klar: „Die Zukunft der Villa Berg sollte in einer kulturellen und nicht in einer kommerziellen Nutzung liegen.“

Kuhn denkt drei Schritte weiter und hat vor allem mit dem Park große Pläne: „Wenn man die Villa und den Park in einem Luftbild betrachtet, kommt man ins Träumen: Gerne würde ich den Park in Richtung Neckar öffnen.“ Das sei eine riesige Chance für den Stuttgarter Osten. Das ist aber tatsächlich Zukunftsmusik für die Villa mit ihrer fast 170-jährigen Geschichte. Ab Samstag steht zunächst ein neues Kapitel für den ehemaligen Rückzugsort der adeligen Elite auf der Agenda: die Rückeroberung eines Baudenkmals durch die Bürger.