Exklusiv Seit die Skandale in der Transplantationsmedizin bekannt wurden, gehen die Organspenden zurück – auch in Baden-Württemberg. Am Samstag diskutieren Experten in Stuttgart darüber. Axel Rahmel von der Deutschen Stiftung Organtransplantation ist einer von ihnen. Er erklärt im StZ-Interview, wie Vertrauen zurückgewonnen werden soll.

Stuttgart - Auf die Qualität der Krankenhäuser, die Transplantationen vornehmen, wird stärker zu achten sein, sagt der neue Chef der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Axel Rahmel. Trotz des Rückgangs bei Organspenden sieht er in der Bevölkerung eine Aufgeschlossenheit, sich mit dem Thema zu befassen. Die Politik habe nach den Manipulationsskandalen, die im Juli 2012 bekannt wurden, rasch gehandelt und bessere Kontrollmechanismen eingeführt.

 
Herr Rahmel, wie kann der starke Rückgang bei Organspendern gebremst werden?
Wir können verlorenes Vertrauen nicht durch Worte, sondern nur durch Taten zurückgewinnen. Laut einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sehen drei Viertel der Bevölkerung Organspenden positiv. Nur elf Prozent geben an, sie würden nicht transplantiert werden wollen, wenn sie selbst bedürftig wären. Umfragen sagen leider auch, dass gegenüber der Organspende und ihren drei Säulen – Spende, Verteilung, Transplantation – Misstrauen entstanden ist. Knapp 50 Prozent erklären, ihr Vertrauen sei erschüttert. Es ist einfach, Vertrauen zu zerstören und schwer, es wieder aufzubauen.
Welche Taten schweben Ihnen vor?
Wir sind der Politik und der Bundesärztekammer dankbar dafür, dass sie nach den Manipulationsskandalen rasch Maßnahmen ergriffen hat: So wurde das Transplantationsgesetz angepasst und mit dem Sechs-Augen-Prinzip eine doppelte Kontrollinstanz eingeführt. Nicht nur die an der Transplantation beteiligten Ärzte, auch ein unbeteiligter, vom medizinischen Direktor ernannter Arzt muss jedesmal mitentscheiden, ob ein Patient auf die Warteliste für ein Spenderorgan kommt und welche Patientendaten übermittelt werden. Wir hatten schon immer eine externe Kontrolle der DSO und der Vermittlungsstelle Eurotransplant. Hinzugekommen ist die externe Kontrolle für die Transplantationszentren, die vom Skandal ja betroffen waren. Es gilt: tue Gutes und sprich darüber. Es bleibt abzuwarten, wie die neuen Maßnahmen wirken; die DSO wird ihren Teil dazu beitragen und ihre Anwendung unterstützen.
Was bringt das geplante Transplantationsregister?
Noch ist nicht entschieden, was drin stehen wird und wer das Register führt. Ich halte es persönlich für nicht so wichtig, wo die Registerstelle angesiedelt ist. Aber die erfassten Informationen sollten alle Aspekte der Transplantation abdecken: Wie ist der Zugang zur Warteliste, wie werden die Organe verteilt, wie sind die Ergebnisse nach der Transplantation? Wir haben in der Öffentlichkeit eine Debatte über diese Fragen – das ist verständlich –, und wenn wir die Daten haben, können wir auch besser über die Verteilungsregeln sprechen.
Hin und wieder wird über Fehler bei der Feststellung des Hirntodes berichtet, auch wenn diese zum Teil formaler Natur sind. Untergräbt das die Spenderbereitschaft?
Die Tätigkeit der DSO beginnt formal erst nach der Feststellung des Hirntodes. Er ist wichtige Voraussetzung für die Organspende. Deshalb ist es für uns von zentraler Bedeutung, dass der Hirntod nach den vorgeschriebenen Regeln festgestellt und dokumentiert wird.
Wie läuft die Todesfeststellung ab?
Die Richtlinien der Bundesärztekammer hierzu gliedern sich in drei Abschnitte. Zunächst müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss ein schwerer Hirnschaden vorliegen, der muss nachgewiesen und dokumentiert sein. Der Patient darf nicht unter dem Einfluss bestimmter Medikamente stehen, er darf nicht stark unterkühlt sein. Da ist ein ganzer Katalog an Kriterien abzuarbeiten. Sind die Voraussetzungen erfüllt, wird im zweiten Schritt festgestellt, ob die Funktionen von Großhirn, Kleinhirn und Stammhirn ausgefallen sind. Als letzter Schritt muss nachgewiesen sein, dass der Funktionsausfall ein dauerhafter Zustand ist. Dazu werden Untersuchungen nach einem festgelegten Zeitabstand von mindestens zwölf Stunden wiederholt oder technische Zusatzuntersuchungen durchgeführt.
In Medien ist kritisiert worden, dass die Vermittlungsstelle Eurotransplant die Fünf-Prozent-Grenze gekippt hat, bis zu der Organe an Ausländer vergeben werden, die nicht im Eurotransplant-Raum leben. Kommen reiche Drittstaatler künftig leichter an ein Spenderorgan bei uns?
Die alte Fünf-Prozent-Regel war nie verpflichtend, Eurotransplant kann ja nur das umsetzen, was der Gesetz- oder Richtliniengeber vorgibt. In deutschen oder europäischen Gesetzen steht nichts von den fünf Prozent. Hätte Eurotransplant die Begrenzung durchsetzen wollen, hätten sich Patienten auf die Warteliste klagen können, und das ist in der Tat passiert. Die Fünf-Prozent-Marke – sie galt für Herz, Lunge, Leber und nur für Menschen, die nicht in einem der Eurotransplant-Länder wohnen – hatte zudem einen weiteren Nachteil: Sie erweckte den Eindruck, man müsse bis zum Limit gehen. Die neue Regel bringt Transparenz: Für Non-Residents, die auf die Warteliste wollen, muss eine Statistik veröffentlicht werden. Da obliegt es den Transplantationszentren, die Aufnahme zu erläutern. Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Ausländer macht hier Urlaub und erleidet nach einer Pilzmahlzeit eine Knollenblätterpilzvergiftung mit Leberversagen. Soll man ihm sagen: Tut uns leid, du wohnst hier keine sechs Monate, da darfst du nicht auf die Liste und musst sterben? Das kann ja wohl nicht sein. Auf der anderen Seite bewirkt die neue Regel, dass Zentren, die mit Spenden im Ausland werben, das rechtfertigen müssen.
Braucht man wirklich alle Transplantationszentren?
Wir setzen uns für hohe Qualität bei Transplantationen ein. Da wird uns das Transplantationsregister helfen. Wenn es Zentren gäbe, die nicht mit hoher Qualität arbeiten würden, sollte man darüber diskutieren, wie man damit umgeht. Es geht um Struktur- und Ergebnisqualität. Zur Struktur gehören erfahrene Chirurgen und Ärzte für die Betreuung, Pathologen, Mikrobiologen, Immunologen – eine lange Kette. Auch das Pflegepersonal muss sich exzellent auskennen. Es kann nicht sein, dass jede Transplantation einen Lernprozess auslöst. Man könnte schauen, ob alle Zentren diese Strukturqualität besitzen. Aber die gute Struktur hilft nichts, wenn das Ergebnis nicht stimmt. Sie können auch ein technisch einwandfreies Auto an die Wand fahren.
Helfen Mindestfallzahlen?
Die sind kein guter Ratgeber, weil sie nichts sagen über die Qualität. Stanford in den USA – die Wiege der Herztransplantationen – macht nur 20 bis 25 Transplantationen im Jahr – aber mit höchster Qualität. Sie sind mit begrenzten Zahlen ein weltführendes Zentrum geworden. Auch könnten Mindestfallzahlen den Fehlanreiz setzen, statt Qualität Menge zu produzieren.
Warum sollte man Organe spenden?
Jeder Mensch sollte sich überlegen, ob er über den Tod hinaus nicht ein Geschenk an einen anderen Menschen vermachen kann – ein Geschenk an Lebensjahren. Wenn Sie tot sind, werden sie beerdigt oder kremiert, also verbrannt – wie auch immer. Aber Sie können über den Tod hinaus anderen helfen. Man könnte sich auch überlegen, ob man im Zweifelsfall selbst ein Organ empfangen würde. Das heißt aber nicht, dass es eine Verpflichtung werden sollte. Organspenden müssen freiwillig sein.