Altern in Deutschland und China: darüber haben sich Experten auf einer Veranstaltung in Heidelberg ausgetauscht. Veranstalter war das Konfuziusinstitut.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Es war eine junge Chinesin aus dem Publikum, die mit ihrer Frage sehr plastisch das Problem benannte, über das eine Reihe von Professoren zuvor diskutiert hatte. Sie studiere in Deutschland, ihre Eltern lebten in China und würden dort alt, und sie wisse nicht, wie sie sich verhalten solle. Der Spagat zwischen beruflichen Chancen und familiärer Tradition beschäftigte die Studentin, die zur Veranstaltung „Alter und Altersbilder in Deutschland und China“ des Heidelberger Konfuziusinstituts gekommen war.

 

Jie Chen, Professorin an der Fudanuniversität von Shanghai, griff die Frage auf. Sie selbst habe zwei Söhne, die in den USA wohnten und dort ihr eigenes Leben lebten, von denen erwarte sie nicht, dass sie zurückkehrten. Wenn sie es täten, wäre die Freude jedoch groß. Hans van Ess, der Leiter des Sinologie-Lehrstuhls an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gab der Studentin die Gewissheit mit auf den Weg, dass die Globalisierung auch in diesem Punkt zu Veränderungen in China führen werde. So wie sich das Altenbild in China im Laufe der Jahrtausende mehrfach gewandelt habe. Die Vorstellung, dass Gehorsam gegenüber den Alten schon immer ein Teil der chinesischen Kultur gewesen sei, stimme so nicht, hatte der Konfuzius-Experte van Ess zuvor ausgeführt. Zwar sei es richtig, dass zum Ende der Qing-Dynastie im beginnenden 20. Jahrhundert Eltern die Erlaubnis hatten, ihre Kinder zu verkaufen oder gar zu töten, in antiken Texten fänden sich jedoch zahlreiche Belege dafür, dass der Sohn seine Eltern rügen müsse, wenn diese Fehler machten. „Vieles, was der konfuzianischen Tradition zugeschrieben wird, ist eine spätere Entwicklung“, sagte van Ess.

Demografiewandel in China

Eine Entwicklung, die in der Gegenwart wieder vom Staat gefördert werde. 2011 wurde in China ein Gesetz diskutiert, welches Kinder dazu zwingen soll, ihre Eltern zu besuchen. Bilder und Geschichten, die kindliche Ehrfurcht heroisieren, seien in den 80er Jahren kaum zu sehen gewesen, nun rückten die in vielen Bereichen wieder in den Vordergrund, sagte van Ess.

Warum das so ist, hat Jie Chen mit Zahlen belegt. China hat zunehmend ein Problem mit der immer älter werdenden Bevölkerung. Im Augenblick sind rund sieben Prozent der Chinesen älter als 65 Jahre, in den nächsten fünf Jahren wird sich diese Zahl verdoppeln. „Die Gesellschaft wird alt, bevor sie zu Wohlstand gelangt“, sagt die Professorin aus Shanghai, „und die Regierung ist nicht darauf vorbereitet.“ Es fehle an Gesundheitsfürsorge und Rehabilitationsmaßnahmen, an Hilfe, Pflege und spezieller Unterstützung, die ältere Menschen brauchen. Zwar sei inzwischen ein Gesetz erlassen worden, dass die Rechte der Senioren stärke, aber dies allein reiche nicht aus. Systeme zur Pflegeversorgung steckten noch in den Kinderschuhen.

In Zukunft mehr Pflegekonzepte

Bei der Masse der Chinesen wiegt das doppelt schwer. Ein Vergleich in Zahlen: in wenigen Jahren ist die Zahl der Senioren in China dreimal höher als die Gesamteinwohnerzahl in Deutschland. Andreas Kruse, Leiter des Instituts für Gerontologie und verantwortlich für die Altenberichte der Bundesregierung, sieht einen Teil dieser für China neuen Probleme auch noch in Deutschland bestehen. „Wir müssen das Verständnis von Familie neu überdenken“, fordert der Experte. Auf die klassische Familie ließe sich ebenso wenig vertrauen wie allein auf die sozialen Sicherungssysteme.

Pflegegemeinschaften oder das Engagement von Freunden in der Pflege müssten mit bedacht werden. Das gelte im Übrigen auch international – nicht nur in Deutschland oder China.