Medien konzentrieren sich bei ihren Berichten aus Sicht der Betroffenen nicht immer auf das Wesentliche. Gemeinsam mit Journalisten ringen Peer Steinbrück und die ehemalige Kieler Bürgermeisterin Susanne Gaschke auf einer Tagung um Besserung.

Tutzing - An ihre schwärzesten Tage erinnert sich Susanne Gaschke noch immer, als sei es gestern gewesen. „Wenn man im Mietshaus Stockwerk um Stockwerk nach oben läuft und auf jeder Fußmatte siehst du die Titelseite mit deinem Gesicht liegen – da beginnst du dich zu fragen, wie du diesen Tag durchstehen sollst. Macht es überhaupt noch Sinn, zu deinem Termin mit den lokalen Wirtschaftsleuten zu gehen und über Zuschüsse für ein Sportinternat zu verhandeln?“

 

Gaschke sitzt auf dem Podium der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Unter dem Titel „Im Visier der Meute“ diskutieren hier Journalisten über das Verhältnis zwischen Medien und Politikern – ein Thema, zu dem die 49-Jährige viel zu sagen hat. Bevor sie als SPD-Kandidatin Oberbürgermeisterin in Kiel wurde, arbeitete sie als Redakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“ – seit ihrem Rücktritt vom Amt schreibt sie für die Tageszeitung „Welt“. Was dazwischenlag, ihr knapp einjähriges politisches Intermezzo, bezeichnet Gaschke heute als „ziemlich schrecklich und furchtbar“. Und sie hat daraus Konsequenzen gezogen: Sie habe sich bei einigen Menschen entschuldigt, über die sie vor ihrer Amtszeit journalistisch berichtet hatte.

Gaschke sieht sich als stigmatisiert an

Der Fall Gaschke ist kompliziert. Gestolpert war die 49-Jährige über eine umstrittene Steuerentscheidung – aber auch über Intrigen in der Landes-SPD, in der die Quereinsteigerin schlecht gelitten war. Gaschke macht daraus einen Dreiklang: Die Medien hätten entscheidend zu ihrem Untergang beigetragen, hätten sie „aus dem Amt geschrieben“. „Der Grundtenor war irgendwann einfach gesetzt. Ich war als Schuldige stigmatisiert.“ Wenn man als Politiker einmal in die Defensive geraten ist, sei es „unglaublich schwer, sich dagegen noch mit Argumenten wehren zu können.“ Gaschke geriet an ihre Grenzen: Sie brach in einer Pressekonferenz in Tränen aus, erlitt später einen Bandscheibenvorfall. „Es war der Punkt, an dem ich merkte: Jetzt gehst du kaputt. Jetzt geht deine Familie kaputt.“

Der Berufspolitiker Peer Steinbrück sitzt weitaus entspannter auf dem Podium. „Haben wir Journalisten sie fertiggemacht?“ Ohne Zögern verneint Steinbrück. „Mir ist klar, dass ein Kanzlerkandidat auf seinen Charakter, seine Eignung geprüft werden muss“, sagt Steinbrück. Geärgert habe ihn aber, dass seine inhaltlichen Vorstellungen in den Medien immer mehr zurückgetreten seien hinter seine Person: Hinter den „Problem-Peer“, der horrende Vertragshonorare kassiert und seinen Kritikern demonstrativ den Stinkefinger entgegenstreckt; der in einem Nebensatz äußert, dass er nie eine Flasche Pinot Grigio für unter fünf Euro trinken würde.

Der Journalismus, so der SPD-Politiker, litte unter drei schleichenden Tendenzen: Ein zunehmender Fokus auf Personen, eine Banalisierung der Inhalte und eine wachsende Skandalisierung. „Qualitätsjournalismus zeichnet sich aber doch dadurch aus, dass er herausarbeitet: Was ist wichtig, was ist unwichtig? In meinem Wahlkampf ging es immer mehr ums Unwichtige.“

Immer wieder der ähnliche Mechanismus

Es ist eine Diskussion, die inzwischen auch innerhalb der Branche entbrannt ist. Die Tagung in Tutzing wurde von der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche mitorganisiert. „Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo schrieb im Mai 2015 in einem Beitrag für das „Media-Magazin“: „Es lässt sich immer wieder derselbe Mechanismus beobachten: Von einem bestimmten Zeitpunkt an wird die Dauer der negativen Schlagzeilen zum eigentlichen Problem des Politikers, der Ausgangspunkt ist da längst aus dem Blickfeld geraten.“ Ein Dreigestirn aus „Medien, politischen Gegnern und Empörten im Netz“ schwinge sich zu einer virtuellen Gerichtsinstanz auf.

Beispiele gibt es dafür genug: Neben Christian Wulff etwa Karl-Theodor zu Guttenberg, aber auch Prominente wie Alice Schwarzer. Schuldlos sind diese Akteure nicht. Sie haben Fehler gemacht. Hinzu kommt ein oft desaströses Fehlermanagement. Allen gemeinsam ist, dass sie von einer Welle der medialen Aufregung fast gänzlich verschluckt wurden.

Es sind harte Worte, die der Branche in Tutzing ins Stammbuch geschrieben werden. Die anwesenden Journalisten ringen selbst um Antworten. Da ist der immer härtere Kampf um die Aufmerksamkeit der Leser in Zeiten des Online-Journalismus – und die fundamentale Frage, was der Leser von heute will. Da ist die einhellige Beobachtung, dass ein Text über Steinbrücks Stinkefinger besser geklickt wird, als sein Konzept zur Eurostabilisierung. „Es ist schon etwas schizophren, dass unsere Leser immer politische Analysen fordern – und am besten geklickt wird dann doch nur wieder die Fotostrecke über das schwedische Königshaus“, meldet sich ein Redakteur zu Wort.