Für Europa sind ja alle. Trotzdem läuft vieles momentan auf eine Stärkung der Nationalstaaten hinaus. In der Bevölkerung herrscht vielfach Desinteresse. Da können Männer wie der Europaparlamentarier Michael Theurer schon frustriert werden, wie sich bei einer Tagung in Bad Boll gezeigt hat.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Bad Boll - Er sei „Europas Sohn“, bekennt der Popliterat Heinz Rudolf Kunze in einem Lied auf seinem neuen Album. Und nicht nur, weil es sich so schön reimt, beschäftigt er sich darin mit dem Hohn, der ihm für dieses Outing entgegentönt. Deutschen Europaparlamentariern scheint es ganz ähnlich zu gehen, wie bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Bad Boll am Wochenende deutlich wurde. „Mehr Europa!“ war die als Vernetzungstagung konzipierte Veranstaltung überschrieben. Das werde zwar von den meisten befürwortet, sagte der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Rainer Wieland (CDU), aber dann werde regelmäßig ein „Aber“ hinzugesetzt. „Wir haben eine ziemlich durchwachsene Situation in allen Parteien“, bekannte der aus Gerlingen stammende Europaabgeordnete.

 

Europa ist nicht sexy

Allerdings seien nicht nur die Parteien schuld. Er mühe sich, für Europa zu werben. „Oberhalb von Table Dance bin ich zu allem bereit.“ Doch wenn er dann zu Veranstaltungen quer durchs Land fahre, spreche er oft vor gerade mal „achteinhalb Leuten, von denen siebeneinhalb nur gekommen sind, weil sie der CDU-Ortsvereinsvorsitzende vorher angerufen und bekniet hat“.

Die europäische Idee hat es in diesen Tagen, in denen in vielen Ländern nationalkonservative und rechtsradikale Parteien erstarken, schwer. Frustrationserlebnisse musste auch Wielands FDP-Kollege Michael Theurer, der Landesvorsitzende der baden-württembergischen Liberalen, im Europawahlkampf verarbeiten. „Ich treffe viele Menschen, die sagen, es hat eh keinen Wert, sich damit zu beschäftigen.“ Das sei eine Fehleinschätzung. „Der Bürger hat die Möglichkeit, über das Parlament Einfluss zu nehmen.“ Den Wunsch von Tagungsteilnehmern, die Parteien sollten gemeinsam ihre Spitzenkandidaten präsentieren, wies er zurück. Viele Entscheidungen im Europaparlament seien hochpolitisch und fielen oft knapp aus. „Es kommt nicht nur darauf an, dass gewählt wird, sondern auch, wer gewählt wird“, sagte Theurer.

Die Tagungsgäste halten Merkel für lau

Den Eindruck der Tagungsteilnehmer, es fehle auch der Bundeskanzlerin am notwendigen Engagement, wollte Theurer nicht bewerten. Richtig sei aber, dass Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher noch offen vom Ziel eines Bundesstaates Europa zu reden wagten. Viele heutige Staats- und Regierungschefs hätten hingegen kein positives Ziel, wo sie mit Europa hinwollten. Oft machten sie wie der britische Premierminister David Cameron Europa schlecht, um von eigenen Fehlern abzulenken. „Das ist unsäglich.“

Wieland sagte hingegen, Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble seien „gewiss ganz starke Europäer“. Das Problem sei, dass Gipfelergebnisse in den Medien immer noch national gewürdigt würden. Da stehe die Frage im Vordergrund, welches Land sich durchgesetzt habe. Mehr Europafreundlichkeit wünsche er sich aber auch vom Bundesverfassungsgericht. „Die Präambel unseres Grundgesetzes ist keine Verfassungslyrik“, befand Wieland. Das Deutsche Volk wolle „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen“, heiße es darin seit 60 Jahren.