Verdi verteidigt den Tarifabschluss bei der Post: Er sei besser, als es zunächst den Anschein habe. Vor allem das dicke Sicherungspaket wird hervorgehoben. In den umstrittenen Regionalgesellschaften will sich die Gewerkschaft nun aktiv einbringen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Bei der Post haben die Aufräumarbeiten begonnen – in vielfacher Hinsicht. Erst in der vergangenen Nacht zum Dienstag ist der Streik endgültig beendet worden, und es werden etliche Tage vergehen, um alle liegen gebliebenen Briefe und Pakete auszuliefern. Überall dort, wo die Streikbeteiligung besonders intensiv war, könnte es sogar noch länger dauern, bis die Rückstände abgearbeitet sind. Vier bis sechs Wochen hält man bei der Gewerkschaft für realistisch, bis die Zustellung wieder auf dem Laufenden ist.

 

Beseitigen müssen Unternehmen und Gewerkschaft auch die tarifpolitischen Trümmer, die die Eskalation hinterlassen hat. Ein Mindestmaß an Vertrauen herzustellen dürfte viel mehr Zeit benötigen. Dabei könnte das Tarifergebnis zur Befriedung beitragen, weil es aus Verdi-Sicht besser sei, als man es zunächst verkauft habe, wie es heißt. Den Streiktag nach dem Tarifabschluss hat die Gewerkschaft daher in erster Linie zur Aufklärung genutzt. Etliche Mitglieder äußerten schon die Ansicht, dass die Lohnzuwächse von 2,0 und 1,7 Prozent sowie die unveränderte Wochenarbeitszeit ein mäßiges Ergebnis seien – zumal die umstrittenen Regionalgesellschaften (DHL Delivery GmbH) nicht weggestreikt werden konnten. Dies sieht die Verdi-Führung anders. Im Zentrum ihrer Bewertung steht insbesondere der Schutz vor Beendigungs- und Änderungskündigungen, der nun um vier Jahre bis Ende 2019 verlängert wurde. Er gilt insbesondere für die derzeit 7650 Paketzusteller. Diese können dank einer individualrechtlichen Absicherung bei der Post AG bleiben – faktisch für den Rest des Arbeitslebens, wenn sie nicht freiwillig gehen. Sie müssen keine Abschiebung in eine Regionalgesellschaft befürchten. Da es sich um eine eher junge Truppe handelt, „werden wir noch eine lange Zeit Paketzusteller in der Post AG halten“, sagt Verdi-Landesfachbereichsleiter Arnold Püschel voraus.

Schutz vor Fremdvergaben in der Briefzustellung

In den 49 Regionalgesellschaften sind bis jetzt 6500 Mitarbeiter tätig – etwa die Hälfte stammt von der Post AG, weil dort zum Beispiel ihre befristeten Verträge nicht verlängert wurden. Diese gut 3000 Mitarbeiter haben künftig ein Rückkehrrecht, falls die Delivery Gesellschaften in wirtschaftliche Nöte kommen sollten. Das erreichte Einkommensniveau und andere Konditionen bleiben dabei bestehen.

Ungeachtet dessen plant die Post weiterhin, den Personalstand in den Regionalgesellschaften auf 20 000 aufzustocken – die neuen Kräfte dürften jetzt erst recht vom freien Arbeitsmarkt kommen. Verdi wird aber versuchen, in allen Delivery GmbH Betriebsräte zu gründen und sich aktiv zu organisieren. In Zukunft könnte die Gewerkschaft womöglich auch in den Regionalgesellschaften streiken. Püschel zeigt sich zuversichtlich, dass dieser Aufbau gelingt. Ende März 2016 laufe der Flächentarifvertrag für das Logistik- und Speditionsgewerbe aus. Dann dürften auch die Arbeitgebervertreter von Delivery am Verhandlungstisch sitzen – Seite an Seite mit ihren Mitbewerbern DPD oder UPS. „Dann haben wir eine neue Situation“, sagt er.

Bisher wird nur im Tarifgebiet Nordbaden-Württemberg der Speditionsbranche ein relativ hoher Stundenlohn gezahlt: Er beträgt 17,78 Euro und liegt damit sogar über dem Haustarif der Post von 17,62 Euro in der Endvergütung. In allen anderen Tarifgebieten liegt das Entgeltniveau für Logistikmitarbeiter deutlich darunter – es beträgt im Durchschnitt 13 Euro.

Noch zu viele Streikbrecher an Bord

Auch der Furcht, dass die personalintensivere Brief- und Verbundzustellung bald ebenso von Auslagerungen betroffen sein wird, soll der Tarifabschluss entgegenwirken. In den Bereichen gilt nun ein Ausschluss für Fremdvergaben bis Ende 2018. Bis dahin, meint der Landesfachbereichsleiter, könne man gewerkschaftliche Antworten finden und konfliktfähig werden.Ruhe wird bei der Post nach der Einigung von Bad Neuenahr nicht einkehren. Der Trend, sich der Billigkonkurrenz bei den Personalkosten anzunähern, hält an. „Ich gehe davon aus, dass wir eine konfliktreichere Zeit erleben werden“, sagt Püschel. „Unter der jetzigen Führung wird uns das Thema immer wieder begleiten.“ Diese Spitze gilt Vorstandschef Frank Appel, der das Sparprogramm mit Verve betreibt.

Aktuell beschäftigt Verdi aber eher der Druck auf einzelne Mitarbeiter, denen die Post nahelegt, in Urlaub zu gehen oder Arbeitszeitguthaben abzubauen. Der Grund: viele Verträge mit Leiharbeits-, Abruf- und Werkvertragskräften, die zum Bruch des Streiks angeworben wurden, laufen erst mal weiter. Jetzt hat man zu viele Mitarbeiter an Bord. „Dies könnte noch zu brenzligen Situationen in den Betrieben führen“, fürchtet der Verdi-Mann.