Die Politik hält sich normalerweise aus Tarifauseinandersetzungen heraus. Doch jetzt soll der Frust von Pendlern und Passagieren Rückenwind für die Gesetzespläne zur Tarifeinheit bringen. Auch künftig werden die Piloten streiken können.

Berlin - Die Regierung nutzt die Gunst der Stunde. Weil Bahnkunden und Flugreisende von den Streiks genervt sind, hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeschaltet. Die Streiks zeigten, dass es gute Gründe für das geplante Gesetz zur Tarifeinheit gebe, ließ die Regierungschefin wissen. Normalerweise hält sich die Politik aus Tarifauseinandersetzungen heraus. Doch dieses Mal ist es anders. Die Regierung hat selbst Karten im Spiel. Der Frust von Pendlern und Passagieren soll Rückenwind für die eigenen Gesetzespläne bringen. Die große Koalition will den Einfluss kleiner, aber durchsetzungsstarker Gewerkschaften begrenzen. Anfang Dezember will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) das Gesetz im Kabinett vorlegen. Dämmt die neue Regelung Streiks wirklich ein? Schon jetzt ist klar: die Folgen der geplanten Neuregelung sind weniger einschneidend als vielfach behauptet.

 

Was will die Regierung erreichen?

Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit soll dazu führen, dass Gewerkschaften enger zusammenarbeiten und ihre Tarifpolitik an der Gesamtbelegschaft eines Betriebs ausrichten. Seitdem das Bundesarbeitsgericht 2010 die Rechte kleiner Gewerkschaften gestärkt und die bis dahin geltende Tarifeinheit aufgekündigt hat, sind mehrere Tarifverträge für gleiche Berufsgruppen in einem Betrieb möglich. Deutlich zeigt sich das beispielsweise bei der Eisenbahnergewerkschaft GDL, die den Anspruch erhebt, neben den Lokführern weiteres Bahnpersonal zu vertreten, das bislang in einer anderen Gewerkschaft organisiert ist. Es kommt zu konkurrierenden Tarifverträgen. Das Ziel der Regierung lautet: Bei Überschneidungen soll der Tarifvertrag der Gewerkschaft angewendet werden, die im Betrieb mehr Mitglieder hat.

Was bewirkt das Gesetz in der Praxis?

Auch künftig wird es Streiks geben. „Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit würde natürlich nicht alle Streiks verhindern“, sagt Peter Weiß, der Vorsitzende des CDU/CSU-Sozialflügels im Bundestag. Nach den Überlegungen in der Koalition sollen sich die Gewerkschaften, die sich die Zuständigkeit für bestimmte Berufsgruppen aufteilen, weiter verfahren wie bisher. In der Praxis kommt es oft vor, dass sich mehrere Gewerkschaften zusammentun und an einem Strang ziehen – das gilt etwa für die Journalistengewerkschaften. Daran ändert das Gesetz zur Tarifeinheit wenig. Unberührt bleiben auch die Fälle, in denen sich Gewerkschaften absprechen und die Zuständigkeit verteilen. Das ist beim Flugpersonal der Fall. Die Piloten sind überwiegend in der Vereinigung Cockpit organisiert, die Flugbegleiter in der Organisation Ufo. Auch in diesen Fällen hätte das geplante Gesetz kaum Auswirkungen. „Das Gesetz würde an der aktuellen Tarifauseinandersetzung bei den Piloten nichts ändern“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Weiß. Die Gewerkschaften für das Flugpersonal könnten weiter getrennt verhandeln und getrennt streiken.

In welchen Bereichen wird das Gesetz wirken?

Spürbare Folgen sind bei der Bahn zu erwarten. „Das vorgesehene Gesetz greift in die Bereiche ein, in denen konkurrierende Gewerkschaften eine Berufsgruppe vertreten“, sagt der Unionspolitiker. Das trifft beispielsweise auf die Bahngewerkschaften zu. Tritt das Gesetz in Kraft, wird festgestellt, welche Gewerkschaft in dem jeweiligen Betrieb die meisten Mitglieder hat. Der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft soll künftig angewendet werden. Es gilt das Prinzip „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“. Dies bedeutet aber nicht, dass kleinere Spartengewerkschaften künftig nicht mehr streiken dürfen. Nach Meinung der Koalition soll aber auch die Spartengewerkschaft an die Friedenspflicht gebunden sein, die von der größeren Gewerkschaft ausgehandelt worden ist.

Das heißt in der Praxis: nach Ablauf der streikfreien Zeit dürfen alle Gewerkschaften zu Streiks aufrufen. Aus Sicht der Arbeitgeber hätte dies den Vorteil, dass die verschiedenen Gewerkschaften nicht mehr zu unterschiedlichen Zeiten Streiks anberaumen können. Für die Unternehmen bedeutet das Planungssicherheit.

Was steckt dahinter: Warum kommt das Gesetz?

Die Regierung greift mit den Gesetzesplänen den Wunsch von Arbeitgebern und Gewerkschaften auf. Im Jahr 2010 sprachen sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer gemeinsamen Erklärung dafür aus, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Vereint plädierten sie für eine gesetzliche Regelung, um die Tarifautonomie zu stärken. Das Gesetz zur Tarifeinheit sollte die Zersplitterung der Tariflandschaft und die Spaltung der Belegschaften verhindern sowie die Konflikte begrenzen, hieß es in der Erklärung. Nach anfänglicher Unterstützung äußert sich der DGB mittlerweile aber distanzierter. Seine Haltung bleibt bis jetzt unklar.

Gibt es viele Minigewerkschaften?

Nachdem das Bundesarbeitsgericht 2010 die Tarifeinheit gekippt hat, bilden sich immer mehr Spartengewerkschaften. So haben etwa Feuerwehrleute, die keine Beamte sind, eine eigene Gewerkschaft gegründet. Inzwischen sind der Gewerkschaft auch Flughafenfeuerwehren beigetreten. Deren Drohpotenzial ist enorm. Sind die Feuerwehrleute im Ausstand, stehen an den Flughäfen alle Räder still.