Im baden-württembergischen Einzelhandel peilen Arbeitgeber und Gewerkschaft für Donnerstag eine Tarifeinigung an – es wäre ein bundesweiter Pilotabschluss. Die veraltete Tarifstruktur wird allerdings noch immer nicht modernisiert.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die Tarifpartner im baden-württembergischen Einzelhandel steuern auf eine Einigung am kommenden Donnerstag zu. „Ziel ist ein Tarifabschluss“, sagte Verdi-Landesfachbereichsleiter Bernhard Franke dieser Zeitung. Kurzfristig hatten sich der Einzelhandelsverband und die Gewerkschaft auf den neuen Termin geeinigt. „In dieser Phase setzt man Verhandlungen an, um Ergebnisse zu erzielen“, hofft auch Philip Merten, Verhandlungsführer des Handelsverbands, auf einen Kompromiss. „Wir sind zu weit, um Showtermine zu vereinbaren.“

 

Nach Darstellung beider Seiten war schon in der fünften Verhandlungsrunde am 10. Juli eine Piloteinigung greifbar. „Wir haben aber keine bundesweite Akzeptanz für unseren Verhandlungsstand bekommen“, sagt Franke. Mittlerweile sei „einiges in Bewegung geraten“. So hat sich am vorigen Freitag die große Tarifkommission von Verdi darauf verständigt, wie man einem Abschluss nahe kommen kann. Von internem Beratungsbedarf, der mittlerweile genutzt worden sei, spricht auch Merten.

Abschluss im Groß- und Außenhandel gibt Richtung vor

Es hakt allein am Geld: Nachdem die Gegenseite zunächst eine Nullrunde angestrebt hätte, sei man am Verhandlungstisch nun im „grünen Bereich“, sagt Franke. Bisher wollen die Arbeitgeber ein Plus von 3,8 Prozent in zwei Schritten bieten. Die Richtung vorgeben könnte jedoch der Abschluss im Groß- und Außenhandel: Mitte Juni waren in der Schwesterbranche Gehaltserhöhungen um 2,5 und 2,0 Prozent bis Ende März 2019 vereinbart worden.

Dass die Unterhändler nah an der Einigung sind, hat viel mit den Streiks zu tun. „Wir haben nicht nur in Baden-Württemberg eine sehr breite Bewegung zustande bekommen“, schildert Franke. Dies sei den Arbeitgebern „sehr unangenehm“, „Sand im Getriebe“ sozusagen und „ein Grund, dass sie sich ein Stück weit bewegt haben“. Denn die Einzelhändler müssten „in aller Regel die Läden mit Notbesetzungen aufrecht erhalten“ oder massiven Aufwand betreiben, um Streikbrecher zu beschaffen.

Etwa 125 Betriebe im Südwesten bestreikt

Allein in Baden-Württemberg, so Franke, seien etwa 125 Betriebe bestreikt worden. „Das ist in etwa unser Potenzial, das nur mit großer Kraftanstrengung ausgeweitet werden könnte.“ In vielen Betrieben hätten Mitglieder bis zu 16 Streiktage absolviert. Zudem hätte Verdi flexible Streikformen entwickelt, bei denen Belegschaften erst mittags auf Zuruf auf die Straße gehen. Merten, der bei der Rewe Group als Bereichsleiter Personalmanagement tätig ist, bestätigt, dass die Streiks „Druck entfaltet“ hätten. „Verdi hat mit den Aktionen das Streikniveau der vorigen Tarifrunden erreicht“, sagt er. Dennoch kommen weitere tarifpolitische Vorhaben kaum voran. So mussten sich die Arbeitgeber von der Idee einer dritten, dauerhaften Einmalzahlung im Jahr verabschieden, um die tarifliche Altersvorsorge zu stärken. „Damit würden wir deutlich mehr gegen Altersarmut tun als durch eine Erhöhung der Lohntabelle“, argumentiert Merten. „Wir haben aber keinen Partner für dieses Element gefunden.“

Die Tarifstruktur ist renovierungsbedürftig

Auch die Überarbeitung der noch aus den fünfziger Jahren stammenden Tarifstruktur lässt weiter auf sich warten. Seit Jahren peilen beide Seiten eine Reform an und haben sich zu Verhandlungen darüber verpflichtet. Die Arbeitgeber haben schon vor längerer Zeit einen Entwurf auf den Tisch gelegt, um bei der Entlohnung des Verkaufspersonals stärker differenzieren zu können – eine Abwertung gering qualifizierter Mitarbeitern inklusive. Und sie machen zur Voraussetzung, dass die neue Struktur bundeseinheitlich gelten soll.

Verdi hat die Hoheit über diese Verhandlungen auf vier Tarifgebiete verteilt und tut sich schwer, eine gemeinsame Position zu finden. Dies hat auch mit der Angst vieler Beschäftigter zu tun, dass sich ihre Bedingungen verschlechtern könnten. Die Gewerkschaft will eine Abwertung im Prinzip nicht zulassen und setzt eine Aufwertung von Tätigkeiten, die neu einzustufen seien. Damit soll der Arbeit im Handel ein höherer Stellenwert verliehen werden.

Die neue Tarifstruktur müsse auch den Interessen der klein- und mittelständischen Betriebe entsprechen, mahnt Merten. Erst danach ließe sich prüfen, ob es geeignete tarifliche Inhalte gibt, die – wie es Verdi seit Langem fordert – für allgemeinverbindlich erklärt werden könnten.