Bei dem Streit im kommunalen Nahverkehr geht es nicht nur um mehr Geld oder Urlaubstage. Die Arbeitgeber wollen Stärke zeigen.

Stuttgart - Die erste Pressekonferenz von Verdi Baden-Württemberg im neuen Domizil an der Theodor-Heuss-Straße 2 in Stuttgart hatte am Montag gleich ein sehr gewerkschaftsspezifisches Thema: Arbeitskampf im Nahverkehr. Am Mittwoch stehen aber nicht in allen betroffenen acht Städten im Land, sondern zunächst nur in Heilbronn, Karlsruhe, Baden-Baden und Konstanz alle Bahnen und Busse der kommunalen Verkehrsbetriebe still. "Wir starten auf die sanfte Art", erklärte Rudolf Hausmann, der Verhandlungsführer der Gewerkschaft. Schließlich habe man bei dem zweitägigen Warnstreik in der vergangenen Woche deutlich gezeigt, was man könne.

 

Aber schon am Donnerstag will Verdi auch seine besonders kräftigen Muskeln zeigen: Dann bleiben bei den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) alle 276 Linienbusse und 164 Stadtbahnen in ihren Depots. Und Hausmann ließ keinen Zweifel daran, dass auch in Esslingen, Freiburg und Pforzheim der Arbeitskampf jederzeit beginnen kann. Das müsse aber nicht unbedingt bedeuten, dass Bus und Bahn nicht ausrückten. "Es könnten ja auch die Fahrkartenkontrolleure streiken", stellte er klar. Und es gebe noch etliche andere Bereiche, in denen man die Arbeitgeber hart treffen könne, ohne Fahrgäste auszuladen.

Verdi will Bürger rechtzeitig informieren

Gerade gegenüber der Öffentlichkeit gelobte Verdi am Montag absolute Verlässlichkeit: Man werde die Bürger immer rechtzeitig informieren. Wie es in dem "möglicherweise wochenlangen Arbeitskampf" weitergeht, will die Gewerkschaft stets zwei Tage vorher bekanntgeben. "Wir streiken ja nicht gegen Pendler, sondern gegen Arbeitgeber", betonte die Verdi-Landesbezirksleiterin Leni Breymaier. Man sei sich völlig darüber im Klaren, dass ein Arbeitskampf im Nahverkehr viele Menschen betreffe.

"Mit dem letzten Mittel Streik versuchen wir sehr verantwortungsvoll umzugehen", sagte Breymaier. Die letzte große Arbeitsniederlegung im Nahverkehr habe es 1992 gegeben. Im vergangenen Jahr hätten die Beschäftigten lediglich an einem Tag und 2008 an zwei halben Tagen gestreikt.

"Nun muss es wieder sein", lautete am Montag Breymaiers Botschaft. "Wenn die Menschen an 365 Tagen im Jahr sicher und umweltfreundlich zur Arbeit kommen sollen, dann brauchen wir auch gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung für die Beschäftigten im Nahverkehr." Und da liege einiges im Argen.

"Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen"

"Deshalb akzeptieren wir auch nur einen Tarifabschluss, der sich nach vorn bewegt", erklärte Verhandlungsführer Hausmann. Die Gespräche mit den "unwilligen Arbeitgebern" bezeichnete er als schwierig, "weil es in den vergangenen 15 Jahren für die Kollegen im Nahverkehr leider immer nur bergab gegangen ist". Die dabei erlitten Gehaltsverluste bezifferte der Gewerkschaftsmann auf "rund 30 Prozent". Da gebe es viel Nachholbedarf. Es könne nicht sein, dass Schichtdienstler im Nahverkehr im Jahr bis zu sechs Tage weniger frei als in anderen Berufen hätten. "Müssen Sie Urlaub nehmen, wenn Sie an einem Feiertag dienstfrei haben möchten?"

Zu den wichtigen Tarifzielen zählt Hausmann auch den Nachteilsausgleich für gewerkschaftlich organisierte Kollegen (siehe Text unten). Die finanzierten nämlich mit ihren Beiträgen und ehrenamtlicher Tätigkeit die tariflichen Erfolge, die letztendlich allen in der Branche zugutekämen. "Dafür möchten wir für Verdi-Mitglieder 50 Euro zusätzlich im Monat für die Altersversorgung haben", so Hausmann. Diese Forderung gilt als einer der beiden ganz großen Knackpunkte im Streit mit der Arbeitgebervereinigung (KAV), die die Bonusregelung für Verdi ablehnt. "Wir möchten keine Spaltung der Belegschaft", sagt der KAV-Hauptgeschäftsführer Joachim Wollensak. Auch die von Verdi verlangte Abkopplung des Nahverkehrs aus der Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes sei undenkbar. "In diesen beiden Punkten gibt es für uns keinen Bewegungsspielraum." Dennoch sei man verhandlungsbereit. Die Gewerkschaft habe sich aber durch die Urabstimmung unter Druck gesetzt.

"Wir suchen händeringend Personal"

Das sieht der Kontrahent Hausmann naturgemäß anders. "Das Ergebnis der Urabstimmung mit fast 97 Prozent Zustimmung zeigt doch, wie kampfbereit wir sind." Rund zwei Drittel der 7500 Beschäftigten des Nahverkehrs im Land seien organisiert und zum Arbeitskampf bereit. "Wir müssen intern schon erklären, warum wir so sanft mit dem Streik beginnen." Den Arbeitgebern wirft Hausmann "Behauptungen neben der Wahrheit" vor. Viele Offerten - etwa die zur neuen Entgeltstruktur - hätten sich als Nullangebote oder gar als Verschlechterungen entpuppt. "Dennoch sind wir jederzeit gesprächsbereit, wenn etwas Verhandelbares auf den Tisch kommt." Am Montagabend sondierten KAV und Verdi noch einmal mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Verhandlungen, die es frühestens am 27. Oktober geben könnte - aber ohne ein greifbares Ergebnis.

"Wir brauchen endlich bessere Rahmenbedingungen", betonte der SSB-Betriebsratschef Klaus Felsmann. "Es geht unter anderem um mehr freie Tage für die dauernde Schicht- und Feiertagsarbeit, die den Kollegen am Steuer eines Linienbusses oder einer Stadtbahn auf die Knochen geht." Auch müssten die Fahrer den Weg von der Endhaltestelle zum andernorts geparkten Privat-Pkw bis jetzt in der Freizeit zurücklegen. "Und denken Sie mal daran, wie stressig ein Stau auf der Autobahn sein kann." In Stuttgart stünden die Busfahrer der SSB angesichts des dichten Stadtverkehrs praktisch dauernd im Stau. "Wir suchen händeringend Personal", so der Betriebsrat. Aber nach 17 Jahren verdiene ein Busfahrer nur etwas mehr als 2500 Euro brutto im Monat. "Bei den Mietpreisen in Stuttgart kann damit niemand große Sprünge machen."

Ein umfangreiches Forderungspaket

Ziele: Verdi verlangt bei den Manteltarifverhandlungen für den Nahverkehr im Land eine Anhebung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes auf 100 Prozent. Der Jahresurlaub soll für alle Beschäftigten 30 Tage betragen. Außerdem will Verdi gleiche Arbeitszeiten für Fahrer und Angestellte sowie eine Sonderregelung für Gewerkschaftsmitglieder bei der Altersversorgung durchsetzen.

Einkommen: Verdi zufolge verdient ein Busfahrer nach 17 Jahren Berufstätigkeit in der Endstufe 2554 Euro brutto im Monat. Das Einstiegsgehalt beträgt 2300 Euro. Maßgebend ist die 39-Stunden-Woche.

Organisationsgrad: Tangiert von dem Konflikt sind bis zu 8000 Beschäftigte - gut die Hälfte sind Bus- und Stadtbahnfahrer. Bei den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) chauffieren 1200 von 2800 Mitarbeitern Fahrgäste durch die Stadt. Verdi organisiert eigenen Angaben zufolge zwei Drittel der Beschäftigten.