„Nachbarn“, der neue „Tatort“ aus Köln, zeigt eine kleine Welt mit tiefen Abgründen. Die Kommissare Ballauf und Schenk ermitteln zwischen den Reihenhäusern der Vorstadthölle.

Stuttgart - Was für eine Idylle: geschnittene Hecken, einer winkt in Zeitlupe über den Gartenzaun, lächelnde Menschen überall, glückliche Kinder hüpfen, Mutti hängt die schneeweiße Wäsche an die Leine, und im Hintergrund läuft „Happy“ von Pharrell Williams. Dennoch: ein rundum mieser Tag für Werner Holtkamp. Der Mann stürzt von einer Brücke und wird dann noch von einem Lastwagen erfasst. „Das Gute ist: Davon hat er nichts gemerkt,“ sagt der Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth (Joe Bausch), „da war er schon drei Stunden tot.“ Auch die Tatsache, dass Holtkamp vor seinem Tod noch Geschlechtsverkehr hatte, macht den Tag nicht besser. Denn schnell stellt sich heraus, dass er in seinem Bett erschlagen wurde. Zu Hause, inmitten der Idylle einer Kölner Reihenhaussiedlung.

 

Die nachbarschaftlichen Gepflogenheiten dieser heilen Welt spotten allerdings jeder Beschreibung. Der Verstorbene lieferte sich seit Jahren einen erbitterten Kampf mit Leo Voigt (Werner Wölbern). Ein Gericht hatte entschieden, die Grenze zwischen den Grundstücken sei nicht korrekt gezogen worden, weshalb es Holtkamp Teile von Nachbars Garten zusprach. Doch während der Zuschauer noch „Kleinbürger“ denkt, stoßen die ermittelnden Zaungäste Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bereits das Tor zur Hölle mit dem Kopf auf.

Ob Voigts apathische Stieftochter Sandra (Claudia Eisinger) und deren Tochter Mira, die glattpolierte Musterfamilie Scholten (Julia Brendler und Florian Panzer) oder die herrlich psychotischen Anne und Frank Möbius (ganz stark: Birge Schade und Stephan Grossmann): Hier lauern dunkle Geheimnisse, Tragödien und Abgründe, während draußen die Kinder spielen. Fast freut man sich, dass sich Freddy Schenks eigene Nachbarschaftsprobleme lediglich auf einen renitenten Papagei beschränken.

Der Regisseur Torsten C. Fischer und sein Autor Christoph Wortberg lassen in „Nachbarn“ kaum eine Gelegenheit aus, die Vorstadthölle aus Schein und Sein, Lug und Trug mit Abscheu und Ekel zu betrachten. „Desperate Housewives“ in Köln, mit Verflechtungen, die fast wie eine Hommage an Shakespeare wirken. Okay, Shakespeare light. Aber immerhin: atmosphärisch dicht, verstörend und abermals wohltuend unpädagogisch.

ARD, Sonntag 20.15 Uhr