Warum der FC Bayern München ohne Ulrich Hoeneß nicht mehr der FC Bayern München mit Ulrich Hoeneß ist. 35 Jahre hat er den Verein geprägt, wie vor ihm noch keiner jemals einen Verein geprägt hat.

Stuttgart - Die Kinder, die sich an diesem Samstagnachmittag vor der Haupttribüne versammeln, sind zufrieden. Denn Ulrich Hoeneß erfüllt alle Autogrammwünsche, die an ihn vor der Partie des FC Bayern gegen den VfB Stuttgart herangetragen werden. Anschließend sieht er einen 1:0-Erfolg seiner Mannschaft. Es ist der 10. Mai 2014. Das war der letzte Auftritt von Hoeneß in der Münchner Arena.

 

Am 13. September 2014 treffen die Bayern erneut auf den VfB. Dieses Mal gewinnen sie mit 2:0. Vor, während und nach dem Spiel gibt es nichts mehr, was an Hoeneß erinnern würde. Er sitzt in der Justizvollzugsanstalt Landsberg. Im März war er wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 28,5 Millionen Euro zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden, die er am 2. Juni angetreten hat. Die 90 Minuten verfolgt er jetzt wahrscheinlich am Radio. Und die Kinder vor der Haupttribüne bitten andere Promis um Autogramme.

Um Hoeneß ist es ruhig geworden. Wenig dringt nach draußen – höchstens dass er in Landsberg in der Kleiderausgabe arbeitet. Oder dass ihn schon frühere Weggefährten besucht haben, etwa Ottmar Hitzfeld, Jupp Heynckes, Pep Guardiola, Franck Ribéry, Günter Netzer oder Karl-Heinz Rummenigge. Was Hoeneß über die Entwicklung beim Rekordmeister seit dem 10. Mai denkt, ist dagegen ungewiss. Aussagen von ihm gibt es dazu jedenfalls nicht.

Aber der FC Bayern ohne Hoeneß ist nicht mehr der FC Bayern mit Hoeneß.

35 Jahre hat er den Verein geprägt, wie vor ihm noch keiner jemals einen Verein geprägt hat. Er hinterließ ein Vakuum, das nun speziell Rummenigge auszufüllen gedenkt. Er betrachtet sich offensichtlich als neuen Chef der Abteilung Attacke, der Hoeneß seit 1979 vorgestanden ist – doch beim Nacheifern wirkt vieles unausgegorener als unter dem alten Chef.

Das ist beispielsweise so, wenn Rummenigge wie am Samstag im Stadionheft zu einem Rundumschlag gegen die Medien ansetzt – nur weil zuletzt geschrieben wurde, dass das spanische Element durch die Transfers von Alonso, Reina und Bernat im Team der Bayern weiter Zuwachs bekommen hat. Da spricht Rummenigge dann von „einer schäbigen Kampagne“. Eine Attacke um der Attacke willen ist auch, wenn er sich wie seit Wochen verbal mit Borussia Dortmund bekriegt – eine Dauerfehde, die den Fans zunehmend auf die Nerven geht.

Das sind Hinweise auf eine Unternehmenskultur im Wandel. Aber womöglich finden die Nachfolger von Hoeneß bald ja eine eigene Identität und emanzipieren sich. Daraus könnte sich allerdings ein Problem ergeben, wenn Hoeneß nach Verbüßen seiner Strafe wieder auf der Tribüne sitzt. „Das war’s noch nicht“, sagte er vor seinem Haftantritt. Er will also zurück – sicher nicht zum Autogramme schreiben.