Man kann nicht gerade sagen, dass Stuttgarter Schulen ein Gewaltproblem hätten. Und doch werden der Stuttgarter Polizei zunehmend Straftaten angezeigt. Auch für 2016 zeigt der Trend nach oben. Dass es unter Schülern offenbar stärker brodelt, dafür haben Experten durchaus Erklärungen.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Die beiden 13-Jährigen werden in schlechter Erinnerung bleiben – auch wenn im Königin-Katharina-Stift inzwischen wieder Ruhe eingekehrt ist. Das polizeibekannte Duo aus dem Rems-Murr-Kreis hatte im Gymnasium in der Innenstadt zu Jahresbeginn Angst und Schreckenausgelöst. Einzelne Schüler waren auf dem Schulweg oder in der Pause drangsaliert worden, der Rektor hatte einen Rundbrief herausgegeben. Die jüngeren Schüler sollten den Mittag auf dem Schulgelände und nicht im Park verbringen.

 

Inzwischen hat die Polizei die Lage rund um den Hauptbahnhof wieder im Griff, nicht zuletzt durch die sogenannte Sicherheitskonzeption mit zusätzlichen Beamten. Dafür gibt die allgemeine Polizeistatistik Alarm: Die Straftaten in und um Schulen nehmen stetig und deutlich zu. Wie unsere Zeitung erfuhr, stieg die Zahl der Fälle von „Straftaten im Zusammenhang mit dem Schulbesuch“ im Jahr 2015 um knapp 41 Prozent auf 121 Delikte. „Im Jahr 2016 ist der Trend bisher ähnlich“, sagt Polizeisprecher Thomas Doll. Demnach würde das Niveau von 2015 wohl erneut übertroffen. Ein trauriger Rekord seit Einführung der neuen Zählweise vor neun Jahren.

Vieles liegt in einem großen Dunkelfeld

Die Polizei warnt indes vor zu großer Aufregung: „In diesen Zahlen sind auch ungewöhnlich viele Anzeigen wegen Beleidigung und Sachbeschädigung enthalten“, sagt Polizeisprecher Doll, „mit Gewalt hat das weniger zu tun.“ Dennoch: 69 einfache und 18 gefährliche Körperverletzungen sind Werte, die schon die Gesamtzahl von 2012 und 2013 bei Weitem übertreffen. Womöglich hängt dies auch mit der allgemein gestiegenen Jugendkriminalität zusammen. Die Zahl der erwischten Tatverdächtigen unter 21 Jahren hatte 2015 um knapp 21 Prozent zugelegt. Aber eine wirkliche Erklärung hat die Polizei nicht: „Weil es generell ein großes Dunkelfeld gibt, hängt vieles auch vom Anzeigeverhalten der Betroffenen ab.“ Letztlich seien die polizeilichen Zahlen allein wohl kein Gradmesser für das Klima an den Schulen.

Einzelfälle prägen das Bild. Etwa der gedankenlose Umgang mit einer Spielzeugpistole, die ein 15-Jähriger in Untertürkheim mit in den Unterricht nahm, was einen größeren Polizeieinsatz auslöste. Oder der Zettel mit einer Bombendrohung, der zur Evakuierung zweier Schulen in Zuffenhausen führte. Generell aber, so Oliver Herweg vom Jugendamt, gebe es keine Hinweise, dass „das Thema Schulgewalt in den zurückliegenden Monaten eine auffällig zunehmende Bedeutung erlangt hätte“.

An Schulen geht es immer enger zu

Erklärungen für stetig steigende Zahlen könnte es dennoch geben. „An vielen Schulen gibt es eine enorme Raumknappheit, mehr Schüler, größere Klassen“, sagt Wolfgang Riesch, bei der Evangelischen Gesellschaft für Schulsozialarbeit an 32 Schulen zuständig. „Beengtes Zusammenleben“, sagt Riesch, „ist ein Stressfaktor.“

Jutta Jung von der Caritas verweist darauf, dass die Heterogenität, die Vielschichtigkeit in den Klassen deutlich zugenommen hat. Die Anforderungen bei den Eingangsklassen seien deutlich gestiegen. Gymnasien verzeichneten einen enormen Zulauf, „und viele gehen in der Raumfrage auf dem Zahnfleisch“. Kein Wunder: Knapp 60 Prozent der Viertklässler wechseln in Stuttgart aufs Gymnasium. Zum Vergleich: Im Landesschnitt sind es nur 43 Prozent.

Manfred Rittershofer vom Staatlichen Schulamt verweist darauf, dass gestiegene Zahlen kein Hinweis darauf seien, dass es an Schulen immer brutaler zugehe. Im Gegenteil: „Die schweren Fälle, bei denen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Schulausschluss fällig werden, haben im Lauf der letzten Jahre abgenommen“, so Rittershofer. Gut gefüllte Klassen in den Realschulen gebe es schon seit Jahren, sagt der Schulamtsdirektor. Die zunehmende Heterogenität der Schüler müsse nicht zwangsläufig zu mehr Stress und Gewalt führen, „das ist eher ein Problem des Unterrichts“. Rittershofer sieht zu Sorge keinen Anlass: „Im Vergleich mit anderen Ballungszentren in Deutschland haben wir in Stuttgart sehr, sehr wenige Probleme.“