Der düstere Schweizer „Tatort: Zwei Leben“ verlangt vom Zuschauer Einfühlsamkeit und Sitzfleisch.

Lokales: Tom Hörner (hör)

Stuttgart - Katzen habe sieben Leben, Menschen in Ausnahmefällen auch mal zwei. Letzteres lehrt uns der „Tatort: Zwei Leben“ aus der Schweiz. Der Fall beginnt mit einem echten Fall: Ein Mann stürzt nachts von einer Brücke direkt vor einen Fernbus. Ein Schlag, eine Vollbremsung. Im ersten Moment bewahrt der Fahrer Haltung. Er fragt, ob niemand im Bus verletzt sei, bittet die Insassen, sitzen zu bleiben – doch als er die Leiche unterm Wagen hervorzieht, rastet er aus und tritt auf den leblosen Körper ein.

 

2004 starb der Baulöwe schon mal

Zügig wird den Ermittlern aus Luzern, Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer), klar, dass der Tote, ein Schweizer Baulöwe und Bankrotteur, wohl schon zum zweiten Mal gestorben ist – das erste Mal 2004 in Thailand beim Tsunami. Zudem wirkt die Reaktion des Bus-Chauffeurs nicht mehr gar so befremdlich, als dessen Vorgeschichte ans Licht kommt: Zweimal überrollte er als Lokführer Menschen. Damit ihm das nicht wieder zustößt, sattelte er auf Busfahrer um. Sein verzweifelter Versuch, ein zweites Leben zu beginnen – ohne die Familie, die ihn verlassen hat –, wurde auf einer Schweizer Landstraße mit einem Schlag zunichte gemacht.

Der Chauffeur hat’s schwer

Die Wut des schwer getroffenen Mannes verlagert sich, nachdem die Obduktion der Leiche ergibt, dass der Tote unter Medikamenten stand und unmöglich aus eigener Kraft über das Brückengeländer geklettert sein konnte. Nicht nur die Polizei, auch ein Opfer sucht nun den Mörder. Das aber bedeutet nicht, dass Regisseur Walter Weber mit „Zwei Leben“ (Drehbuch: Felix Benesch, Mats Frey) einen klassischen Wettlauf-mit-der-Zeit-Krimi inszeniert hat. Ihm ist mehr an der Psyche der Figuren gelegen – allen voran an der des Bus-Chauffeurs (eindringlich gespielt von Michael Neuenschwander). Die düstere Story geht ans Gemüt und verlangt wegen einiger Längen auch Sitzfleisch.

Zuschauer und Ermittler leiden

Aber warum soll es dem Zuschauer besser ergehen als dem Ermittler Flückiger? Eigentlich durch eine neue Liebe wieder mehr den schönen Dingen des Lebens zugewandt, gerät er zusehends in einen Gewissenskonflikt: Wie weit darf er den Busfahrer, einen alten Wegfährte aus Militärzeiten, unter Druck setzen? Denn Flückiger ist sich sicher, dass der Mann in der Nacht mehr gesehen haben muss, als er sich klarmacht. „Tatort“-Dauerseher treffen übrigens auf einen alten Bekannten: Im Stuttgarter „Tatort: Stau“ war der Schweizer Schauspieler Roland Bonjour als windiger Anwalt zu sehen, nun gibt er den nicht minder windigen Sohn des Baulöwen.