Immer mehr Menschen lassen sich tätowieren. Aber auch die Schönheitschirurgen, die die Tattoos entfernen, haben Zulauf. Ein Blick hinter die Kulissen der Szene.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Tätowierungen galten bis vor 30 Jahren noch als degoutanter Körpernippes, als das Privileg von knastgestählten Schiffschaukelbremsern. Die einzelnen Bilder fügten sich zu einer Art Curriculum Vitae, erzählten von Fahrten zur See, von Abenteuern, von Liebe, abgesessener Strafe und genossen ein miserables Ansehen. Der österreichische Architekt Adolf Loos hat dies schon 1908 auf eine rigorose Formel gebracht: „Der moderne Mensch, der sich tätowiert, ist ein Verbrecher oder ein Degenerierter.“ Mit „Degenerierten“ bezeichnete Loos den Adel, in dessen Kreisen Ende des 19. Jahrhunderts Tätowierungen verbreitet waren. Auch Kaiserin Sisi hatte eine. Ein Widerspruch mit Tradition: Seit jeher galt die Tätowierung sowohl als Angelegenheit der Privilegierten als auch der Unterprivilegierten.

 

Heute habe die Hautzeichnung alles Halbseidene abgestreift und steige auf in den Rang einer vollwertigen Kunstform, glaubt Alexander Supper. Erst kürzlich hat er das Studio Mommy I’m Sorry im Stuttgarter Süden eröffnet. Es ist eines von mittlerweile etwa zwei Dutzend in der Stadt. „Das Tattoo ist in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Unsere Kunden sind Banker, Ingenieure, Zahnärzte“, sagt Supper.

Um diesen Anspruch zu unterstreichen, habe man sich im Laden um ein gediegenes Ambiente bemüht – „so im Stil eines alten Grand Hotels in London“. Supper hat sich für eine Holztäfelung, schwere Schreibtische und wuchtige Bücherregale entschieden. Die beiden bärtigen Jungs, die in den Clubsesseln der Lobby lümmeln, vertreiben sich die Wartezeit indessen lieber mit ihren Smartphones als mit den Brockhausbänden aus dem Regal.

Die Motive bei Mommy I’m Sorry würden individuell erarbeitet, betont Geschäftsführer Supper. Bevor der Tätowierer Hand anlege, müsse der Kunde zur Beratung. „Wir wollen wissen, wo steht einer im Leben, um gemeinsam mit ihm das richtige Motiv zu finden.“ Mancher habe eine schwere Zeit hinter sich und suche nach einem Sinnspruch, der ihm Trost spende. Schriftzüge seien derzeit generell der Renner. Großer Beliebtheit erfreuten sich auch noch immer Ornamente im Maori-Stil. Daneben existieren auch Stilformen wie die „Realistic Trash Polka“, die mit dem Halbwelt-Image der Tätowierung kokettieren.