Niemand kennt die Stadt und ihre Menschen so gut wie Taxifahrer. Veysel Bastu und Helmut Ruoff steuern täglich im Mercedes durch Stuttgart. Was erleben die beiden auf der Straße?

Stuttgart - In Stuttgart sind 695 Taxis registriert. Die Zeiten sind hart für die Branche: Mytaxi, Uber und Carsharing erobern den Markt, und der öffentliche Nahverkehr wird ständig ausgebaut. Eine Zeit lang konnten die niedrigen Spritkosten die sinkenden Umsätze kompensieren, doch das ist mit dem jüngsten Anstieg auch wieder vorbei. Taxifahren ist immer auch ein Existenzkampf. Wir haben zwei Kämpfer begleitet.

 

Veysel Bastu, 39, muss geduldig sein. Dass er längere Zeit nichts zu tun hat, kommt vor. Dann liest er Zeitung, checkt, was sich im Internet tut, oder schaut Filme auf seinem Smartphone. Dazu läuft kurdische Volksmusik, die er seit seiner Kindheit in Ostanatolien kennt.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag bleibt dafür aber keine Zeit. Wenn Nachtschwärmer das Stadtzentrum fluten, langsam aus den Bars und Kneipen plätschern, dann hat Bastus Geschäft Hochkonjunktur. Er biegt mit seinem Mercedes in die Eberhardstraße und stellt sich auf den Seitenstreifen, ganz hinten in die lange Taxireihe. Er wartet, bis das vorderste Taxi wegrollt, rückt auf, wartet wieder. Zwischendurch schreibt er Nachrichten an seine Frau, die mittlerweile die drei Kinder ins Bett gebracht hat. Morgen wird er um die Mittagszeit aufstehen und den restlichen Tag mit der Familie in Fellbach verbringen.

In der Nacht arbeitet er inzwischen nur noch am Wochenende, an Werktagen sei es mal so, mal so. Das macht er nun seit vier Jahren. Davor fuhr er im Lastwagen durch die Nacht, schlief die Tage durch. Als Bastus jüngstes Kind unterwegs war, wollte seine Frau nicht mehr, dass er jede Nacht auf der Straße ist. Sein Fernfahrer-Job bedeutete ihm viel, aber die Familie ist ihm noch wichtiger. Darum stieg er aufs Taxifahren um. „Isch besser so“, sagt Bastu. Türkischer Akzent, schwäbischer Dialekt.

Hauptsache, keiner übergibt sich auf dem Rücksitz

Nach 20 Minuten, am vorderen Ende der Schlange: Neuhausen auf den Fildern, wie viel das koste, fragt ein Mann. Etwa 40 bis 45 Euro. Taxifahren sei ein Luxus, sagt Veysel Bastu, „die meisten wissen das“. Manchmal würden sich Fahrgäste aber über den Preis beschweren, in Ausnahmen bleibt es nicht beim Schimpfen.

Einmal bemerkt Bastu zu spät, wie betrunken sein Fahrgast ist. Sie fahren Richtung Marienplatz. Auf halber Strecke fängt der Fahrgast an zu meckern: Schon 4,60 Euro auf dem Taxameter, das sei viel zu teuer, fast so viel wie er in der Stunde verdiene, das bezahle er nicht. Bastu bleibt nichts anderes übrig: Er ruft die Polizei. Als die Beamten eintreffen, wird der Fahrgast ausfällig, versucht, auf Bastu loszugehen. Der Randalierer wird festgenommen. Am nächsten Tag muss Bastu auf dem Revier aussagen. 7,40 Euro standen am Ende der Fahrt auf seinem Taxameter. Das sei den Aufwand nicht wert, sagen die Beamten. Zum Verfahren kommt es nicht.

Man wisse nie, wer als Nächstes einsteige, sagt Bastu und nickt in Richtung der vorbeiziehenden Menschen. Am liebsten sind ihm ruhige Fahrgäste. Einsteigen, aussteigen, ganz entspannt. Hauptsache, keiner übergibt sich auf dem Rücksitz oder wird aggressiv. Beides kommt vor. Am meisten ärgert sich Bastu dann über den Zeitverlust, denn Zeit ist Geld. Das gilt besonders in seiner Branche.

Immer mehr Konkurrenz

Und die wird härter. Der Stuttgarter Taxifahrer hat viele Konkurrenten: Mytaxi und Carsharing erobern den Markt, Stadt- und S-Bahnen fahren am Wochenende fast rund um die Uhr. Kürzlich gaben auch noch Daimler und Uber ihre Kooperation bekannt. Der schwäbische Autobauer und der amerikanische Fahrdienstleister wollen bald selbstfahrende Autos auf die Straße bringen. Die Taxifahrer sind besorgt. „Das Geschäft ist wie ein Kuchen, und unsere Stücke werden immer kleiner“, sagt Bastu.

Noch ist der Kuchen gerade groß genug für alle. Reich werde aber niemand mit dem Taxifahren, allein schon wegen der Kosten. Seinen Mercedes E 200 CDI, Baujahr 2013 zahlt Bastu in monatlichen Raten ab. Dazu kommen Diesel, Versicherung, Einkommen- und Gewerbesteuer. Auch das Funkgerät, das links neben Bastus Lenkrad krächzt, kostet ihn Geld. Es ist seine Verbindung zur Taxizentrale in Stuttgart-Ost. Die Genossenschaft vermittelt ihm gegen eine monatliche Gebühr Fahraufträge. Man könne kaum voraussehen, wie die nächste Woche läuft, denn Taxifahren sei auch Glückssache, sagt Veysel Bastu.

Seine letzte Fahrt nach Möhringen bringt ihm 25 Euro. Danach fährt er vielleicht nur eine Kurzstrecke oder muss lange auf den nächsten Fahrgast warten. Januar und Februar seien schlechte Monate, sagt Bastu. Da werde es schon mal eng mit den Fixkosten. Ob er da nicht ans Aufhören denke? Eigentlich nicht. Von alten Kollegen wisse er, dass es vor 30 Jahren schon genauso war. Bastu rollt auf die nächste Parkbucht zu, stellt sich hinten an. Vorne fährt ein Taxi ab, er rückt auf und wartet wieder bis zur nächsten Fahrt.

Stuttgarts ältester Taxifahrer

Wenn Helmut Ruoff morgens auf der Sitzerhöhung seines blauen Mercedes Platz nimmt, geht eine Verwandlung in ihm vor. Die zittrigen Hände verschmelzen mit dem Lenkrad zu einer soliden Einheit, der hagere Körper geht in die Aufrechte bis knapp unters Dach, der Blick wird ruhig und wandert konzentriert über das Armaturenbrett und die ausgeblichenen Polster des Beifahrersitzes. Kein Staubkorn ist zu sehen. In der Mittelkonsole liegen griffbereit das Fahrtenbuch und ein vergilbtes Stuttgarter Straßenverzeichnis. In der linken Jackentasche fühlt er seine Dose mit den Eukalyptusbonbons. „Meine Zigaretten“, sagt er. Wenn er alles am rechten Platz weiß, lässt er den Motor aufheulen. Dann begibt er sich dahin, wo er sich am wohlsten fühlt: auf die Straße.

Helmut Ruoff Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Helmut Ruoff ist vermutlich Stuttgarts ältester Taxifahrer. Im Frühjahr 1952 machte er den Führerschein. Wenige Jahre später hatte er seine Konzession. Taxifahren war nie „sein Traumberuf“, sagt der 84-Jährige, sondern eine logische Konsequenz. Schon die Eltern und Großeltern besaßen ein Fuhrunternehmen. Er habe das Gen geerbt. Es lässt ihm keine Ruhe.

Er fährt hinauf zum Killesberg, im angemessenen Tempo, nicht zu langsam, nicht zu schnell. Dort oben wohnt sein Stammkunde, Herr Dollinger, der seit einer Medikamentenvergiftung nicht mehr gut laufen kann. Während Ruoff am Hauseingang in der Kälte auf ihn wartet, lutscht er ein Eukalyptusbonbon. Herr Dollinger hat mehrere Jutetaschen bei sich. Er will in die Stadt zum Einkaufen. „Wer zu Haus bleibt, der stirbt“, sagt er. „So isch’s“, sagt Ruoff. Er öffnet ihm die Beifahrertür und nimmt ihm den Wust an Taschen aus der Hand, zuletzt die Krücken. Der Gurt will nicht gleich einrasten. „Nur langsam. Zusammen schaffen wir das. Wir haben’s ja nicht mehr eilig.“

Sein erstes Gefährt ist ein Mercedes 170 V

Auf der Fahrt hinunter in den Kessel erzählt Herr Dollinger, wie er Herrn Ruoff kennengelernt hat. Der nickt manchmal. Das Reden überlässt er lieber dem Fahrgast. In der Breitestraße hinterm Kaufhof öffnet er ihm die Tür und händigt ihm seine Sachen in umgekehrter Reihenfolge aus. „Wann darf ich Sie abholen? 15 Uhr am Rathauscafé?“

Ruoff sagt, er habe Pferdeblut in sich. „Erst wenn ich mich bewege, bin ich hier drinnen ruhig“, sagt er und zeigt auf sein Herz. Er ist mit den Tieren aufgewachsen. Auf seinem Grundstück am Stuttgarter Bihlplatz, wo heute sein Mercedes parkt, stand einst der Pferdestall seines Vaters. Fuhrunternehmer Georg Ruoff hatte ihm noch beigebracht, wie man eine Taxikutsche lenkt. „Auf dem Land benutzte man eine Pferdeleine, in der Stadt aber waren Kreuzzügel Pflicht“, erzählt er. „Wenn man sie schüttelt, läuft das Pferd nach rechts, zieht man daran, geht es nach links.“

Trotzdem war sein erstes Gefährt eines mit Motor: ein schwarzer Mercedes 170 V. Er hatte ihn sich hart erarbeitet. Unter der Woche lernte er Mechaniker bei Mercedes in Untertürkheim. Am Wochenende fuhr er für den Vater Schutt oder brachte Langholz aus dem Dachswald hinunter in die Sägemühle. Wenn der Vater keinen Auftrag für ihn hatte, jobbte er als Tankwart, wusch er die Autos feiner Leute und die Taxis der Konkurrenz. In dieser Zeit konnte er den Habitus der künftigen Kollegen studieren.

Die Promillezahl kann er errichen

„Wir trugen weiße Handschuhe, schwarze Lackschuhe und die Taxikappe“, erzählt Ruoff. Man öffnete dem Kunden stets die Tür. Bezahlung und Trinkgeld waren üppig in den Jahren des Wirtschaftswunders. Trotzdem war damals nicht alles besser. Im Taxi wurde geraucht, gesoffen, geschlägert. „Heute muss ich solche Leute nicht mehr mitnehmen“, sagt Ruoff. Über die Jahre hat er ein feines Näschen entwickelt. Die Promillezahl könne er erriechen.

Ruoff stellt sich an den Schlossplatz, hinter einen Kollegen. Am Bahnhof warte er nicht mehr. Die Reisenden wollten häufig in andere Städte. Die Autobahn tue er sich nicht mehr an. Während er wartet, liest er die liegen gebliebenen Bücher seiner Kundschaft, zurzeit den Frauenroman „Ein Turm am Meer“ von einer irischen Schriftstellerin. 30 Minuten lang passiert nichts. Dann steuert eine ältere Dame mit Rollator auf den Taxistand zu und kurz darauf ein älterer Herr mit Stock. Früher waren seine Kunden aus allen Altersklassen und Gesellschaftsschichten, sagt Ruoff. Heute seien sie alle so alt wie er, nur reicher.

In den 60er Jahren gab es eine Phase, in der er es satthatte, andere zu fahren. Er wollte selbst bestimmen, wohin die Reise geht. Mit einem Unimog, den er zum Wohnmobil umgerüstet hatte, fuhr er zunächst nach London, um Englisch zu lernen. Neun Monate verdingte er sich in einer Werkstatt als Mechaniker. Als er sich passabel verständigen konnte, trat er die Reise in den Süden an, über Gibraltar bis hinunter nach Johannesburg und von dort über den Sudan, Israel und das Schwarze Meer wieder nach Hause. Hie und da blieb er ein Jahr, nicht immer waren die Pausen gewollt. „Im äthiopischen Busch blieb ich während der Regenzeit drei Monate lang im Schlamm stecken“, erzählt Helmut Ruoff. Er begegnete Wilderern, die seinen Unimog beschossen, und Affenhorden, die ihn zu kapern versuchten. Acht Jahre lang war er unterwegs.

Sonnenberg statt Sudan

Die Eindrücke dieser Reise haben sein Fernweh gestillt. Seit 50 Jahren befährt er wieder die Straßen seiner Heimatstadt, ohne ihrer überdrüssig zu werden. „Ich habe sie alle transportiert: die Rommels, die Schusters und wie sie alle heißen.“ Seine internationalen Gäste erzählen ihm Geschichten aus der Ferne, auf Englisch, auf Arabisch. So bleibt das Gefühl, mit der Welt verbunden zu sein.

Der ältere Herr möchte hinauf zum Sonnenberg. Auch er ist Jahrgang 1933. Sie unterhalten sich über die Endphase des Zweiten Weltkriegs, als Hitler ihren Vätern die besten Pferde und Fahrzeuge wegnehmen ließ, um Polen zu halten. An einer Seniorenresidenz verabschieden sie sich.

Sie werden sich wohl nicht wieder begegnen. Seine Lizenz laufe in den nächsten Tagen ab, sagt Ruoff. Erneut verlängern wolle er nicht mehr. Er spüre die Gicht in seine Glieder kriechen, auch die Konzentration lasse allmählich nach. Was nicht heißt, dass er zur Ruhe kommen will. „Fahren kann ich weiterhin“, sagt er. Seinen Bekannten Dollinger zum Beispiel. Und zwei Füße habe er ja auch noch. Da ist nur eine Sache, bei der er nicht auf der Straße sein will. „Sterben will ich lieber im Bett.“