Mit dem Stück „Vincent“ bedankt sich das Teatro piccolo für 28 Jahre Treue seiner Zuschauer.

Stuttgart - Theater lebt auch von Licht und Schatten. Dort, wo das Bühnenlicht nicht hin scheint, wird es interessant. Es ist der Blick auf die Untiefen der Seele und die dunklen Flecken. Vincent van Gogh hat tausend solcher Flecken. So bunt seine Bilder auch sein mögen, die Dunkelheit umgab ihn früh. Auch das bringt Martin Seeger im Teatro piccolo, dem kleinen Theater des Kirchenkreises Stuttgart, bei seiner Inszenierung „Vincent van Gogh – das Leben ist nur eine Zeit der Aussaat“ gekonnt ans Licht. Joachim Mierau alias Vincent lässt einen mitwandern – durch die tiefsten Täler des Lebens.

 

Es ist die Skizze eines Lebens, das total misslingt. In einem imaginären Brief von Martin Seeger an Vincent van Gogh, der auch dem Publikum vorliegt, ist so festgehalten: „Sie waren alles andere als einfach. Sie waren eigensinnig und unbelehrbar, geprägt von Maßlosigkeit, Extremen und Widersprüchen. In allem, was Ihrer Zeit von Belang erschien, waren Sie ein Versager.“

Mit elf Jahren ins Internat

Solche Karrieren beginnen meistens gleich – fast immer im Elternhaus. Wenn Vincents Mutter (Jaqueline Weik) neben der dritten Rolle Blerta Mujezic klagt, „Er verhält sich immer so, dass es ihn in Schwierigkeiten bringt. Er ist eine Seelenqual für uns“, dann sagt dieser Satz dem Zuschauer zweierlei: Erstens der Bursche war wohl wirklich kein Einfacher. Zweitens: Liebe hat Vincent nur wenig erfahren. Seine Kinderseele erfror früh an der Kälte der Eltern. Mit elf Jahren wurde er ins Internat abgeschoben.

Nur Theater, nur ein extremes Künstlerleben? Wohl kaum. Die Welt ist voller solcher Geschichten. Und somit ist Seegers Stück auch eine Reinszenierung von so manchen Kindheitstraumata. Wer in die Gesichter der Zuschauer schaut, mag das erkennen. Tiefe Betroffenheit. Seelenschau. Starke Gefühle.

Genau das war eine Absicht von Martin Seeger, der das Teatro piccolo mit Laiendarstellern seit 1989 leitet, und mit der Neuaufnahme des Stücks ein Zeichen der Dankbarkeit setzen wollte: „Ich wollte die Ansätze in van Goghs Biografie herausarbeiten, mit denen sich Menschen identifizieren können.“ Sei es in der Rolle eines Vaters oder einer Mutter. Oder der Rolle des ungeliebten Kindes, das unter dem Nicht-angenommen-Sein bis ins Erwachsenenalter leidet.

Ein Totalversager

Unverkennbar ist diese Pein jedoch in den Augen van Goghs, die in den Selbstporträts des Malers in Form von übergroßen Projektionen über die Bühne flimmern. Die Traurigkeit des Malers steckt an. Seine tiefe Sehnsucht nach Anerkennung – ob als Mensch oder als Künstler – wird ebenso spürbar wie sein grandioses Scheitern. Denn kaum ein Bild wird zu Lebzeiten verkauft. Der Ruhm kommt posthum. Vincent van Gogh bleibt nur ein Pinselreiniger, Farbenmischer, Leinwandbeschmutzer, Hungerkünstler, Totalversager, Bettler und Hurenbock.

Und dennoch endet die Geschichte versöhnlich. Vincent liegt in einer Sternennacht in den Armen der Ur-Mutter. Getröstet, geborgen, vielleicht auch gerettet. Nicht zufällig nehmen Mutter und Sohn die Haltung von Michelangelos berühmten Kunstwerks – der Pietà – ein: die Muttergottes in sitzender Position zeigt, den vom Kreuz genommenen Leichnam Jesu auf ihren Knien und in ihrem Arm wiegend. In diesem Sinnbild liegt für Martin Seeger die Quintessenz des Stückes und des Lebens: Wo Schatten ist, da ist auch Licht. „Scheitern ist oft nur vordergründig. Scheitern ist nichts Endgültiges. Oft muss man nur ein paar Kurven im Leben nehmen, um auf den richtigen Weg zu kommen.“ Auf Vincent van Gogh und das Stück übertragen: Das Leben ist nur eine Zeit der Aussaat – die Ernte ist nicht hier und jetzt. Sein Gemälde „Sonnenblumen“ erzielte im April 1987 bei einer Versteigerung 39,9 Millionen Dollar.