An der Universität Ulm ist ein Forschungszentrum zum autonomen Fahren eingeweiht worden. Gemeinsam mit Daimler will das Land seine Kompetenz auf diesem Gebiet ausbauen. Bis Autos vollkommen autonom fahren, wird es aber noch dauern.

Ulm - Für die Fotografen hat die baden-württembergische Forschungsministerin Theresia Bauer (Grüne) freundlich lächelnd hinter dem Lenkrad Platz genommen. Nur leider kann sie sich an diesem frostigen Wintertag nicht von den besonderen Qualitäten des Autos überzeugen. Das Forschungsfahrzeug der Universität Ulm kann zwar ganz ohne Fahrer seinen Weg durch den Verkehr finden. Wohlgemerkt kann, denn bei Eis, Schnee, Nebel und anderen widrigen Umweltbedingungen kommt die Technik noch an ihre Grenzen und ist daher für Demonstrationsfahrten nicht einsatzfähig.

 

Das aber soll sich in den kommenden Jahren ändern – und die Uni Ulm will daran einen gewichtigen Anteil haben. Deshalb wurde dort ein Forschungszentrum für automatisiertes Fahren etabliert, das Theresia Bauer jetzt offiziell eingeweiht hat. Federführend beim sogenannten Tech Center a-drive ist die Universität Ulm, weitere wissenschaftliche Kooperationspartner sind das FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe sowie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Von Industrieseite ist Daimler mit an Bord – wobei das Unternehmen den Löwenanteil der Kosten trägt: Von den 7,5 Millionen Euro, die für die kommenden fünf Jahre zur Verfügung stehen, steuert Daimler fünf Millionen bei. Die restlichen 2,5 Millionen teilen sich das Wissenschaft- und das Wirtschaftsministerium des Landes.

Die Forschungsaktivitäten sollen dabei einen breiten Rahmen abdecken. Verbesserte Sensoren sind genauso ein Schwerpunkt wie die 360-Grad-Rundumerkennung sämtlicher Vorgänge, die für die Fahrt wichtig sind. Oder wichtig werden können, denn auch die Vorhersage, wie sich Verkehrsteilnehmer verhalten und Situationen entwickeln können, ist ein wichtiger Faktor. Darauf aufbauend muss künftig die Computersteuerung der Autos mehr Entscheidungshilfen bekommen, was sie insbesondere in schwierigen Situationen tun soll und wie sie das Fahrzeug auf sicheren Bahnen lenken kann – im Fachjargon Trajektorienplanung genannt. Auch die mit dem autonomen Fahren verbundenen ethischen und sozialen Fragen sind ein wichtiges Forschungsthema: Wie nehmen die Menschen die neue Technik wahr – und was erwarten sie von ihr?

Auf der Autobahn geht es einfacher als im Stadtverkehr

Die Forschungseinrichtungen in Ulm und Karlsruhe bringen bereits viel Erfahrung beim autonomen Fahren mit. Im Rahmen des Ulmer Schwerpunkts Mensch-Maschine-Interaktion arbeiten bereits Ingenieure, Informatiker und Psychologen zusammen. Und seit 2012 betreibt das Ulmer Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik, das sich vor allem den Problemen beim autonomen Fahren im unübersichtlichen innerstädtischen Verkehr widmet, mit Daimler zusammen das Innovationszentrum Drive-U.

Die Karlsruher wiederum verweisen nicht ohne Stolz auf die autonome Bertha-Benz-Gedächtnisfahrt, die Daimler 2013 zusammen mit dem FZI und dem KIT durchgeführt hat. Auf den Spuren der Originalfahrt von Bertha Benz im Jahr 1888 meisterte die selbstfahrende Technik zwischen Mannheim und Pforzheim selbst enge Ortsdurchfahrten.

Während auf der strukturierten Autobahn autonomes Fahren schon recht gut möglich ist, gibt es im alltäglichen Stadtverkehr noch zahlreiche Probleme. Zu den Schwierigkeiten gehört zum Beispiel das Verhalten von Fußgängern an einem Überweg. Dort erkennt ein Mensch vergleichsweise leicht, ob Fußgänger in der Nähe eines Zebrastreifens im Gespräch vertieft sind und die Straße gar nicht überqueren wollen. Ein autonom gesteuertes Auto hält dagegen vorsichtshalber an.

Ähnlich verhält es sich bei einem Fahrzeug, das einen Fahrstreifen blockiert, weil der Fahrer ein Paket ausliefert. Als Autofahrer weicht man einfach auf die andere Straßenseite aus, sobald es der Gegenverkehr erlaubt. Und wenn entgegenkommende Lastwagen oder Busse die eigene Fahrbahn mit beanspruchen, fährt man eben scharf rechts. „Für ein automatisiertes Fahrzeug sind derartige Fahrmanöver eine Herausforderung“, erläutert Marius Zöllner vom FZI. Solche Situationen für selbstfahrende Autos sicher und ohne Störung des Verkehrsflusses beherrschbar zu machen sei einer der Forschungsschwerpunkte des neuen Technikzentrums.

Ungeheure Datenmengen müssen verarbeitet werden

Als Autoland will Baden-Württemberg auch künftig auf diesem spannenden Gebiet weltweit vorne mit dabei sein. Daran ließ die Forschungsministerin bei ihrer Eröffnungsrede keinen Zweifel. Insgesamt drückt das Land dabei aufs Tempo: Wie gemeldet will die Landesregierung den Aufbau eines Testfeldes zum vernetzten und automatisierten Fahren mit fünf Millionen Euro finanzieren. Dabei soll vor allem die Bewältigung komplexer Verkehrssituationen unter verschiedenen Umfeldbedingungen im Vordergrund stehen. „Wir erwarten viele attraktive Bewerbungen“, sagte Forschungsministerin Bauer. An der soeben erfolgten Ausschreibung wollen sich auch die Ulmer beteiligen.

Dass allerdings der Weg zum vollkommen autonomen Fahren noch ziemlich weit ist, wurde bei der Einweihung des Forschungszentrums immer wieder deutlich. Dazu zählt zum Beispiel die zeitnahe Verarbeitung der ungeheuren Datenmengen, die von den Sensoren geliefert werden. So müssen beispielsweise in der Stadt die Wege mehrerer Fahrzeuge und Fußgänger verfolgt und Prognosen über ihr zukünftiges Verhalten aufgestellt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass dabei eigentlich mehrere Szenarien durchgespielt werden müssten, wozu insbesondere bei Fußgängern auch regelwidriges Verhalten gehört.

In diesem Umfeld ist die Entwicklung von Algorithmen und Entscheidungsprozeduren unerlässlich, wie das System auf unterschiedliche und teils widersprüchliche Informationen der Sensoren reagieren soll. Und nicht zuletzt müssen die Sensoren allwettertauglich werden: Nicht umsonst lässt Google seine Autos im sonnigen Kalifornien durch die Straßen kurven, wie in Ulm mehrfach mit leicht ironischem Unterton angemerkt wurde.