Simon Weiland will endlich wissen, wie das Sägeblatt einer Kreissäge schwingt und sägt und kreischt. Der Stuttgarter Forscher experimentiert, während sein Kollege André Schmidt das Blatt im Computer simuliert. Ihr Ziel: leichte und leise Sägen.

Stuttgart - Manchmal werfen selbst einfache Dinge komplizierte Fragen auf. Etwa das Kreissägeblatt. Wer ist nicht schon von seinem kreischenden Klang aus dem Schlaf geweckt oder einer Ruhepause beraubt worden? Jeder kennt die Kreissäge. Doch Forscher kennen sie noch nicht gut genug: Das Kreissägeblatt widersetzte sich bisher erfolgreich einer systematischen wissenschaftlichen Beschreibung. Bei hoher Drehzahl in Holz, Kunststoff oder Metall werden die Blätter instabil, sie schaukeln sich zu unerwünschten Eigenschwingungen auf. Die Folge: das Blatt heult auf. Die Schnittkante am Furnier wird fransig, die Schnittfläche am Hartholz schrumpelig. Der Handwerker muss aufwendig nacharbeiten. Und außerdem: beginnt das Blatt so richtig zu eiern, wird auch der Schnitt breiter als gewünscht. Die Sägezähne fetzen mehr Material weg als nötig.

 

Bisher müssen die Hersteller der Sägeblätter viele Experimente und Tests fahren, um diese Werkzeuge zu optimieren. Da ist viel Erfahrungswissen zusammen gekommen. Simon Weiland will nun einen Schritt weiter gehen. Das Ziel des Ingenieurs und seiner Kollegen vom Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart ist, aus einem grundlegenden physikalischen und materialwissenschaftlichen Verständnis heraus das Kreissägeblatt endlich umfassend zu beschreiben. Experiment und Simulation sollen helfen, Kreissägeblätter optimal auszulegen. Die rotierenden Scheiben können dann dünner und stabiler gestaltet werden, was eine größere Materialersparnis (weniger Schnittverlust) bewirkte. Die Schnittkanten verliefen präziser. Das Werkzeug müsste weniger schnell ausgetauscht werden. „Die Entwickler und Konstrukteure könnten sich dann zum Austesten auf nur noch wenige Designfavoriten konzentrieren“, sagt Weiland.

Die grundlegende Bedeutung der Kreissägeblattforschung hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft erkannt. Sie fördert ein neues Projekt über drei Jahre mit 500 000 Euro. Die Kreissäge, so einfach und schlicht sie in ihren unterschiedlichen Ausprägungen daher kommt, gilt schließlich als Arbeitstier beim Zuschneiden von Holz, Kunststoff, Verbundstoffen, Aluminium und anderen Metallen. Sie ist Basistechnik im Hausbau, im Innenausbau, in der Industrie, in der Holzwirtschaft. Ohne die Säge läuft da nicht viel.

Experimente und Computersimulationen

Für die Kreissägeforschung und das DFG-Projekt haben die Forscher um den Doktoranden Weiland den Berechnungsingenieur André Schmidt vom Institut für angewandte und experimentelle Mechanik mit ins Boot geholt. Weiland experimentiert und testet an der Maschine, Schmidt programmiert und simuliert am Computer. Schmidt und seine Kollegen sind Spezialisten für die numerische Berechnung hochdynamischer, rotierender Systeme. Beispielsweise Scheibenbremsen beim Auto. Und nun eben Kreissägeblätter.

Nun ist es nicht so, dass in den vergangenen Jahrzehnten keine Fortschritte beim Sägeblatt erzielt wurden. Weiland und seine Kollegen wollen diese Ergebnisse nun systematisch betrachten und gewissermaßen wissenschaftlich erden. Um die mit mehreren tausend Umdrehungen pro Minute energiegeladenen Scheiben zu kontrollieren, gibt es eine Reihe von Tricks.

Das Sägeblatt läuft heiß, daher dehnt es sich aus, was für eine Scheibe bedeutet: das Blatt schlägt Wellen. Die Hersteller reduzieren das, indem sie sogenannte Dehnungsschlitze einbauen. Ein Laser schneidet vom Rand des Sägeblatts etliche Zentimeter lange, haarfeine und geschwungene Schlitze ins Material. Diese fangen die Wärmeausdehnung ab.

Dämpfungsschlitze und Spannungswalzen

Der zweite Trick ist das Spannungswalzen. Das Sägeblatt wird ringförmig auf einem schmalen Streifen kräftig gewalzt. „Durch die eingebrachten Verspannungen im Material kann das Sägeblatt den Fliehkraft- und Wärmebeanspruchungen bei hohen Drehzahlen besser widerstehen“, erklärt Hadi Ghassemi, Forscherkollege von Weiland. Die Forscher können dadurch die sogenannten Eigenschwingungen des Sägeblattes kontrollieren. Koppelt eine äußere Anregung, etwa die Drehbewegung der Scheibe, an diese Eigenfrequenz, dann können sich die Schwingungen in einer sogenannten Resonanz verstärken. Das Sägeblatt wird instabil.

Neben dem Spannungswalzen sollen auch sogenannte Dämpfungsschlitze das Aufschaukeln der Schwingungen verhindern. Weiland schlägt ein Sägeblatt ohne Dämpfung an. Das Blatt macht „kling“ wie eine Glocke. Mit Dämpfungsschlitzen, die S-förmig ums Zentrum angeordnet sind, bleibt nur ein dumpfes „plock“.

Ein Laser tastet die Schwingungen ab

Weiland untersucht nun, wie die Form und der Füllstoff eines Schlitzes die Dämpfung beeinflussen. Die Idee dahinter ist nämlich, die Dämpfungsschlitze mit Kunststoffen zu füllen. „Das weiche Füllmaterial soll die Schwingungen komplett schlucken“, sagt Weiland. Um das zu testen, legt er das Sägeblatt wie eine Schallplatte auf eine Aufhängung und schlägt sie mit einem speziellen Hämmerchen an. Der Sensor im Hammer registriert die Anschlagkraft, ein Laser tastet die angeregten Schwingungen auf dem Sägeblatt ab. Die hohe Kunst besteht nun darin, aus verschiedenen Tests die wesentlichen Materialwerte herauszukitzeln, die André Schmidt dann für seine Computersimulation nutzen kann.

„Wir brauche diese Daten zum Abgleich von Simulation und Experiment“, erklärt der Forscher. Schmidt nutzt zum einen die Standardmethode der Finiten Elemente. Dabei zergliedert ein Computerprogramm das Modell eines Sägeblatts in tausende Gitterpunkte oder Kästchen und berechnet Stück für Stück deren Eigenschaften. Zum anderen entwickelt Schmidt spezielle Verfahren, um auch das dynamische Verhalten der rotierenden Scheibe zu simulieren. „Wir können einen Parameter wie etwa die Drehzahl hochfahren und sehen dann, ab wann die Scheibe zu flattern anfängt.“

Die Methoden lassen sich auch auf andere rotierende Systeme ausdehnen, etwa Bremsscheiben oder Turbinen. Auch das Quietschen von Scheibenbremsen resultiert aus einem Aufschaukeln von Schwingungen des Blattes. Die Kreissägeblattforschung wächst damit über sich hinaus, auf alles, was sich superschnell dreht.

Besserer Schnitt, weniger Lärm

Problem
Bei hohen Drehzahlen geraten Kreissägeblätter in Schwingungen und werden instabil. Die Folge: das Blatt wird laut, die Schnittkanten sehen fransig aus.

Projekt
Mit 500 000 Euro fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Grundlagenforschung am Kreissägeblatt. Zwei Institute der Uni Stuttgart arbeiten zusammen. Sie führen die Ergebnisse von Experimenten und Computersimulationen zu einem besseren Verständnis der Kreissäge zusammen.

Praxis
In Zukunft können Hersteller die Sägeblätter zielsicher und besser konstruieren. Die Bauteile laufen ruhiger. Es gibt weniger Verschleiß. Die Sägeblätter können schmaler konstruiert werden, was zu geringerem Materialverschnitt führt.