In Hannover ist ein richtig ökologisches Windrad gebaut worden: Der 90 Meter hohe Turm ist ganz aus Holz. Dieser Baustoff bietet gegenüber Stahl eine ganze Reihe von Vorteilen.

Stuttgart - Stahl war immer die erste Wahl bei der Errichtung von Türmen für moderne Windkraftanlagen. Doch eigentlich könnte der nachwachsende Rohstoff Holz die Ökobilanz dieser umweltfreundlichen Energiegewinnung weiter verbessern. Und so beschäftigte sich im Jahr 2001 der damals 35-jährige Gregor Prass als Diplomand der Fachhochschule Hamburg mit der optimalen Konstruktion von Türmen für Windkraftanlagen. Doch um die Verwirklichung der ersten großen Windkraftanlage aus Holz stand es lange Zeit schlecht – Flaute sozusagen im windreichen Norden von Deutschland. Jetzt aber steht er da, der rund 90 Meter hohe und über 190 Tonnen schwere achteckige Turm. Er trägt eine 100 Tonnen schwere drehbare Gondel mit Maschinenhaus und Rotor, der Strom im Bereich von 1,5 Megawatt erzeugt.

 

Die Schwierigkeit bei Stahltürmen ist unter anderem der konstruktiv bedingte Durchmesser des Sockels. Ab einer Nabenhöhe von etwa 100 Metern überschreitet er den Durchmesser von 4,20 Metern. Die Schwierigkeit ist aber nicht etwa das Gewicht des Kolosses, sondern die Transportierbarkeit und damit die Baustellenlogistik: Elemente mit Abmessungen größer als 4,20 Meter passen unter keiner Autobahnbrücke mehr hindurch. Daher wird die Logistik für den Transport bei höheren Türmen, die eine größere Windkraftausbeute bringen, aufwendig und teuer. Zudem spielt der Stahlpreis eine immer größere Rolle. Je höher dieser ist, desto attraktiver wird Holz als Baumaterial.

Holz – der älteste Baustoff der Welt

Darüber hinaus gibt es auch technische Vorteile des ältesten Baustoffes der Welt – nämlich Holz – gegenüber Stahl. Holz kann die Kräfte, die beim Betrieb einer Windkraftanlage entstehen, sehr gut aufnehmen und ins Fundament ableiten. Auch beim Thema Dauerhaftigkeit räumt Ingenieur Prass mit Vorurteilen auf: „Holz ist langlebiger als Stahl, zudem ist der Brandschutz besser. Holz hat auch nach zwei Stunden Branddauer eine ausreichende Standfestigkeit. Stahl hätte da schon lange versagt.“

Bei der Verarbeitung des nachwachsenden Rohstoffes Holz kommt der Bauingenieur dann richtig ins Schwärmen. „Einer unserer Ingenieure hat es mal so ausgedrückt: Schraube rein, fertig!“ Das klinge zugegebenermaßen etwas salopp, treffe aber den Kern, denn: „Bei Stahlbauwerken ist die Anbringung einzelner winziger Teile – die später nur dazu dienen, eine Schraube aufzunehmen – ein großer technischer Aufwand und damit ein Kostenfaktor. Für einen Holzbauer ist das unvorstellbar. Der dreht die Schraube rein und gut.“ So bleibe der Holzbau flexibel, auch wenn es darum gehe, unterschiedlich hohe Türme zu bauen und mit verschiedenen Windanlagenherstellern zusammenzuarbeiten.

Querverleimtes Holz als Baumaterial

Nach 2005 nahm das Projekt dann Gestalt an. Gregor Prass entwickelt seinen hölzernen Windkraftanlagenturm im eigenen Ingenieurbüro in Hamburg. Zunächst entwarf er eine Fachwerkkonstruktion, dann stellte sich heraus, dass ein in sich geschlossener mehreckiger Hohlkörper besser ist. Als Material dient Brettsperrholz, also querverleimtes Holz, das eine große Festigkeit aufweist.

Bis im Jahr 2008 die theoretischen Entwicklungsarbeiten abgeschlossen worden sind, hat sich der Bauingenieur mit einem Kaufmann und einem Unternehmensberater zusammengetan. Sie gründeten die Timber Tower GmbH. Die jungen Unternehmer heimsten Innovationspreise ein und knüpfen Kontakte mit Holzbauunternehmen.

Ein 22 Meter hoher Testturm

Ein Standort für den erforderlichen Prototyp-Holzturm fand sich in Hannover-Marienwerder. Im April 2010 präsentierte Timber Tower einen rund 22 Meter hohen Testturm, der den obersten Teil des rund 100 Meter hohen Windradturmes darstellte. Er diente dazu, Montageprozesse zu simulieren und zu optimieren. So ließen sich die Betreiber von Anlagen mit mehr als einem Megawatt Leistung überzeugen, die wegen der größeren Windausbeute höhere Naben- und damit Turmhöhen anstreben. „Höhen bis zu 200 Meter sind mit Holztürmen – rein technisch gesehen – grundsätzlich möglich“, sagt Ingenieur Prass.

Eigentlich wollten die Entwickler im gleichen Jahr den 100 Meter hohen Prototypen präsentieren. Doch die Baubehörden machten Auflagen und forderten weitere Gutachten. So dauerte es bis zum Frühjahr 2012, bis der Turm in gut transportierfähigen, 15 Meter langen, bis zu 2,8 Meter breiten und 30 Zentimeter dicken Einzelelementen zur Baustelle geliefert wurde. Die Spezialbeschichtung gegen Witterungseinflüsse war schon aufgebracht und wurde vor Ort verschweißt.

Traggerüst am Boden vormontiert

Auf der Baustelle wurde zunächst das achteckige sogenannte Lehrgerüst erstellt. Diese Fachwerkkonstruktion dient zum einen der Infrastruktur im Turm, zum anderen werden bei der Montage die Brettsperrholzelemente daran fixiert. Das Traggerüst wurde am Boden in größeren Segmente vormontiert und mit der Technik wie Stromleitungen, Licht und Druckluft versehen. Danach wurde zunächst das Gerüst auf den Turm montiert, anschließend die Brettsperrholz-Tafeln.

„Die eigentliche Kranmontage war sehr überschaubar und einfach“, berichtet Bernd Schroeder, der beim zuständigen Bauunternehmen Holzbau Cordes Projektleiter war. „Der Zeitaufwand für das Setzen der Brettsperrholz-Tafeln war im Wesentlichen abhängig von der Krangeschwindigkeit.“ Die Platten in den unteren Bereichen zu setzen dauerte nur wenige Minuten, während ganz oben dafür etwa eine halbe Stunde erforderlich war.

Vertikal versetzte Plattenelemente

Die Plattenelemente sind treppenförmig versetzt und an den Flächen miteinander verleimt. In vertikaler Richtung wird die Verbindung über eingeklebte Lochbleche hergestellt. Hochwertige Kleber und Füllklebstoffe garantieren ein Gesamtsystem, das die enormen Kräfte des Rotors gebündelt ins Fundament einleitet. Für die Verklebungen wurde eigens eine für den Turm passende Maschine entwickelt.

Im Herbst 2012 wurde die Anlage fertig. „Der Holzturm ist ein Meilenstein auf dem Weg zu wirklich grüner Energie, denn wir nutzen zu 99 Prozent nachwachsende Rohstoffe für eine Anlage, die regenerative Energie erzeugt“, sagt Holger Giebel, einer der Geschäftsführer von Timber Tower. Die Bauweise aus Holz sei aber nicht nur ökologisch vorbildlich, sondern würde auch bei Genehmigungsverfahren punkten: „Holz erhöht auch die Akzeptanz bei Anwohnern“, glaubt Giebel, denn Holz sei emotional positiv besetzt.

Der Hersteller der 1,5 Megawatt-Turbine, die Vensys AG, geht von tausend Haushalten aus, die durch die Windkraftanlage versorgt werden können. Gestärkt durch diesen Erfolg ist Timber Tower nun mit der Planung von Holztürmen mit einer Nabenhöhe von 140 Metern beschäftigt. Die Verträge für zwei Folgeaufträge wurden gerade unterzeichnet. Dann wird auch die Montage schneller gehen. Die Ingenieure rechnen mit weniger als zehn Tagen Bauzeit.