Der Abenteurer Bertrand Piccard will mit seinem Solarflieger die Welt umsegeln. Ein Einzelfall? Keineswegs. Die Industrie steht in den Startlöchern, die ersten elektrischen Testmaschinen gibt es bereits. Und in 20 Jahren sollen auch bis zu 60-sitzige Flieger elektrisch unterwegs sein.

Stuttgart - Die Elektromobilität macht auch vor dem Fliegen nicht halt. Ähnlich wie beim Auto stellt sich den Ingenieuren die Herausforderung, den Flug verbrauchsarm, emissionsfrei und leise zu gestalten. Gerade Letzteres hat für die Forscher und Industrie seinen besonderen Charme. „Das Nachtflugverbot könnte dann nämlich fallen“, schwärmt Walter Schoefer, Geschäftsführer beim Flughafen Stuttgart. Doch bis es so weit ist, müsste er noch bis 2035 warten. Diesen Zeithorizont haben die Strategien von Flugzeugbauern wie Airbus oder Zulieferern wie Siemens, bis größere Maschinen elektrisch abheben. Dennoch herrscht in der Forscherszene Aufbruchstimmung. Zum ersten europäischen Symposium über elektrisches Fliegen versammelten sich am Stuttgarter Flughafen etwa hundert Forscher, Entwickler und Tüftler um die Wissenschaftler Josef Kallo vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Len Schumann vom Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart.

 

Die Ingenieure wie Kallo und Schumann wollen natürlich mehr als Betrand Piccard, der demnächst mit durchschnittlich 70 Stundenkilometern um die Welt fliegen will. In den bisherigen Elektrofliegern ist meist nur Platz für eine Person, selten für zwei. Kallo forderte daher Airbusmanager Detlef Müller-Wiesner zu einem Wettspiel auf: In zwei bis drei Jahren soll eine Elektromaschine zwei bis vier Personen nonstop über eine Strecke von 1000 Kilometern bringen. Müller-Wiesner nahm an.

Serienproduktion für 2017 geplant

Beide haben natürlich einen Trumpf in der Hinterhand: Airbus plant für 2017 die Serienproduktion zweier Maschinen mit einer Stückzahl von 50 pro Jahr: einen Zweisitzer mit reinem Elektroantrieb und einen Viersitzer mit Elektro- plus Verbrennungsmotor. Auch Kallo hat längst einen Viersitzer auf dem Reißbrett. Doch 1000 Kilometer in zwei bis vier Flugstunden wären für die Elektrofliegerei ähnlich rekordverdächtig wie Piccards geplanter Flug mit der Solar Impulse. Damit könnten weit über 90 Prozent aller Flüge der General Aviation abgedeckt werden, erklärt Müller-Wiesner. „Wir sehen dort einen Markt.“

Die Parallelen zur Autoindustrie sind frappierend. Zunächst die Klagen: die Batterie ist zu schwach an Leistung und Energiegehalt, dazu noch zu schwer und zu teuer. Dann die Bandbreite an Antriebsvarianten: rein elektrisch mit Batterie, mit Strom aus der Brennstoffzelle, hybrid als Elektro-Verbrennungsmotorkombi oder mit optimierten Verbrennungsaggregaten für die großen Jumboflieger. Ingenieur Kallo wagt die Prognose: Kleine und mittelgroße Flugzeuge fliegen in Zukunft vollelektrisch. 40- bis 60-Sitzer benötigen hingegen einen hybriden Antrieb.

Die ersten Elektroflieger sind schon in der Luft

Im Auto lässt sich die Effizienz durch die sogenannte Rekuperation steigern: Beim Bremsen lädt sich die Batterie wieder auf. Diesen Betriebsmodus gibt es auch im Fliegen, etwa bei Flugschulen. Der slowenische Flugzeugbauer Pipistrel hat denn auch einen ultraleichten Elektroflieger zur Serienreife gebracht, der die Rekuperation beim Landeanflug nutzt. „Die Flugzeit beträgt 45 bis 60 Minuten, mit einer Reserve von 30 Minuten“, erklärt Tine Tomacic von Pipistrel. Wenn der Pilot nach der Flugstunde in geschicktem Abschwung wieder auf der Piste aufsetzt, hat sich die Batterie teilweise wieder aufgeladen. Das ist so effizient, dass rechnerisch jeder siebte Flug durch die Rekuperation geschenkt ist. Eine ausgeklügelte Konstruktion des Propellers macht das möglich: Die äußere Hälfte des Propellerblatts bringt ganz klassisch den Schub. Der innere Abschnitt ist hingegen wie ein Windkraftrotor geformt und für die Energierückgewinnung optimiert. Der Vorschubwirkungsgrad wird dadurch um fünf Prozent reduziert. Das scheint aber verkraftbar zu sein.

Auch das von Airbus bald produzierte Elektroflugzeug E-Fan zielt zunächst auf Flugschulen. Die Flugzeiten liegen ebenfalls bei 45 bis 60 Minuten, die Fluggeschwindigkeit bei 160 Stundenkilometern. „Das ist für uns zunächst eine Testflotte, um auch die Zertifizierung größerer Flugzeuge anzustoßen“, erläutert Müller-Wiesner. Und schließlich gehe es auch um Kundenakzeptanz: „Man muss die Menschen daran gewöhnen, elektrisch zu fliegen“, sagt der Airbusmanager.

Comeback des klassischen Propellers

Die Elektromobilität in der Luft führt auch zum Comeback des klassischen Propellers, diesmal angetrieben von einem Elektromotor. Da ein kompakter Elektromotor mehr Spielraum beim Einbau ermöglicht, sind neue Konstruktionsweisen denkbar. Beim elektrischen Motorsegler e-Genius, einem Konzeptflugzeug des Instituts für Flugzeugbau der Uni Stuttgart, arbeitet der Propeller beispielsweise vor dem Heckleitwerk. „Die Luft kann dadurch den Propeller besser an- und dann weiterströmen“, erklärt Propellerexperte Martin Hepperle vom DLR in Braunschweig. Flugzeugdesign und Propeller müssten exakt aufeinander abgestimmt werden, sagt Hepperle, der auch die Propeller von Piccards Solar Impulse mitentwickelt hat. „Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass Flugzeuge in Zukunft anders aussehen“, sagt Len Schumann von der Uni Stuttgart.

Ein schönes Beispiel hat Mark Moore von der US- Weltraumbehörde Nasa mitgebracht. Dort entwickelt Moore Vortriebskonzepte, „schnell und effizient“, wie er erklärt. Er verteilt bis zu 18 Elektromotoren und Propeller entlang des Flügels. So lässt sich der Schub exakt dosieren. Konventionelle Düsentriebwerke sind beispielsweise auf die energiezehrenden Start- und Aufstiegsphasen ausgelegt, für die Reisephase sind sie krass überdimensioniert. Moore will hingegen nicht benötigte Elektromotoren im Flug abschalten und sogar in den Flügel wegfalten. Das erhöht die Effizienz. Im Reisemodus reichten dann nur die beiden Elektromotoren an der äußersten Flügelspitze. Durch ein leichtes Verstimmen der Elektromotoren kann Moore überdies Lärm deutlich reduzieren. Die unterschiedlichen Frequenzen der Propeller heben sich gegenseitig auf. Im Demovideo hört sich das an wie ein Bienenschwarm.

Elektrisch in die Lüfte

Ziele
Der Wechsel zu regenerativen Energien, Verbrauchs-, Emissions- und Lärmreduktion steht im Fokus der Forscher. Die EU-Kommission möchte bis 2050 die CO2-Emissionen im Flugverkehr um 75 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 gesenkt sehen.

Szenarien
Kleine und mittlere Maschinen könnten in Zukunft vollelektrisch angetrieben werden. Bei Regionaljets ist ein Hybridantrieb mit Elektro- und Verbrennungsmotoren denkbar. Jumbojets brauchen noch lange Kerosin.

Energie
Die Speicherkapazität von Batterien ist noch zu gering. Für einen Standardflug verbraucht ein Mittelstreckenflugzeug wie der A319 rund 30 Liter Kerosin pro Person. Voll elektrisch müsste der Flieger pro Person derzeit eine Tonne Batterien mitschleppen. Als Alternativen setzt das DLR im Forschungsflugzeug Antares eine Brennstoffzelle ein. Die Uni Stuttgart will ihr Flugzeug e-Genius mit einem Range Extender bestücken – einem Verbrennungsmotor, der im Flug die Batterie auflädt