Die Kältetechnik steht vor einem tief greifenden Wandel. Nicht mehr Kompressor und Verdampfer, sondern spezielle magnetische Materialmischungen könnten in naher Zukunft für kühle Temperaturen sorgen. Das spart Energie.

Stuttgart - Hat der brummende Kühlschrank in der Küche bald ausgedient? Für den Physiker Karl Sandeman vom Imperial College in London ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die vertraute Kühltechnik verschwindet. Die künftigen Geräte sehen allerdings nicht anders aus als bisher. Aber sie benötigen nur halb so viel Energie und sind mucksmäuschenstill. In ihrem Inneren erzeugen dann Spezialmaterialien in einem Magnetfeld die nötige Kälte und nicht wie bisher die ökologisch teilweise problematischen Kältemittel.

 

Derzeit testet das Unternehmen Whirlpool, einer der größten Hausgerätehersteller, einen solchen magnetischen Kühlschrank. Der mannshohe weiße Kasten soll seinen inneren Werten bestechen: Er verbraucht nur knapp halb so viel Strom wie landläufige Produkte und erreicht die beste Energieklasse A+++. Das zahlt sich auch in der Klimabilanz aus. Rund 15 Prozent der Energie brauchen Industrienationen für die Kälteproduktion und verursachen so einen beträchtlichen Teil ihrer Treibhausgasemissionen.

Erst Geräte sind angekündigt

Auch andere Hausgerätehersteller wie etwa Toshiba arbeiten an der Umstellung auf die magnetische Kühlung – die meisten im Geheimen. Das französische Unternehmen Cooltech in Straßburg kündigt noch für dieses Jahr erste Geräte für industrielle Anwendungen an – vermutlich für Lebensmittelbetriebe. Und die deutschen Unternehmen Vaccuumschmelze und BASF wetteifern derzeit um die besten Materialien, die im Magnetfeld Kälte liefern. Es geht um einen riesigen Markt. Alleine 180 Millionen Kühlgeräte werden pro Jahr verkauft. Magnete sollen künftig aber auch Klimaanlagen, Gefrierschränke und Kühlsysteme für Kaufhäuser bestücken.

Bei der neuen Technik übernehmen nicht wie bisher ein Kompressor und ein Verdampfer die Arbeit, sondern ein Magnet und ein Rotor aus einem sogenannten magnetokalorischen Material (siehe Grafik). Der Rotor taucht mit einer Hälfte in das Loch des Magneten ein. Die andere Hälfte ragt heraus. Er dreht sich dabei ein bis zwei Mal pro Sekunde. Sobald der Rotor aus dem Magnetfeld herauskommt, kühlt er ab. Dies beruht auf der Eigenschaft des Materials. Jedes seiner Atome besitzt eine Art magnetischen „Kompass“. Im Magnetfeld richten sich die „Kompasse“ parallel aus. Aus dem Magnetfeld herausgenommen, tanzen sie wild durcheinander. Diese Unordnung wird kompensiert, indem sich die Atome selbst weniger bewegen – die Substanz wird kalt. Der Physiker Emil Warburg entdeckte 1881 diesen magnetokalorischen Effekt. Die Kälte aus dem Rotor gelangt dann über einen Wärmetauscher in den Kühlschrank.

Schädliche Kältemittel werden verbannt

Der Zeitpunkt für den Umbruch könnte kaum besser sein: Nach und nach werden die fluorierten Kältemittel verbannt. Seit 1991 sind in der EU die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) wegen der schädlichen Wirkungen auf die Ozonschicht und das Klima verboten. In Neuwagen ist nun auch das fluorierte Kältemittel 134a nicht mehr zulässig.

Doch der Kühlbedarf der Menschheit wächst stetig. Die Magnetkühlung wäre die perfekte ökologische Alternative. Ingenieure bauten schon vor 2010 weltweit 41 Prototypen, einen davon der Kühltechnikexperte Peter Egolf von der Ingenieurshochschule in Yverdon-les-Bains. Seine Erfindung glich mit Dutzenden Kabeln und viel blankem Metall eher einem physikalischen Versuchsapparat als einem Haushaltsgerät. Aber sie funktionierte. Beflügelt vom Erfolg kündigte er damals die ersten kommerziellen Geräte an. Aber nichts geschah. „Meine Vorhersagen haben sich nicht erfüllt“, bedauert Egolf heute. Die Industrie sprang bis vor wenigen Jahren nicht in großem Stil auf die Magnettechnik an. Und die Prototypen vor 2010 basierten fast alle auf Gadolinium als Kältelieferant. Dieses Material ist zu teuer und in viel zu geringen Mengen auf dem Markt.

Neue entscheidende Entdeckungen

Die Idee der Magnetkühlung wäre wohl in der Versenkung verschwunden, hätten nicht mehrere Forscher unabhängig voneinander zwei entscheidende Entdeckungen gemacht. Feng-Xia Hu in China und Asaya Fujita in Japan fanden eine Legierung aus Lanthan, Eisen und Silizium, die im Magnetfeld reichlich Kälte liefert. Kurz darauf beschrieb der Niederländer Ekkes Brück an der Technischen Universität Delft eine weitere Legierung aus Mangan, Eisen, Phosphor und Arsen, die dasselbe kann. Beide Werkstoffe lassen sich preiswert in großen Mengen erzeugen.

Der Magnethersteller Vacuumschmelze in Hanau stieg daraufhin in die Forschung ein. Das Unternehmen setzt auf das Material aus Fernost, weil es kein giftiges Arsen enthält. Seit 2007 stellt es daraus Plättchen für rund 20 Partner auf der ganzen Welt her. Zurzeit bereitet es die industrielle Produktion vor. Der Konkurrent BASF stürzt sich dagegen auf den Werkstoff von Ekkes Brück. „Wir sind in der vorkommerziellen Phase. In den nächsten Monaten und Jahren werden wir die ersten Geräte sehen“, ist sich Entwicklungschef Matthias Katter bei Vacuumschmelze sicher. Dass die Technik noch scheitert, hält er für ausgeschlossen.

Teure Magnete

Nur ein Problem ist geblieben. Damit die Legierungen Kälte erzeugen, müssen sie in ein Magnetfeld gebracht werden. „Die dafür erforderlichen Magnete kosten alleine rund 300 Euro. Solche Kühlschränke sind deshalb deutlich teurer als landläufige Geräte“, analysiert Egolf. „Die ersten Modelle werden Premium-Designerprodukte mit grünen Touch sein und sich an Kunden richten, die dafür gerne tausend Euro hinlegen“, bestätigt Katter. Für Supermärkte und Lebensmittelbetriebe könnte sich die Anschaffung dennoch lohnen, weil sie den Energieverbrauch halbieren und so die Betriebskosten senken.

Viele Entwickler hoffen, dass die Kosten der Magnetkühlgeräte bald auf das Niveau traditioneller Modelle fallen. Egolf ist in diesem Punkt skeptisch. Ihn stachelt der hohe Preis vielmehr zur Forschung an. Er möchte die Magnetkühlungen miniaturisieren. Dann bräuchte er weniger Magnet und damit weniger Geld. „Wenn das gelingt, kommen wir ins Auto hinein. Und die Magnetkühlung wird sehr, sehr erfolgreich werden“, prophezeit er. Doch das werde noch einige Jahre dauern, denn: „Mit der Entwicklung der Miniklimaanlagen haben wir gerade erst begonnen.“