Tübinger Wissenschaftler untersuchen die vielfältigen Auswirkungen von Körperscannern. In dem vom Bundesforschungsminister geförderten Projekt „Kreta“ geht es um Menschen mit abweichenden Körperbildern.

Stuttgart - So harmlos ist das? Erst durch einen Rahmen laufen wie bei jeder Kontrolle am Flughafen, dann einmal langsam um die eigene Achse drehen. Das war’s. Auf einem Bildschirm erscheinen nur grob markiert verdächtige Stellen am Körper. Keine Spur von Nacktbildern, die das Schamgefühl verletzen könnten. Das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen besitzt seit zwei Jahren einen Körperscanner und hat an einem Tag der offenen Tür eingeladen, sich über dieses Thema zu informieren und das Gerät auch selbst auszuprobieren.

 

Bei den Informationen über die Maschine zeigt sich, dass dieses Scannen aus ethischer Sicht bei Weitem nicht so harmlos ist, wie nach dem ersten Anschein gedacht. „Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit Minderheiten umgeht“, so lautet der Kernsatz von Regina Ammicht Quinn, deren Team Entwicklung und Einsatz von Körperscannern im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wissenschaftlich begleitet. Minderheiten, denen dieser Sicherheitscheck missfallen könnte, gibt es weit mehr als gedacht. Alte Menschen, kranke Menschen, verletzte Menschen, auch transsexuelle Menschen könnten in Situation geraten, die für sie und andere peinlich sind.

Gegenstände werden sichtbar

Ein Gerät ähnlicher Bauart wird bereits seit einigen Wochen am Stuttgarter Flughafen bei Reisenden mit Zielort USA eingesetzt. Die Terahertz-Strahlen dieser Körperscanner durchdringen Kleidungsstücke und erstellen ein detailliertes Abbild der Körperoberfläche, erklären die Tübinger Wissenschaftler. Da die Haut des Menschen wasserhaltig ist, werden die Strahlen absorbiert. Gegenstände freilich, die direkt auf der Haut getragen werden, reflektieren die Strahlung und werden dadurch erkennbar. Zu Gunsten der Sicherheit sollen Keramikmesser oder Plastiksprengstoff oder Foliensprengstoff sichtbar gemacht werden. „Der Alarm zeigt sich in Form von Farbflächen, die auf einem als Piktogramm dargestellten Körper markiert werden“, wird beschrieben. Die schemenhafte Darstellung liefert eine Abstrahierungssoftware, die eine bildhafte Darstellung des Körpers verschlüsselt. Auffällige Körperregionen werden vom Sicherheitspersonal nachkontrolliert.

Kontrollen bei Flugpassagieren wurden nach einer Entführung des Southern-Airways-Flugs 49 in den USA im November 1972 eingeführt. Damals drohten drei Entführer, eine Douglas DC 9 über dem Atomreaktor von Oak Ridge abstürzen zu lassen. Nachdem eine Geldforderung wenigstens teilweise erfüllt worden war, gaben die Entführer nach 30 dramatischen Stunden mit einem Flug über die USA, Kanada und Kuba in Havanna auf. Nach Beginn der Kontrollen wurden bei Passagieren viele Tausend Waffen vor Antritt ihres Fluges entdeckt. Die Zahl der bis dahin recht häufigen Flugzeugentführungen ging in den USA zunächst dramatisch zurück. Erst durch die Anschläge am 11. September 2001 in New York wurde in der Praxis deutlich, welche Gefahr von zum Absturz gebrachten Flugzeugen ausgehen kann. Seither wird verstärkt über immer genauere Kontrollen der Flugpassagiere nachgedacht.

Hoher Preis für die Sicherheit

„Ein Grundmaß an Sicherheit ist eine Voraussetzung für ein angstfreies und selbstbestimmtes Leben“, lautet eine These der Tübinger Ethiker. Aber die Sicherheit hat immer einen Preis. Wer Regina Ammicht Quinn – sie war Staatsrätin für interkulturellen und interreligiösen Dialog sowie gesellschaftliche Werteentwicklung im Kabinett Mappus – zuhört, stellt fest, dass dieser Preis auch im Falle der entschärften Körperscanner durchaus hoch ist. Nicht nur Waffen und Sprengstoff werden enttarnt, sondern auch Urinbeutel, größere Narben, Prothesen, künstliche Darmausgänge oder Erwachsenenwindeln. Und das geschieht bei einer älter werdenden Bevölkerung mit zunehmender Mobilität.

Das Wort von Outing fällt, wenn zum Beispiel bei einer Gruppe von Geschäftsreisenden Krankheiten oder eingeschränkte Körperfunktionen offenbar werden. Die Software ist auf Männer und Frauen unterschiedlich programmiert, vor dem Scanvorgang muss das Geschlecht gewählt werden. So bleibt beispielsweise das Metall in einem BH unberücksichtigt. Doch Transsexuelle können bei der Geschlechtswahl in Bedrängnis geraten. Schließlich sind die Programme auf den Normalmenschen ausgelegt, „den es eigentlich gar nicht gibt“, wie eine Ethnologin in Tübingen sagt. Bei Rollstuhlfahrern habe das Gerät schon angezeigt, dass sich kein Mensch im Scanner befinde. „Wie fühlt sich ein Mensch, der nicht gesehen wird?“

Wo fängt die Diskriminierung an?

Wo Diskriminierung anfängt und welche individuellen Rechte auf welche Weise tangiert werden dürfen, lautet eine zentrale Fragestellung des Tübinger Projekts. Die Theologin Ammicht Quinn weiß, dass es vielen Menschen wenig ausmacht, auf diese Weise durchleuchtet zu werden. Sie fordert allerdings Alternativen für die Minderheiten, die nicht stigmatisieren. Und sie verweist auf die hohe Verantwortung und das notwendige Fingerspitzengefühl des Sicherheitspersonals an den Flughäfen. Denn bei den Nachkontrollen könne es zu vielen heiklen Situationen kommen. Das meist nicht gut bezahlte und angesichts des Andrangs häufig unter Zeitdruck stehende Personal sei ein Schlüssel zum angemessenen Umgang mit der Technik.

Die neunköpfige Wissenschaftlergruppe soll Einführung und Nutzung der Technologie ethisch, sozialwissenschaftlich und psychologisch analysieren. Bei dem nur von wenigem Menschen beachteten Tag der offenen Tür unter der Überschrift „Was wird sichtbar von mir im Körperscanner?“ wird jedenfalls deutlich, dass diese Technik vieles aufdeckt, was Menschen ganz bestimmt nicht sichtbar machen wollen.

Allerdings ist die im Jahr 2011 spürbare Aufregung über den Nacktscanner abgeflaut. „Es gibt keine Gruppe, die massiv dagegen vorgeht“, heißt es in Tübingen, „man ergibt sich beim Thema Sicherheit.“ Selbst über den Einsatz des Geräts im Stuttgarter Flughafen wird kaum diskutiert. Dabei wurde den Forschern bereits signalisiert, dass solche Geräte alsbald nicht mehr nur vor USA-Flügen eingesetzt würden.

Körperscanner zwischen Sicherheit und Gerechtigkeit

Das Projekt
„Kreta“ nennt sich ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt, das sich mit Sicherheitstechnologien und Menschen mit abweichenden Körperbildern befasst. Es geht um Fragen nach Inklusions- und Exklusionsmechanismen von Sicherheitstechnologien. Damit wirft das Projekt auch ganz allgemein Fragen zum Verhältnis von Sicherheit und Gerechtigkeit auf.

Interdisziplinär
An dem Projekt des internationalen Zentrums für Ethik der Wissenschaften sind Wissenschaftler aus den Sozialwissenschaften, der Ethik und der Psychologie beteiligt.

Erhebungen
Der hauseigene Körperscanner in Tübingen wird für psychologische Studien benutzt und dient außerdem zur Produktion von Bildmaterial. Weiteres Datenmaterial wird über qualitative Interviews mit betroffenen Gruppen und ethnografische Beobachtungen am Flughafen erarbeitet.