Volker Kefer steht nicht nur wegen der Probleme bei Stuttgart 21 massiv unter Druck. Spekulationen über seinen baldigen Abgang weist die Deutsche Bahn bislang allerdings zurück.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Es wird kein erfreulicher Tag für Volker Kefer werden. Am Mittwoch tagt der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn, und die Rollen für die Sitzung sind bereits verteilt. Für Kefer bleibt der unangenehmste Teil: der Auftritt als Sündenbock. Sein Bericht zur Lage wird bei den Kontrolleuren des Bundes und der Gewerkschaften wenig Erheiterung auslösen. Denn das umstrittene Prestigeprojekt Stuttgart 21 wird nochmals mindestens eine Milliarde Euro teurer werden. Und das, obwohl gerade Kefer so oft beteuert hat, dass der „Kostendeckel“ von 4,5 Milliarden nicht nochmals gesprengt werde. Davon kann keine Rede mehr sein – und dafür muss der Manager, obwohl er zeitweise den Ausstieg der DB aus dem Projekt versuchte, nun den Kopf hinhalten.

 

Kefer wird sich auf einige unangenehme Fragen der Aufseher gefasst machen müssen. Wie ist solch eine weitere Kostenexplosion beim angeblich bestgeplanten Bahn-Projekt nur möglich? Was ist da schiefgelaufen? War nicht längst klar, dass der komplizierte Tunnelbau viel teurer wird? Wer ist dafür verantwortlich? Und vor allem: Wer soll nun eine Milliarde Euro Mehrkosten finanzieren? Gar die Bahn selbst? Wäre S 21 dann für den Konzern noch wirtschaftlich oder doch ein Ausstieg besser? Kefer wird Antworten liefern müssen.

Kein Wunder, dass es hinter den Glasfassaden des Berliner Bahn-Towers seit Wochen kräftig rumort. Vor drei Jahren traf der Aufsichtsrat des Staatskonzerns die Grundsatzentscheidung für S 21, trotz heftiger Kritik von vielen Seiten, es drohe ein Milliardengrab. Doch DB-Chef Rüdiger Grube und Kefer warben schon damals auch bei den Kontrolleuren für die angeblichen Vorteile des Projekts. „Uns blieb gar keine Wahl, als für S 21 zu stimmen, weil der Bahn sonst ein Riesengeschäft entgangen wäre“, rechtfertigte damals ein Aufseher sein Votum.

Das Stuttgarter Riesending wird für die DB nun womöglich zum schmerzhaften Verlustgeschäft. In den damaligen Unterlagen zur Aufsichtsratssitzung heißt es, dass S 21 bis zu Kosten von gut 4,7 Milliarden Euro für den Konzern wirtschaftlich sei. Inzwischen aber ist von sechs Milliarden Euro und mehr die Rede – Beträge, die seriöse Experten schon lange erwarten. Und weder Bund und Land noch Stadt und Region wollen sich bis jetzt an Mehrkosten beteiligen. Aus gutem Grund: schließlich hat in erster Linie die DB als Planer und Bauherr die milliardenteuren Fehlkalkulationen zu verantworten. Für den Konzern könnten nun sowohl der Weiterbau mit erhöhtem Eigenrisiko als auch ein Ausstieg sehr teuer werden. Im Aufsichtsrat fragen sich einige Herren nun, was da wohl das kleinere Übel wäre – und wen man dafür haftbar machen kann.

Zweifel am Geschäftsmodell

Umso mehr steigt die Nervosität besonders in Kefers Verantwortungsbereich, wie Insider berichten. Vor zwei Wochen stiftete ein interner Brandbrief an die Mitarbeiter Unruhe. Kefer, zuständig für Technik, Netz, Bahnhöfe und alle Bauprojekte wie S 21, räumte darin im Wege der Vorwärtsverteidigung umfangreiche Fehlplanungen und Finanzierungslücken in seinen Ressorts ein. Man sei in einer „Abwärtsspirale“, das gegenwärtige Geschäftsmodell der Infrastruktur „nicht zukunftsfähig“, heißt es in dem Rundschreiben an Mitarbeiter, das dieser Zeitung zugespielt wurde.

Die Reaktion der DB-Spitze auf den entsprechenden Bericht der Stuttgarter Zeitung am 24. November spricht für sich. Im Pressespiegel des Konzerns, in dem täglich auch eher nebensächliche Dinge nachzulesen sind, fand sich der kritische halbseitige Artikel zu Kefers schlechter Bilanz nicht. „Das grenzt schon an Zensur und hat viele Mitarbeiter verärgert“, berichtet ein Manager. Der Text verbreitete sich trotzdem via E-Mail wie ein Lauffeuer im Konzern – und gehörte auch im StZ-Online-Angebot tagelang zu den meistgeklickten Artikeln.

Kefer scheint zu ahnen, dass er als Sündenbock nicht nur für das erneute Kostendebakel bei S 21 herhalten soll. Deshalb sichert er sich ab. Nach zuverlässigen Informationen dieser Zeitung hat der Manager nun veranlasst, dass eine von der Bahn bezahlte Anwaltskanzlei prüft, ob auf ihn Haftungsansprüche wegen der Fehlentwicklungen zukommen könnten. Das wäre ein bemerkenswerter Vorgang, den sein Sprecher aber bestreitet. Das sei „nicht richtig“.

Inzwischen wird im DB-Tower sogar ein rascher Abgang des zweitmächtigsten DB-Vorstands nicht mehr ausgeschlossen. Ein Sprecher dementiert das mit Nachdruck: „Spekulationen über die berufliche Zukunft von Dr. Kefer sind frei erfunden, sein Vertrag läuft bis Herbst 2017.“ Doch in den Ressorts Infrastruktur und Technik, für die der Manager zuständig ist, brennt die Luft. Die Netzsparte verfehlt, wie Kefer selbst einräumt, die Ertragsziele und muss, weil der Bund Druck macht, künftig viel mehr eigenes Geld in den Erhalt teils maroder Gleise, Brücken, Tunnel und Bahnhöfe stecken. Eine Sonderprüfung der Bahnaufsicht ergab bei jeder vierten von 257 geprüften Brücken Sicherheitsmängel. Ein weiterer Beweis, dass die Bahn Wartung und Reparaturen aus Kostengründen vernachlässigt. Und auch bei vielen Neubauprojekten der DB wächst bundesweit die Kritik, weil Kosten- und Terminpläne wie bei S 21 sich immer öfter als reines Wunschdenken entpuppen.

Kaum besser ist die Lage in der Techniksparte, die vor allem eine einsatzfähige und ausreichende Zugflotte sichern soll. So gibt es seit Jahren massive Probleme mit Fahrzeugmängeln und verpassten Lieferterminen. Dabei war der ehemalige Siemens-Manager Kefer, der viele Jahrzehnte beim Münchner Hoflieferanten der DB arbeitete, für die Beseitigung der Flottenmängel nach Berlin geholt worden. Nach Ansicht von Beobachtern geht Kefer mit der Industrie viel zu nachsichtig um, besonders im Hinblick auf Schadenersatzforderungen und neue Aufträge. „Da fehlen Biss und harte Konsequenzen“, ärgert sich ein DB-Manager.

Auch Kefers Vorstandskollegen sind verärgert

Kürzlich musste Kefers Ex-Arbeitgeber Siemens einräumen, dass längst bestellte 16 ICE-Züge noch später geliefert werden. Damit fehlen Reservezüge, die dringend nötig wären, um ein weiteres Chaos im deutschen Schienenverkehr in diesem Winter wenigstens zu lindern. Trotzdem versorgt die Bahn Siemens immer weiter mit Aufträgen. Die Mängel im Netz und bei der Technik ärgern auch Kefers Vorstandskollegen. Denn der Personen- und Güterverkehr leidet heftig unter den Defiziten. Die Spartenchefs bekommen von ihren Kunden jede Menge Kritik zu hören, wenn Züge fehlen, Verspätungen zunehmen und versprochene neue Verbindungen auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben werden.

Unbeliebt hat sich Kefers Sparte zudem bei der Bundesregierung gemacht. In den Verhandlungen über die Finanzierung des Schienennetzes durch den Staat von 2014 bis 2018 präsentierte die DB Netz „horrende Forderungen“, wie es in Koalitionskreisen verärgert heißt. Die Regierung schaltete darauf die Beratungsfirma Interfleet Technology ein, die das DB-Zahlenwerk nach allen Regeln der Kunst auseinandernahm und etliche Ungereimtheiten zu Tage förderte. So errechnete die DB einen gigantischen Nachholbedarf von 40 Milliarden Euro bei der staatlichen Schieneninfrastruktur. Zur Beseitigung wären für ein Jahrzehnt vier Milliarden Euro jährlich extra nötig, die vom Bund finanziert werden müssten. Die Gutachter kamen dagegen zum Ergebnis, dass überhaupt keine Sonderzahlungen an die DB nötig seien. Der Großteil der Infrastruktur lasse sich durch die laufenden Ersatzinvestitionen wieder in Schuss bringen.

Auch diese Summen, die der Bund jedes Jahr zum Erhalt des Netzes an die DB überweist, veranschlagen die Berater niedriger als der Konzern. Die DB Netz forderte zunächst eine Erhöhung um fast 50 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro, nach den Prüfungen durch Interfleet noch 3,815 Milliarden Euro pro Jahr. Die Experten sehen nur einen Bedarf von 3,126 Milliarden Euro. Das ist kaum mehr Geld, als bisher schon für Ersatzinvestitionen ins Netz fließt. Die Differenz von 689 Millionen ist nun strittig.

Beobachter sehen das Regierungsgutachten als ziemliche Blamage für Kefers Netzmanager, denn von deren Forderungen bleibt wenig übrig. Die Expertise zeigt auch, dass das komplizierte Regelwerk zur Kontrolle der milliardenschweren Staatsgelder für die Schiene erschreckende Lücken hat. Die Berater deckten zum Beispiel einige Nebenerlöse auf, von denen die DB Netz bislang noch versteckt profitiert. Die Experten empfehlen daher mehr als ein Dutzend Verbesserungen für die nächste Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mit der Bahn, die ab 2014 die üppigen Geldflüsse in die Infrastruktur regeln soll.

Die Bahn muss mehr aus eigener Kasse investieren

Klar ist: die DB muss künftig mehr aus eigener Kasse investieren. Die Berater empfehlen der Regierung, dass der Konzern künftig mindestens 1,66 Milliarden Euro pro Jahr in die Instandhaltung des teils maroden Schienennetzes steckt. Das wären satte 660 Millionen mehr als bisher vorgeschrieben und knapp 200 Millionen mehr, als der Konzern 2010 für Wartung und Reparaturen ausgab.

Kein Wunder, dass Kefer nun intern Alarm ausgelöst hat und warnt, für die Instandhaltung fehlten dreistellige Millionenbeträge. Doch das ist nicht der einzige Punkt, der zu Dissens zwischen der DB und der Regierung führt. „Momentan ist die Lage so vertrackt, dass offen ist, ob es 2014 überhaupt eine neue LuFV gibt“, heißt es in Koalitionskreisen. Zumal der Bundestagswahlkampf näherrückt. Und da wollen Union und FDP offenen Streit mit dem größten Staatskonzern lieber vermeiden.

Im Ergebnis könnte das heißen, dass die DB vorerst nicht auf weiteres Geld vom Bund für das Netz zu hoffen braucht und die bisherige LuFV erst mal verlängert wird. Als Erfolg für Kefers Truppen ist auch das gewiss nicht zu werten. Zumal in der Koalition nun erneut der politische Zwist hochkocht, ob das Schienennetz nicht besser der DB ganz entzogen oder zumindest die hohen Gewinnentnahmen des Konzerns aus der Infrastruktursparte gestoppt werden sollten. Das fordert auch der Bundesrat.

Der Ressortchef hat nun intern das Projekt „Zukunft Infrastruktur“ veranlasst, bei dem 30 Mitarbeiter bis März neue Strategien entwickeln sollen. Manch einer bezweifelt, dass Kefer die Umsetzung noch als DB-Vorstand erleben wird. Über mögliche Nachfolger aus Regierungskreisen wird schon spekuliert.