Steffen Charles ist der am besten vernetzte Techno-Aktivist. Der Veranstalter ist bei der SEMF miteingestiegen und erzählt uns von DJs, Problemen und Eiern.

Die französische DJ-Legende Laurent Garnier dankt Steffen Charles in seinem Buch „Elektroschock“, die Events Time Warp und Love Family Park, die seine Agentur Cosmopop ausrichtet, sind Klassiker unter den deutschen Festivals und die Time Warp wurde darüber hinaus längst in andere Länder exportiert, außerdem hat er beste Beziehungen zu den größten DJs der Szene, die er mitunter selbst vermittelt. Charles ist ohne Frage der am besten vernetzte deutsche Techno-Aktivist. Nun ist er mit Cosmopop beim SEMF eingestiegen. Ein Gespräch über das Festival, DJs und das Leben als Großveranstalter.

 


Du bist sozusagen einer der letzten „Überlebenden“, die in den frühen 90ern angefangen haben Techno-Events zu veranstalten.

Steffen Charles: Ich bin tatsächlich als Veranstalter seit 1992 aktiv. 2014 feiert die Time Warp ihr 20-jähriges Jubiläum. Neben der Mayday ist die Time Warp als einzige Indoor-Veranstaltung von damals übrig geblieben.


Wenn man so lange dabei ist, neigt man gerne dazu, zwischen früher und heute zu vergleichen. Was ist heute anders für einen Festival-Veranstalter?

Steffen: Früher war alles etwas entspannter und lange nicht so aufwendig, wie heute in fast allen Bereichen. Dafür war aber früher die Promotion eine unglaubliche Quälerei. Ich sage gerne zu unseren Auszubildenen: 'Ich hatte sieben Millionen Scheibenwischer in der Hand!' (lacht) Ist aber so! Sobald ein Event näher rückte, sind wir mit den Flyern im Gepäck alle Partys in der Umgebung abgefahren und haben den parkenden Autos einen Zettel unter den Wischer geschoben.


Man darf sich heutzutage trotzdem nicht allein auf Facebook und Co. verlassen.

Steffen: Natürlich nicht! Aber früher gab es eine Groove (Magazin für die elektronische Musikszene, d. Red.) und sonst nichts. Du musstest wirklich rausgehen, bzw. zu den Leuten hingehen. Erst als sich die Szene-Magazine vermehrten, wurde es ein Stück leichter. Und dank online kannst du sowieso deinen Event viel stärker und schneller verbreiten. Allerdings darf man nicht vergessen, die Leute wollen heutzutage auch mehr geboten bekommen: Pre-Movie, After-Movie, da eine Applikation und so weiter. Und du bist natürlich auch einer stärkeren Kritik ausgesetzt.


Auf Facebook haut man gerne mal ein paar böse Worte raus, wenn irgendein Furz nicht passt.

Steffen: So schnell wie es in die eine Richtung nach oben geht, kann es in eine negative Stimmung umschlagen. Es ist allgemein einfach alles schneller geworden, und du brauchst einen unglaublichen Stamm an Personal und betreibst einen großen Aufwand um das alles zu bewältigen. Früher hat man eine Tonanlage und einen Laser reingehängt und hast dir noch wahnsinnige Gedanken über die Dekoration gemacht. Heutzutage geht man ganz anders an die Sache heran, so wird, nur als ein Beispiel, z.B. jeder Dancefloor vorher gerendert, gezeichnet und Stage-Designs werden mitunter zuvor in Modellen gebaut. Außerdem, das ist wohl allgemein bekannt, sind nach der Love Parade in Duisburg ganz andere Auflagen hinzugekommen. Die Behörden sind teilweise restriktiver als in der Vergangenheit, was auch verständlich ist, denn es ist bis heute noch nicht klar, wer in Duisburg letzten Endes die Verantwortung trägt.


Trotz des gestiegenen Aufwands und Stress schien dir aber neben der Time Warp, die längst auch anderen Ländern stattfindet, noch eine Aufgabe zu fehlen. Wie kam es zu dem Einstieg beim SEMF?

Steffen: Wir haben bis zum April 2011 die Day & Night in Stuttgart und Region mit produziert und sind danach ausgestiegen. Cristoforo „Krize“ Marrazzo und Tomas „Tome“ Aulicky vom SEMF-Team wiederum kenne ich schon sehr lange und die Jungs haben schon öfters angefragt, ob wir ihnen nicht Künstler vermitteln würden. Das kam für mich aus diversen Gründen nicht in Frage, aber es kam die Idee auf, sich an einen Tisch zu setzen. Cosmopop wäre gerne weiter im Stuttgarter Raum aktiv und hat, so glaube ich, die Erfahrung, das in einer gewissen Größenordnung umzusetzen. Das SEMF-Team wiederum hat bis dahin sehr gute Aufbauarbeit geleistet und auch, ich sag´s mal direkt, die Eier gehabt auf die Messe zu gehen und das durchzuziehen.


Definitiv, dafür braucht man Eier.

Steffen: Ich habe ganz großen Respekt davor. Ich kenne so viel Leute, die nur rumbabbeln (yeah, Mannheim in the House, d. Red.), sie würden da einen Event machen und dann dort, aber wenn es wirklich darum geht, das dann umzusetzen, trennt sich die Spreu vom Weizen. Das war für mich ein Zeichen, dass bei den SEMF-Leuten Substanz da ist, weil das haben sie gut hingekriegt. Dann haben wir uns beschnuppert und sind gleich ziemlich cool zueinander gekommen. Ich denke, das ist jetzt eine Partnerschaft, die für alle passt.


Was bringt Cosmopop konkret in diese neue „Ehe“ mit?

Steffen: Wenn du einen Event für 10.000 bis 13.000 Leuten entwickelst, brauchst du einfach noch andere Acts, die wir wiederum in unserem Portofolio haben. Und bei einer erwarteten fünfstelligen Gästezahl ist eine gemeinsame produktionstechnische Umsetzung, glaube ich, eine gute Sache, weil das ist doch ein immenser Aufwand. Letztendlich bündeln wir unsere Kräfte. Jeder bringt sein Können und seine Erfahrung mit ein und beide Seiten lernen auch gegenseitig voneinander.


Stichpunkt Acts: Im Vorfeld schwirrten einige andere prominente DJ-Namen durch die Gerüchteküche, wie z.B. Ricardo Villalobos, Luciano oder Prodigy. Einige Szenekenner haben sich gerade aufgrund eures Einstiegs und euren guten Verbindungen zu der obersten DJ-Liga die eine oder andere Perle mehr erhofft. Bis auf Sven Väth und Jamie Jones spielen alle anderen Acts regelmässig in Stuttgarter Clubs.

Steffen: Das hat mehrere Gründe. Zum einen saßen wir relativ spät zusammen. Ich habe jetzt zum Beispiel schon alle Optionen durchgetaktet fürs nächste Jahr. Dann war es auch eine Budget-Frage. Die Messe ist in allen Punkten ein sehr, sehr teurer Veranstaltungsort, das muss man ganz klar sagen.


Stimmt, kleines Beispiel: Jeder Hängepunkt an der Decke kostet Geld.

Steffen: Richtig. Da ist alles teuer. Aber Messe hin oder her, es ist das prinzipielle Problem von Ein-Tages-Festivals und da bin ich ganz offen und ehrlich: Man finanziert weder eine SEMF noch eine Time Warp mit den Türeinnahmen, das reicht hinten und vorne nicht. Da brauchst du neben dem Sponsoring die Gastro-Einnahmen.Weiterhin hatten wir zwar eine Zusage von Prodigy, aber dann brauchst du alleine für diesen Act mit einer Extrahalle und allem drum und dran nochmals 6.000 Leute extra. Aber wollen wir diesen Weg gehen? Wir haben uns deswegen gesagt, wir gehen dieses Jahr mit dem Line-Up auf Nummer sicher und überzeugen dann die Gäste und Acts mit diesem Event.


Nummer sicher trifft es gut.

Steffen: Wir hätten natürlich schon gerne noch jemand dazu gebucht, aber gerade am ersten und zweiten Dezember-Wochenende sind viele Künstler im asiatischen und australischen Raum unterwegs, weil da ebenfalls große und bekannte Festivals stattfinden. Der Markt ist globaler geworden. Dadurch ist es wahnsinnig schwierig neue Sachen zu etablieren und dafür gleich eine gewisse Riege an Acts zu bekommen. Die checken genau ab, wo sie spielen wollen. Und insofern muss ich ehrlicherweise sagen, bin ich froh, dass wir Jamie und Sven im Boot haben, und auch das war ein langer harter Verhandlungsweg. Aber: Es hat sich gelohnt, wir werden mit Sicherheit eine fünfstellige Besucherzahl erreichen.


Was erhoffst du dir noch außer den hohen Zuspruch des Publikums?

Steffen: Jetzt geht es darum, einen guten Event abzuliefern, die Gäste und alle Acts happy zu machen und dann spricht sich das herum. So soll sich das schön entwickeln. Wir haben unsere Termine schon gesetzt für das nächste Jahr. Ich habe schon Künstler optioniert wie auch Tome, und dann kommst du da auf ein anderes Level.


Das SEMF 2013 ist sozusagen schon eingetütet?

Steffen: Wenn es bei der Abwicklung keine Probleme gibt und hinterher die Messe nicht sagt, das geht so nicht nochmal, dann wollen wir das auch an dieser Stelle wieder machen, ja.


Schön. Abschließend noch eine ganze andere Frage: Wie erklärst du dir als langjähriger Veranstalter die Verehrung des Publikums für die großen DJs und das Phänomen, dass die Gäste bei einem Festival immer straight zur Bühne schauen, obwohl da jemand steht, der nur Platten (oder was auch immer mittlerweile) von meist anderen Künstlern abspielt? Mich wundert das nach 20 Jahren Techno manchmal immer noch.

Steffen (lacht): Da könnten wir uns jetzt stundenlang darüber unterhalten. Letzten Endes ist so wie in anderen musikalischen Bereichen auch. Die Jungs und Mädels, die an diese Stelle kommen, haben natürlich irgendwas, sei es Ausstrahlung oder Charisma. Es gibt ja 100.000 DJs da draußen und letztendlich entscheidet es sich aufgrund seiner Persönlichkeit. Wie eben Mick Jagger von zig Tausenden anderen Sängern, wenn er von links nach rechts auf der Bühne hin und her rennt.

Und es ist klar: Es gehört auch eine ganze Portion Glück dazu, ganz nach oben zu kommen. Du musst zum rechten Zeitpunkt zur Stelle sein, an dich glauben, aber am Ende ist es ein Unterschied in der Persönlichkeit – wie nehmen die Leute dich wahr? Neben den Skills musst du irgendetwas haben. Ich war übrigens ein schlechter DJ. 1991 habe ich angefangen, aber meine Karriere ein Jahr später schon wieder an den Nagel gehängt. Bei meinem letzten Gig wurde ich mit einem Feuerzeug beworfen (lacht).