Wie finden eigentlich Musiker aus anderen Szenen Techno? Wir machen den Test und spielen Szenefremden Klänge von Sibold, Jaehn, Liebing und vielen mehr vor. In der Jury sitzt diesmal das erfolgreiche Dancehall Soundystem Jugglerz.

Stuttgart - Geschmäcker sind verschieden: Während auf dem Semf um die 15.000 Menschen zu Techno und House durchdrehen, können viele andere Menschen mit dem Genre wenig bis gar nichts anfangen. Der Hauptvorwurf lautet seit jeher: mangelnde Musikalität sowie Eintönigkeit. Wir wollen es genauer wissen und spielen deshalb jährlich im Rahmen unserer Kolumne „Techno mit Semf, bitte“ szenefremden Musikschaffenden ausgewählte Tracks vor.

2016 lautet der „Fight“: Dancehall vs. Techno. In der Jury sitzen Jugglerz Sound, bestehend aus Shotta Paul, DJ Cutlass und DJ Meska, der Stuttgarter Dancehall Export schlechthin. Steht das Trio nicht auf internationalen Club-, Festival- oder Soundclash-Bühnen, spreadet man vom Studio-Kreativ-Komplex Rotebühlstraße 5a via Jugglerz Records und Jugglerz Radio den „Reggae von heute“ in die Welt hinaus. Im Frühjahr erschien die von Jugglerz produzierte Compilation „Jugglerz City“ inklusive Top-Artists Beenie Man, Konshens und Romain Virgo. Ihr Studio ist mit vielen gewonnenen Soundclash-Pokalen dekoriert.

Kam das Trio bislang mit Techno in Berührung? DJ Meska ist am Bodensee aufgewachsen und da hat es ihn gelegentlich und gezwungenermaßen, das Party-Angebot war rar, auf eine Goa-Party verschlagen („abgefahrene Erfahrung“). Shotta Paul (35) hatte mit 17 eine halbjährige Techno-Phase („da habe ich es mir schon ein bisschen gegeben“). Der junge DJ Cutlass (20) wiederum sagt, dass man im Stuttgarter Raum kaum um die Musik herum kommt, sie sei bei seinen Freunden Standard. Ab und zu geht Cutlass auf eine Party mit.

Wir spielen den Jugglerz Tracks von Semf-Acts und Szene-Hits aus 2016 vor. Die Stimmung wurde ziemlich schnell sehr locker. Auch wenn ihre Aussagen direkt sind, das sieht dieses Format auch so vor, betonen die Jugglerz ausdrücklich, dass „wir Reggae-Heads Techno nicht haten, wir respektieren jede Form von Musik und jede Form von Partyculture.“ No offence, alles gut.

Loco Dice ft. Chris Liebing – Keep it low

 



(Nach einer Minute) Spürt schon jemand was?
Shotta Paul: Ich bin vocal-gebunden, ich warte die ganze Zeit, was die Stimme mir noch erzählen will.
Meska: Es ist relativ simpel gemacht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das auf so einem Rave funktioniert. Es geht ja schon nach vorne. Die tiefe Stimme und die abgeschnittene Hi-Hat kicken bestimmt. Da tanzt man sich halt so in Trance.
Paul: Bei Techno mixt man ja viel länger als zum Beispiel bei uns im Dancehall, da macht man schnelle Cuts. Bei dieser Musik baut sich das alles auf und entfaltet ganz anders seine Wirkung. Ich warte trotzdem immer noch, dass etwas passiert.
Meska: Je länger das Lied läuft, desto besser wird es. Wer ist das?

Loco Dice ft. Chris Liebing, zwei der Headliner dieses Jahr auf dem Semf.
Cutlass: Mir ist es zu stumpf.
Meska: Der Groove ist gut.
Paul: Der Beat klingt cool, das hört sich tough an, Beton, City, Großstadt, aber irgendwie passiert da nichts. Das würde bei Dancehall nie so funktionieren.
Meska: Wenn du nach dem Interview noch fünf Minuten länger bleibst, mach ich dir sowas ähnliches (alle lachen).

Rampa - Necessity

Wir machen weiter mit einem aktuellen „Hit“.
Paul: Das geht auf jeden Fall relativ angenehm los. Was redet der Typ da? Das ist komplett egal in der Szene, oder?

„Let me talk to you“, ein Vocal-Sample wohl. Ja, „Texte“ sind eher unwichtig...
Meska (ruft): Fleischkäsbrötchen! (alle lachen)

Wie findet ihr den Vibe von diesem Stück im Vergleich zum ersten?
Cutlass: Viel angenehmer. Das kann ich mir jetzt viel mehr vorstellen, dazu zu viben.
Paul: Ja, viel Sommer-Partymäßiger.
Meska: Ich fühle das weniger als das andere. Bei dem anderen hat mir dieser Ghetto-Vibe, dieses Roughe gefallen. Das hier ist für mich Fahrstuhlmusik auf Pille (lachen). Das ist jetzt immer der gleiche Loop, das sind zwei Akkorde.
Cutlass: Ich kann mich bei diesem Stück mehr reinversetzen.
Meska: So ging´s mir bei dem anderen davor.

Ich skippe vor zum Break, der zeichnet dieses Stück aus.
Paul: Warte auf den Break! Das find ich bei Techno etwas beknackt, das muss ich ehrlich sagen...

Den Break?
Paul: Ja, diese Breakfläche, das ist auch bei Drum´n´Bass so. Alle schweben rum und drehen dann voll durch, wenn der Beat einsetzt (Paul simuliert ein Partykreischen) - also come on! (alle lachen). Das ist ein ganz anderer Partyvibe.
Meska: Bei uns ist der Anfang vom Song das Allerwichtigste.

Wie beim HipHop. (Der Break läuft, das Sample „Let me talk to you“ schraubt sich hoch)
Paul: Ja, red doch mal, erzähl mir was!
Meska: Aber mit dem Spruch kann man Girls angraben.
Paul: Nein, das machen die doch bei den Techno-Partys nicht!

Ach doch, da wird genauso gebaggert.
Cutlass: Wie heißt der Techno-Typ, der gesagt hat: „Meine Musik verstehst du erst, wenn du Gruppensex auf LSD hattest?“ Sven Väth?

Hm, ich weiß es nicht. Könnte auch Westbam gewesen sein.
Paul: Ich warte! (Der Beat setzt unspektakulär ein) Das war jetzt der Break?

Das war der Break (die Jugglerz amüsieren großartig).
Paul: Das geht aber besser!

Das Stück ist von Rampa, von der Berliner Keinemusik-Posse, die auch mitunter die letzten Jahre musikalisch geprägt haben. Jetzt wieder ein Semf-Act, aber ganz andere Baustelle.

Felix Jaehn – Book of Love

Cutlass: Klingt nach Robin Schulz.

Der ist es nicht, aber geht in dieselbe Richtung.
Meska: Stimmuuuuuung! Könnte auch Disclosure sein....
Paul: Für mich könnte das auch Musik sein für irgendeinen Schrott im Fernsehen. Da fehlt der Inhalt.

Der kommt jetzt, Achtung, Frauenstimme! Im Gegensatz zu den Tracks davor, so richtig mit Strophe und Refrain.
Meska: Das hört sich ganz cool an. Das ist Popmusik, oder?

Das ist Felix Jaehn, der mit dieser Coverversion von „Ain´t Noboby“ bekannt wurde.
Meska: Der hat doch auch OMI - Cheerleaader geremixed. Das ist eigentlich ein Reggae-Song! Wir haben 2011 ein Mixtape gemacht und das Stück war der erste Song. Wir haben den Tune damals exklusiv in Europa vorgestellt. Und irgendein Typ, ein Fan von uns, hat das Mixtape auf Youtube gestellt und das hat sechs Millionen Klicks bekommen. In den Kommentaren darunter ging es fast ausschließlich darum, von wem der erste Song war. Leider wurde damals nicht mehr draus, so wie nun bei Felix Jaehn.

OMI - Cheerleader (Felix Jaehn Remix)

Da haben wir doch den ersten Schnittpunkt! Dieser Style ist seit einiger Zeit angesagt, das Zeug läuft im Radio rauf und runter, tut keinem weh...
Paul: Das glaube ich. Lockerer Beat, eingängiges Instrumental, das funktioniert bei jeder Firmen- oder Weihnachtsfeier.
Meska: Ich würde es mir nicht zu Hause anhören, aber das ist gut produziert, netter Popsong, schönes Songwriting.
Paul: Mir ist es ein bisschen zu singsang-mäßig, aber astreiner Radiosong.

Okay, jetzt kommt wieder ein Track, der garantiert nicht auf SWR3 läuft.

Konstantin Sibold – Mutter

Cutlass (nach dem ersten Takt): Konstantin Sibold, Mutter!

Da kennt sich einer aus! Yep, Stuttgarter Produzent und DJ.
Meska: Wie nennt man das jetzt? Ist das Schranz?

Nein, für mich ist das Techno. Schranz geht ganz anders.
Cutlass: Bei dem Lied gibt es keinen Drop, oder?

Nein, das läuft so zehn Minuten lang durch.
Paul: Es ist zwar auch eher „hardcore“-mäßig, aber für mich ist die Nummer geiler als der erste Track, weil es flowiger ist, auch wenn es etwas zu arg repetitiv ist. So stell ich mir Rave vor.
Meska: Also ich finds schrecklich (alle lachen), aber es ist gut gemacht. Das Sounddesign ist geil.

Aber ich merks dir an, es macht dich kirre.
Meska: Ja, weil es keinen Anfang und kein Ende hat. Ich bin es aus dem HipHop und Dancehall gewohnt, Viervierteltakt, eins, zwei, drei, vier und dann passiert das nächste. Und hier ist diese Melodie, didididdidididiidi...
Cutlass (Zwischenruf): ….das ist geil...
Meska: ...die sich mit diesem Acid-Bass abwechselt. Moment mal, hat dieser Konstantin Sibold nicht beim MARS Award letztes Jahr im Wizemann einen Preis gewonnen?
Cutlass: Genau, ich bewundere den voll!
Meska: Ah ja, megasympathischer Typ. Bei dem Award waren wir auch.

Yep, lieber Kerl. Hat schon davor ein paar gute Sachen veröffentlicht, aber die hier ging dieses Jahr ganz besonders ab.
Meska: Je länger ich das höre, desto besser finde ich das. Irgendwie erinnert mich das ein bisschen an Techno von vor zwanzig Jahren.

Ja, es ist sehr 90er-mäßig. Next one, wieder ein Stück von einem weiteren Semf-Headliner.

Sam Paganini - Dusty

Paul: Das ist doch jetzt so richtiger Bilderbuch-Techno.

Könnte man sagen, ja. So stellen sich Menschen, die nichts mit Techno zu tun haben, wahrscheinlich Techno vor, wenn sie das Wort „Techno“ hören.
Paul: Genau, das erinnert mich an damals, wenn man irgendwo auf einer Techno-Party war, das war dann einfach nur stumpfes, stupides, geradliniges Abgespacke, Strobo und Laserlichter... Für mich verliert sich da der Vibe.
Meska: Für mich hat das schon einen etwas anderen Vibe als dieser typische Rave, das hat mehr so einen Polka-Vibe.
Paul: Für mich ist das Dorf, tiefer gelegte Autos...
Meska: Ja, wie dieses Festival im Osten, auf dem wir gespielt haben, das im Wald...
Paul: ….im Osten? Oh ja, oh mein Gott, ja! Ich weiß genau, was du meinst.
Meska: Das war an der polnischen Grenze, das war so ein richtiger Outdoor-Rave.

Und da habt ihr eine Horror-Erfahrung gemacht?
Meska: Horror nicht...
Paul: ...es war eine sehr authentische Erfahrung. Im Osten vom Osten, wo sonst nichts geht, war irgendwo im Wald 'ne fiese Techno-Party.

Der Typ heißt Sam Paganini, Italiener, sehr erfolgreich, aber ich muss gestehen, ich kannte ihn bis zu diesem Festival nicht. Es gibt in der Szene einfach zu viele Acts, so viele DJs, man verliert da den Überblick. Das wird vielleicht bei euch im Dancehall ähnlich sein.
Meska: Manchmal geht an einem was vorbei, ja, aber eher weniger. Bei uns ist das Gute, dass das meiste von einer Insel kommt, eben Jamaika, also fast alles relevante. Natürlich gibt es Zeug auch aus UK, aber das ist wieder ein wenig eigen. Natürlich schaut man auch links und rechts über den Rand und da gibt es dann Sachen, die man nicht kennt. Wir sind auch mit den ganzen Produzenten in Jamaika vernetzt, die schicken uns das allein für unsere Radiosendung direkt zu. Da spielen wir jede Woche nur neue Sachen.

Dieser Artist veröffentlicht auf Drumcode, einem schwedischen Label, seit zwanzig Jahren eines der bekanntesten überhaupt im Techno-Bereich.
Meska: Ich habe dieses Stück trotzdem nicht verstanden. Das war doch einfach nur ein Bass und Drums und ab zu noch ein Sound. Warum ist der jetzt so big damit? Da gab es doch sicherlich etliche Produzenten davor, die so etwas schon gemacht haben?

Das ist eine gute Frage. Betrachtet man das Stück singulär, sicherlich. Auf dem Weg zum Erfolg spielen im Techno-Bereich (heutzutage) viele Faktoren eine Rolle, wie Netzwerk, Supporter, Festivals, Gigs auf Ibiza, das richtige Label, etc. Wenn du einmal an der Spitze bist, oben angekommen in der Techno-Elite, da fällst du so schnell nicht mehr raus, weil das Publikum nach solchen Artists lechzt und die Festivals und Clubs dich eben buchen müssen.

Dele Sosimi Afrobeat Orchestra - Too Much Information (Laolu Edit)


Nach dem Terror wieder Kontrast-Programm und ein weiterer „Konsens-Hit“ 2016, allerdings schon Ende 2015 erschienen.
Meska (stimmt bei dem Basslauf „Stand by me“ an): „When the night has come and the land is dark and the moon is the only light we'll see / No I won't be afraid no I won't be afraid just as long as you stand stand by me“. Das klingt wie Afrobeat.

Der Interpret heißt auch Dele Sosimi Afrobeat Orchestra.
Paul: Und so etwas läuft auf einer Techno-Party?

Sagen wir eher auf einer „Deep-House-Party“, in Stuttgart zum Beispiel im Kowalski.
Meska: So was ähnliches spielen wir auch, so würde ich fast schon auflegen.
Paul: Ja, da gibt es jetzt wirklich einen Berührungspunkt. Das ist jetzt fluffiger, der Rhythmus ist schön verschachtelt.
Meska: Das klingt auch nicht so technoid, hat keine so harten Bässe. Ich finde, das hat fast schon einen Dancehall-Groove. Da passiert jetzt auch mal mehr als nur zwei Akkorde. Das hat eher eine Struktur, die unserer Musik nahe kommt als so ein Eintakt- oder Zweitakt-Loop. Die Nummer hat etwas Positives. Ich war einmal im Kowalski und hatte da eigentlich keinen Bock drauf, aber war dann überrascht, weil da lief auch eher so ein Sound, positiv, locker, die Leute waren gut drauf und nicht so aggro wie auf einer harten Techno-Party.

Fazit, wie hat euch die Session gefallen?
Meska: Ich find's krass, dass teilweise so simple Musik so erfolgreich ist. Ich kann bei manchen Sachen schon nachvollziehen, wie das jemand anderes gut findet, also eigentlich bei allen Stücken bis auf das zweite von Rampa, das fand ich am Schlechtesten. Und dieser Italiener war auch ein bisschen komisch. Aber bei Konstantin Sibold zum Beispiel kann ich mir das schon vorstellen, dass das jemand geil findet, weil die Sounds halt so crazy sind.
Paul: Was man abschließend sagen muss, wir als Reggae-Heads haten nicht Techno, wir respektieren jede Form von Musik und jede Form von Partyculture.

Nächster Jugglerz-Gig in Stuttgart, 16.12. im Freund & Kupferstecher, www.jugglerz.de.