Geschmäcker sind verschieden: Wie wirkt eigentlich Techno auf szenefremde Menschen? Wir wollten es dieses Jahr von Matthias Mettmann, dem Betreiber des Wizemanns, wissen.

Stuttgart - Geschmäcker sind verschieden: Während auf dem SEMF 20.000 Menschen zu Techno durchdrehen, können naturgemäß viele andere Menschen mit Techno wenig bis gar nichts anfangen: Hauptvorwurf ist seit es Techno gibt mangelnde Musikalität sowie Eintönigkeit. Wir wollen es genauer wissen und spielen deshalb jährlich im Rahmen unserer Kolumne „Techno mit SEMF, bitte“ szenefremden Musikschaffenden ausgewählte Tracks vor.

 

Dieses Jahr haben wir Matthias Mettmann als Richter auserkoren. Jener hat mit einer betonfesten Bodenständigkeit über die Stationen Theaterhaus, Musiccircus und Chimperator live eine amtliche Karriere in der Stuttgarter Konzertbranche hingelegt und ist seit Spätsommer der Betreiber der Live-Location Im Wizemann (Ex-Zapata), die die Lücke geschlossen hat, die einst die Röhre hinterließ. Matthias ist mit HipHop aufgewachsen und fand später über Skater-Crossover zu Hardcore („Mitte der Nullerjahre lief bei mir nur hart Gitarre“), aber dank seiner einstigen Mitarbeit beim Jazz Open auch zu Jazz. Bis auf ein paar wenige Stippvisiten in einschlägigen Clubs oder beruflich auf Festivals, hatte er mit Techno bislang so gut wie keine Berührungspunkte. Zwar sind ihm einige SEMF-Acts namentlich geläufig, „ich kann die aber alle nicht auseinanderhalten.“ Gute Vorraussetzung also, um unbefangen eine Runde Techno zu hören.

Wie die Jahre zuvor, werde ich auch dir einen Mix aus Tracks von SEMF-Acts sowie Konsenshits des Jahres vorspielen, wobei es an letzteren in diesem Jahr, habe ich in der Vorbereitung und sowie in Absprache mit DJs festgestellt, gefühlt so bisschen mangelt...
...der Hit, auf den sich alle einigen können.

Genau. Wir beginnen mit einem Stück von Tale of Us, das ist eine der Booking-Perlen auf dem diesjährigen SEMF, Duo aus Italien, räumen gerade gut ab.
Ich bin ein bisschen ein Instrumental-Band-Fan und weiß, dass man immer etwas warten muss, bis sich ein Stück entfaltet, aber auf den ersten Eindruck klingt das wie alles. Wenn man da so losgelöst reinhört, hat das für mich nichts Spezielles, aber ich glaub, nach einer Stunde mit Bier kann man darin aufgehen, ich sehe da auch schon eine Menge drauf feiern. Aber als alleinstehenden Track finde ich das nicht spannend.

Mal schauen, was nach dem Break passiert (man hört nur noch die Melodie, bis die Bassdrum wieder einsetzt)....
Der Break hatte doch jetzt keinen künstlerischen Vorteil für den Track geschaffen – oder ich versteh's halt nicht. Das ist für mich auch so ein Magic Music Maker Standard-Beat.

(Lacht) Ich denk mir auch oft, es kann alles nicht so schwer sein.
Klar, muss man schon was können, aber ich kann da jetzt keine Detailverliebtheit erkennen. Ich finde es immer ganz schön, wenn Musik eine, sagen wir, handwerkliche Qualität hat, also jetzt nicht im Sinne von man muss ein Instrument spielen können, sondern im Arrangement zum Beispiel. Und das fehlt mir da ein bisschen.

Ich schieb noch die neueste Single von Tale of Us hinterher.
Bisschen Weltraummusik. Die einsetzende Kick wenigstens mit Überraschungsmoment. Ich versteh nicht, was dieser zirpende Ton soll, was macht der da? Da regt sich nichts bei mir. Man muss da aber wahrscheinlich einmal richtig drin sein. Vielleicht fällt mir das auch schwer, weil ich immer nur Spezi trinke.

Das kann sein. Sobald ich solche Musik höre, fang ich an zu zucken, ich muss da was machen, ich kann da nicht stehen bleiben. Einfach so.
Bei mir passiert einfach gar nichts. Was soll dieses Christopher-Nolan-Bassgewummer? Also so etwas versteh ich gar nicht. Das hat keine Dramaturgie... (die spärliche Blade-Runner-mässige Hauptmelodie setzt ein) - ah jetzt geht’s los.

Das Magazin Groove hat den Sound von Tale of Us als New Romantic House bezeichnet.
Die Beats sind jetzt schon bisschen eingegroovter, aber diese Melodie bringt dem Lied doch überhaupt nichts? Für mich klingt das auch eher unharmonisch. Auf der einer Seite wird der Beat grooviger, aber auf der anderen Seite killen die verzerrten Bässe und die Melodie wiederum den Flow. Irgendwie ist das nicht so meins.

Dann machen wir mit einem aktuelleren „Hit“ weiter, kein SEMF-Act.
Das fängt zwar auch eintönig an, aber ich hab das Gefühl, das wird besser. Das hat schon eine ganz andere Dramaturgie. (Nach einem Break setzen die Vocals ein). Das finde ich wirklich spannender, weil diese falsettartigen Vocals nicht auf den relativ harten Beat passen, die machen das Stück vielschichtiger.

Die Vocals sind eher im traditionellen Disco-House-Kontext.
Das ist so ein Ding, da würde ich jetzt auch mitwippen, das treibt mehr. (Nach einem weiteren Break driftet das Stück in eine Retro-House-Richtung) Das ist aber jetzt voll 90er Jahre, oder?

Ja, total. Techno/House ist ja jetzt auch schon ein paar Jahrzehnte alt und da kommt es längst immer wieder zu Revivals.
Bei dem Sound kommen auch bei mir sofort Erinnerungen hoch, da ist man nicht drumherum gekommen. Der Sänger könnte noch etwas mehr rausgehen, da fehlt dann doch der letzte Kick. Man wartet die ganze Zeit, dass es noch richtig zündet. Aber auf jeden Fall besser als die erste Nummer.

Nächster Tune, wieder ein SEMF-Act, das Lied kennst du vielleicht sogar, das war ein Riesenhit, müsste im Radio gelaufen sein, auch 17 Millionen Plays auf Youtube.
Finde ich gleich viel besser, das wirkt viel harmonischer und runder. (Die Stimme setzt ein) Was ist das?

Gestört aber Geil nennen die sich. Schon mal gehört?
Ah! Ich hätte das jetzt nie wirklich zusammengebracht, aber ich wusste, dass die elektronische Musik mit deutschen Vocals machen. Das ist jetzt die Pop-Schublade aus der Techno-Welt, oder? Mit so einer Musik kann man in Urlaub fahren. Das ist was ganz leichtes, beschwingtes, das hat so einen angenehmen sympathischen Gute-Laune-Vibe.

Die spielen auf dem Floor 2 unter anderem mit Lexy & K-Paul und Moonbootica, das ist der etwas „kommerziellere“ Floor könnte man sagen, je nach Standpunkt. Bei der SEMF ist von Deep-Tech bis hartem Techno für jeden was dabei.
Man weiß nicht so richtig, ob die eigentlich einen Pop-Song machen oder auf Teufel komm raus einen Hit machen wollten. Am Anfang war das kurz cool, aber hinten raus ist das doch etwas nervig, gerade dieser stotternde Gesang am Ende. Und dieses Keyboard-Spiel erinnert mich an Moby.

Guter Vergleich!
Der hat einige Hits gehabt, die mich an das erinnern. Wie hieß sein Riesenhit nochmal? Das dem Zeichentrickvideo? (Wir skippen uns auf iTunes durch)

Why does my heart feel so bad!
Genau!

Übrigens neulich 50 geworden, der gute Moby. Jetzt machen wir einen krassen Cut, ganz anderer Style, auch ein kleiner oder größerer Hit des Jahres 2015, je nach Sichtweise.
Das treibt wieder schön und cool, wie sich jetzt die Sounds von unten hochzwirbeln. Da kann ich mir wunderbar vorstellen, wie man sich da so rein versumpfen lassen kann. Man kann sich aussuchen, worauf man sich soundmäßig konzentriert. Und jetzt passiert auch was nach dem Break! Das ist wirklich cool. Das finde ich bislang am Besten.

Guter Geschmack! KiNK heißt der Gute, Bulgare, seit einigen Jahren sehr beliebt in DJ-Kreisen.
Da erkenne ich auch eine Arrangement-Qualität, das ist rund, der Break wird nicht nicht so künstlich in die Länge gezogen, es kündigt etwas an und dann passiert auch was! Also für mich ist das handwerklich gut komponiert und arrangiert. Echt cool. Aus dieser Dreiton-Bassline könnte auch Deichkind werden.

Da ist eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden, ja.
Bei den anderen Stücken stand immer ein Element - subjektiv - im Vordergrund, was mich irgendwann genervt hat, aber das hier wirkt schlüssiger, kompakter. Ich kann mir vorstellen, warum die Leute sich drauf einlassen können.

Wir bleiben etwas strenger und kommen wieder zu einem SEMF-Act, einem der Headliner in diesem Jahr. Das ist Len Faki, der beendet nach Sven Väth den ersten Floor. Den Namen schon mal gehört?
Nein, aber das klingt schon nach einem Megabrett, laut in einer großen Halle...

Ist ein Ex-Stuttgarter, lebt zwischenzeitlich seit gut zehn Jahren in Berlin. Ist schon ewig dabei.
Echt? Ein Lokal-Held.

Yep, war hier in der Szene gut verankert, eigenes Label, Produzent, DJ etc, aber dem hat der Berlin-Umzug richtig gut getan. Kaum war er dort, ist seine Karriere regelrecht explodiert. Ist einer der ersten Berghain-Residents und steht im SEMF-Line-up ganz oben. Die Nummer ist schon älter, von 2007, eine frühe Ostgut-Ton, das Label vom Berghain.
Klingt alles so nach Ritterschlag.

Genau.
Das ist mir jetzt irgendwie ein bisschen zu derb. Das ist für mich kurz vor Schranz. Nee, Quatsch, ich sag es nur so, richtig Schranz ist das ja nicht.

Nein, ich würde sagen, es ist ehrlicher roher Techno in seiner Reinform.
Ist mir zu nervös. Also auch geil, fett produziert, aber ich glaub, das ist jetzt wie wenn dir ein Rocker eine ultraharte Rock-Platte vorspielt. Aber auch wieder handwirklich gut gemischt oder wie man dazu auch immer sagt, das hört man schon raus, dass es so eine Qualität hat, aber ich komm damit so gar nicht klar, ich glaube, das liegt an dieser Orgel, die nervt mich ein wenig.

Nochmal ein ganz anderer Style, hat dieses Jahr für Furore gesorgt (der Beat geht los).
Das ist doch „Push it“ von Salt'N'Pepper! Aaaaw, Push it! Da müsste jetzt eigentlich so eine 90er-Jahre-Rap-Nummer daraus werden, so wie das los geht (lacht). (Die Hauptmelodie läuft rein) Das ist abgefahren, weil das ein guter Mix aus vielen Elementen ist. Musikalisch finde ich das bislang das Spannendste oder sagen wir das Interessanteste.

Geht auch gut ab im Club.
Echt? Hätte ich jetzt nicht gedacht. Diese schweren Flächen klingen nach U96.

Ja stimmt, auch ganz großer Hit, U96 – Das Boot. Fand ich ja total geil als Teenie.
Die Melodie erinnert wiederum an Nintendo-Spiele. Das geht mir jetzt nach einer Weile doch auf den Sack, weil nichts passiert, und die eintönige Melodie auch so arg präsent im Vordergrund steht. Der Rest ist aber immer noch interessant.

Jetzt hast du aber schnell deine Meinung geändert (lacht). Zum Ende dieser Show gibt es immer einen Klassiker, dieses Jahr ist es quasi ein Neo-Klassiker, denn das Stück ist gerade 10 Jahre jung. Vielleicht kennst du das sogar, auch von einem SEMF-Act.
Das kommt mir tatsächlich gleich bekannt vor. (Die massive Bassdrum setzt ein) Ja, das ist für mich so ein richtiges Techno-Ding, so stelle ich mir Techno vor.

Das ist „Mückenschwarm“ von Oliver Koletzki, sein Durchbruch. Die Legende geht in Kurzform so: Sven Väth hat den Track eines Tages entdeckt, gespielt und dann auch auf seinem Label Cocoon neu veröffentlicht. Seither geht Koletzki steil.
Ah, wahrscheinlich kenn ich das deswegen. Also wie gesagt, das ist für mich wirklich eine genregreifbar machende Symbol-Nummer.

Die ist wie gesagt von 2005, was man deutlich hört, finde ich. Die Nummer ist so ein bisschen der Blueprint des damaligen Electro-House-Styles, der auch immer etwas rumfiepsen musste.
Das kann ich jetzt nicht sagen, da hatte ich meine brutale ich-hör-nur-Gitarrenmusik-Phase. Hätte es jetzt aber so in zeitliche Nähe zu der ganzen Berlin-Calling-Geschichte gerückt.

Ja, das war 2008. Das ist so richtiger Mitte-Nullerjahre-Sound, der lief damals gefühlt in ganz Stuttgart.
Das ist echt einfach, ein simples Bassgerüst, das schön anschiebt, der Rest gehört halt einfach dazu, die einzelnen Elemente wirken teilweise etwas beliebig.

Das stimmt, im Nachhinein etwas sinnlos arrangiert alles. Zum Runterkommen noch etwas liebliches, ebenfalls ein zehn Jahre altes Stück, das aber erst die letzten drei und vor allem dieses Jahr so richtig ans Tageslicht und auf die Tanzflächen kam.
Das ist eigentlich auch langweilig, aber durch diese bewusste Zurückhaltung hat es irgendetwas schönes. Ich warte jetzt natürlich die ganze Zeit, ob da noch was passiert oder nicht. Allerdings kann man bei dem Stück gespannt zuhören und merkt, es passiert nichts, aber es ist gar nicht schlimm, dass nichts passiert, weil es einfach trotzdem eine schöne Nummer ist – guter Trick eigentlich. Es wird nicht nervig und nicht eintönig und ich kann dir überhaupt nicht sagen, warum es das nicht wird.

Ich glaube, die Gesamtstimmung ist einfach ausgewogen.
Ja, es ist auch so unaufdringlich. Echt schön. Coole Nummer. Mit dem Lied zwei Stunden lang auf dem Kopfhörer könnte man total in eine andere Welt eintauchen.

Ja, da bleibt Raum für Kopfkino. So Feierabend, du hast es geschafft. Wie war es für dich?
Auf jeden Fall spannend: Ich versuche mich ja schon immer so gut es geht mit verschiedenen Konzerten oder Festivals, die gerade  wie SEMF eine große Aufmerksamkeit bekommen, auseinanderzusetzen und anzunehmen. Aber so hätte ich mir dafür nie die Zeit genommen oder auch die Nerven gehabt, z.B. auf Youtube das Line-up durchzuklicken sozusagen. Alleine wäre ich wahrscheinlich nach zwei Stücken orientierungslos ausgestiegen, aber auf diese Art hat man einen guten Einblick bekommen. Die Kink-Nummer muss ich mir noch abfotografieren.

www.imwizemann.de