Die Betrüger bei so genannten Schockanrufen haben besonders Menschen mit russisch klingenden Namen im Visier. Vor allem Ältere fallen auf vorgetäuschte Unglücksfälle herein. Die Hintermänner sitzen oft in Litauen.

Tübingen - Wenn Polizeibeamte bei „Schockanrufen“ von einer Welle sprechen, dann meinen sie in der Regel sich häufende Anrufe, mit denen Menschen dazu bewegt werden sollen, ihr Erspartes in betrügerische Hände zu geben. „Da werden ganze Städte durchtelefoniert, ausgewählt werden Menschen mit Vor- oder Nachnamen, die russischstämmig klingen“, erläutert ein Ermittler aus Bayern dem Tübinger Landgericht. Dort muss sich derzeit Jordanis V. aus Litauen wegen solcher Schockanrufe verantworten. Der 37-Jährige – arbeitslos und unterhaltspflichtig gegenüber zwei minderjährigen Kindern – verfolgt den Prozess weitgehend regungslos. Das bleibt auch so, als sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung am ersten von fünf Prozesstagen darauf verständigen, dem Gericht eine Haftstrafe zwischen vier und fünf Jahren vorzuschlagen.

 

Anhand der Zeugenaussagen wird deutlich, wie gut organisiert diese Banden vorgehen. Das Schema ist immer dasselbe. Angerufen wird aus Litauen, am Apparat gibt sich der Anrufer als Sohn des Angerufenen aus. Nach wenigen Sätzen über einen angeblichen Unfall, reicht er den Hörer an einen vorgeblichen Anwalt weiter. Der erschreckt mit Details. Der erfundene Sohn habe bei dem Unfall zwei Zähne verloren, aber schlimmer sei, dass er ein kleines Mädchen angefahren und schwer verletzt habe. Gegen die Bezahlung von 10 000 Euro könne ein Verfahren mit anschließender Gefängnisstrafe so eben noch abgewendet werden.

Erster Gedanke- wie viel Bargeld ist im Haus?

Vor allem ältere Menschen fallen hin und wieder auf diesen Trick herein. Sie sind erschrocken über die soeben gehörte Story und zweifeln nicht, sondern denken darüber nach wie viel Bargeld im Hause ist. So erging es im Januar 2014 auch einer 80-jährigen Reutlingerin, die 3200 Euro anbot. Typisch ist auch, dass der Anrufer seine Gesprächspartner lange in der Leitung halten will. Es kann sein, dass er sich die Nummern der Bargeldscheine vorlesen lässt.

Möglichst noch während des Gesprächs soll ein weiteres Bandenmitglied, der so genannte Läufer, an der Wohnungstür des Opfers klingeln, um das Geld in Empfang zu nehmen. Dieser Läufer treibt sich während der Anrufe an einem Taxistand herum, bis er eine SMS mit der Adresse eines Opfers erhält. Er zeigt – in Ermangelung von Sprachkenntnissen – die SMS einem Taxifahrer, und wenig später befindet er sich vor Ort und kassiert das Geld, noch bevor die Opfer gründlich nachdenken können.

Die Polizei gibt immer wieder Warnungen heraus

Der Angeklagte in Tübingen ist jedoch kein Läufer, sondern ein so genannter Truppführer. Er steuert den Läufer, fährt ihn zu den von Hintermännern in Litauen ausgewählten Orten, organisiert Mobiltelefon und Hotelübernachtungen. Ein dritter Mann in Deutschland bewahrt das erschwindelte Geld auf, bis es nach Litauen weitergeleitet wird. Vorgabe jedes Einsatzes ist offenbar eine Summe von 15 000 Euro. Mitunter ist dieses Ziel nach einem Tag erreicht, manchmal aber auch nach drei Wochen nicht. Die Polizei erhält immer wieder Anrufe von Menschen, die nicht auf den Betrug hereingefallen sind. Konzentriert sich das auf einen Ort, werden über die lokale Presse Warnungen verbreitet, manchmal werden auch Hinweise in russischer Sprache in einschlägigen Läden aufgehängt. Im Falle der 80-Jährigen waren Truppführer wie Läufer von der Polizei observiert worden. Sie wurden festgenommen, kurz nachdem sie das Geld abgeholt hatten, die alte Frau bekam alles zurück. Der Läufer wurde zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. „Über die Hintermänner in Litauen wissen wir nicht viel“, muss ein Vertreter der Staatsanwaltschaft einräumen.