Viele Patienten nehmen lange Wege und Wartezeiten auf sich, um ihre Ärzte zu besuchen. Oft wäre es einfacher, sie könnten ihre Werte selbst messen und online besprechen. In Stuttgart haben sich Fachleute über die Chancen und auch die Probleme ausgetauscht – Stichwort Datenschutz.

Stuttgart - „Es ist schwierig, sich mit schwer chronisch kranken Kindern auseinander zu setzen“, sagt Joachim Riethmüller. „Noch schwieriger jedoch ist die Kommunikation mit den Eltern.“ Der Leiter der Mukoviszidose-Ambulanz an der Tübinger Uniklinik für Kinder- und Jugendmedizin weiß, wovon er spricht. In Tübingen werden schwer chronisch kranke Kinder aus allen Teilen Deutschlands behandelt. Eine derartige Erkrankung sei eine große emotionale Herausforderung für die Eltern und erfordere eine engmaschige Betreuung der kleinen Patienten. Die Klinikärzte in Tübingen arbeiten eng mit Ärzten anderer Krankenhäuser zusammen: „Häufig liegen zwischen Tübingen und dem Heimatort einige hundert Kilometer“, erklärt Riethmüller. Man telefoniert, mailt, schreibt Briefe. Das sei extrem zeitaufwendig und für die Angehörigen oft nervenaufreibend, da Ärzte im Klinikalltag nur schwer telefonisch erreichbar seien. Zudem dürfe man einen medizinischen Befund nicht einfach als PDF-Datei online verschicken. Das verbiete der Datenschutz.

 

Daher gibt es an der Uniklinik Tübingen seit kurzer Zeit ein persönliches virtuelles Behandlungszimmer. Hier treffen sich online Patienten, Angehörige und behandelnde Ärzte zum Austausch – online, gleichzeitig oder auch zu unterschiedlichen Zeiten. Smarty nennt sich das Projekt, und es ist ein Beispiel, wie Telemedizin die Behandlung von Patienten verbessern könnte. Riethmüller stellte das Projekt beim Symposium „Telemedizin – Digitalisierung im Gesundheitsbereich“ am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus vor, zu dem die Landesregierung eingeladen hatte.

Keine lange Anreise bloß zur Routinekontrolle

Die virtuelle Plattform für das Tübinger Projekt wurde von einer ortsansässigen Firma entwickelt und soll einen sicheren Austausch der Daten garantieren. In einer vom Land geförderten Studie wird untersucht, wie dieses virtuelle Behandlungszimmer angenommen wird: Wird es überhaupt genutzt? Was erwarten Ärzte, was die Patienten und Angehörigen? Wird die Versorgung der Kinder dadurch besser?

„Wir sind dringend darauf angewiesen, dass Telemonitoring funktioniert“, betonte Michael Barczok auf dem Symposium. Der niedergelassene Lungenfacharzt behandelt in seiner Praxis in Ulm etwa 5000 Patienten, die auch aus weit entfernten Gemeinden zu ihm kommen: „Der Aktionsradius liegt im Schnitt bei 150 Kilometern.“ Und dieser werde sich noch erhöhen, denn der Mangel an Ärzten vor allem in ländlichen Gegenden werde zunehmen, auch bei Fachärzten. Damit werde es auch immer weniger Pneumologen geben und die Patienten müssen künftig noch längere Wege und Wartezeiten in Kauf nehmen. Die Telemedizin könne diesen Trend zwar nicht aufhalten, aber die medizinische Versorgung der Kranken verbessern.

„Pneumologen haben es vor allem mit drei Krankheitsbildern zu tun: Asthma, Schlafapnoe und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD“, sagt der Facharzt. Diese Erkrankungen seien klar definiert und erforscht, es gebe perfekt ausformulierte Leitlinien, die prima funktionierten. „So lange die verschiedenen krankheitsrelevanten Parameter wie etwa die Lungenfunktion stimmen, kann der Patient seinen Alltag leben.“ Diese Daten könnten etwa mit Messgeräten oder auch Apps an den Pneumologen übermittelt werden. Falls etwas nicht stimme, werde der Patient in die Praxis bestellt – doch normalerweise könne er daheim bleiben oder zur Arbeit gehen. Bisher jedoch muss ein chronisch kranker Lungenpatient regelmäßig zur Kontrolle und wegen der oft weiten Anreise und der Wartezeiten manchmal auch Urlaub nehmen oder zumindest eine Betreuung für die Kinder suchen. Für den Arzt wiederum heißt dies: das Wartezimmer ist voll mit Patienten, denen es zum Zeitpunkt des Routine-Arztbesuches oft gar nicht so schlecht geht. „Und die Patienten mit akuten Beschwerden müssen daher oft lange auf einen Termin warten“, sagt Barczok. In den medizinischen Bereichen, in denen dies möglich sei wie etwa in der Pneumologie, müsse die Telemedizin umgesetzt werden, sonst „erleben wir ein fachärztliches Fiasko“. Allerdings fehlen derzeit noch die rechtlichen Grundlagen dafür und zudem kann die Telemedizin im ärztlichen Gebührenschlüssel nicht abgerechnet werden.

Manches medizinische Gerät ist schnell gehackt

Ein weiteres Problem der Telemedizin ist der Datenschutz – sowohl in den Kliniken als auch in den Arztpraxen. „Es fehlen Experten, die sich bei der Entwicklung gesundheitsrelevanter Programme um die Sicherheit kümmern“, erklärt Florian Grunow von der Heidelberger Firma Enno Rey Netzwerke, die ihre Dienste bei der Sicherung von Daten anbietet. Es gebe viel zu wenig Sicherheitsexperten, sowohl bei Herstellern als auch in den Kliniken. „Security ist ein bisschen wie Müll“, meint Grunow: „Keiner will sich drum kümmern, aber wenn der Müll zu lange liegen bleibt, fängt er gewaltig an zu stinken.“

Wie leicht man die Daten manipulieren kann, zeigte Grunow live beim Symposium. Die Sauerstoffsättigung kann an einem Finger gemessen werden – sie gibt an, wie viel des roten Blutfarbstoffs im Körper mit Sauerstoff beladen ist. Ein freiwilliger Symposiumsbesucher ließ sich an das Gerät anschließen, das Grunow sich von der Klinik geliehen hatte. Innerhalb von Sekunden hat sich der Computerexperte in das Gerät eingewählt und lässt den Freiwilligen virtuell sterben und wieder auferstehen – indem er die Daten manipuliert. „Um ein solches James-Bond-Szenario geht es mir aber eigentlich gar nicht. Das Hacken von privaten Messdaten ist nicht das große Problem“, erklärte Grunow, der auch Mitglied im Chaos Computer Club ist. IT-Sicherheit bedeute vielmehr, dass die Systeme insgesamt nicht verseucht werden dürften. Ansonsten könne eine Klinik lahm gelegt werden. „Medizinische Geräte sind verwundbar“, sagte Grunow.

Völlig ungeschützt sind die Daten bei vielen der etwa 400 000 Apps, die es für das körperliche Wohlbefinden gibt (die StZ berichtete). Grunow nennt ein Beispiel: Eine bei vielen Menschen beliebte Waage schicke die Daten von Gewicht und Körperfett nicht nur an das Smartphone. Vielmehr werde in die Cloud gleichzeitig der Schlüssel des WLAN übermittelt, in der die Waage registriert ist.

„Wir dürfen den Anschluss bei den Gesundheits-Apps nicht verlieren“, meint auch Torben Pottgießer vom Institut für Arbeitsmedizin der Uniklinik Freiburg. Die meisten Apps funktionierten im Hintergrund. Die ärztlichen Leitlinien würden nicht umgesetzt, es gebe keine Qualitätssicherung. Das sei fatal, denn mit Apps, Pulsuhren und anderen sogenannten Telehealth-Produkten werde man als Arzt immer häufiger in Verbindung kommen. Gut entwickelte Apps könnten im Bereich der Telemedizin aber für die Therapie eingesetzt werden und auch die Lebensqualität der Patienten erhöhen – darin waren sich die Teilnehmer des Symposiums einig.