Triumph in Melbourne, Enttäuschung in Paris – was hält Wimbledon für Angelique Kerber bereit? Gleich ihr erstes Match wird eine Begegnung mit der unliebsamen Vergangenheit.

London - Der Titelverteidiger trug einen blütenweißen Trainingsanzug, am Stehkragen mit einem feinen goldenen Streifen verziert. Zur äußeren Form passte die entspannte Gelassenheit, mit der sich Novak Djokovic am Tag vor seinem ersten Auftritt bei den 130. All England Championships präsentierte. Er fahre ja immer mit großer Freude nach Wimbledon, sagte der Serbe, schließlich habe sich an diesem Ort sein Kindheitstraum vom Triumph auf dem Rasen erfüllt, und das sogar dreimal. „Aber in diesem Jahr ist die Situation anders, denn ich bringe zum ersten Mal den Titel aus Paris mit. Und der gibt mir natürlich eine Menge Zuversicht.“ Noch mehr davon? Die Konkurrenz wird es mit Schaudern zur Kenntnis nehmen.

 

Bei vielen Kollegen und Kolleginnen löst das Stichwort Paris ganz andere Assoziationen aus, und zu diesem Kreis gehört Angelique Kerber, die nach dem grandiosen Start ins Jahr mit dem Titelgewinn in Melbourne bei den French Open in der ersten Runde verloren hatte. Doch Kerber sagt, das Thema sei erledigt. Natürlich habe sie ein paar Tage gebraucht, um mit der Enttäuschung fertig zu werden, doch jetzt sei alles wieder in Ordnung, und auch ihrer zuletzt lädierten Schulter gehe es wieder gut. Auf die Frage, wo sie ihre aktuelle Befindlichkeit auf einer Skala von eins bis zehn einordnen würde, antwortet sie keck: „Sagen wir mal elf.“

Die Probe aufs Exempel wird heute auf Court 1 stattfinden, im Spiel gegen Laura Robson – und dieser Name führt gewissermaßen in die Vergangenheit zurück. Vor fünf Jahren hatte Kerber in Wimbledon in der ersten Runde gegen die damals 17 Jahre alte Engländerin verloren, und danach war sie fast so weit gewesen, die Brocken hinzuschmeißen. Sie hatte das Gefühl, sich immer weiter von ihrem Traum einer Karriere zu verabschieden. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte sie damals nicht auf den Rat von Andrea Petkovic gehört, die ihr riet, in der Offenbacher Tennis Academy der ehemaligen Profis Rainer Schüttler und Alexander Waske, wo sie selbst trainierte, einen Neustart zu versuchen. Der Rest ist Geschichte; frisch und fit landete Angelique Kerber ein paar Wochen nach dem Ortswechsel im Halbfinale der US Open, im Jahr nach der Niederlage gegen Robson bestätigte sie diesen Erfolg mit dem Halbfinale in Wimbledon, und vor einem halben Jahr führte der Weg in Melbourne ins Happy End.

Serena Williams gibt sich lethargisch

Laura Robson hat zwei schwere Jahre hinter sich, geplagt von einer Verletzung im linken Handgelenk; sie steht in der Weltrangliste schlechter als vor fünf Jahren, und es ist nicht zu übersehen, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sie wieder die Stabilität und das druckvolle Spiel ihrer besten Zeit haben wird. Aber das ist womöglich nicht der Punkt. Wie viele andere hat Angelique Kerber großen Respekt vor Spielen der ersten Runde. Sie sagt, dieses Unbehagen sei schwer zu beschreiben, da komme vieles zusammen; Rhythmus finden, sich wieder an den Wettkampfmodus gewöhnen, die Furcht vor einer frühen Niederlage. Aber die Kielerin ist ja nicht die einzige deutsche Spielerin mit eher suboptimalen Erinnerungen an die French Open.

Andrea Petkovic verlor in Paris in Runde zwei – Steigerungspotenzial, ebenso bei Laura Siegemund und Anna-Lena Friedsam, die aus deutscher Sicht zu den positiven Überraschungen des Jahres gehört hatten. Siegemund erwischte das schwerste Los aus dieser Gruppe für Runde eins, die Amerikanerin Madison Keys. Sabine Lisicki hofft, nach einem halben Jahr voller Niederschläge aller Art auf ihrem geliebten Rasen wieder Freude und Inspiration zu finden.

Und wie geht es der Titelverteidigerin nach der Niederlage im Finale der French Open? Gemessen an einem eher lethargischen Auftritt bei der Pressekonferenz vor Beginn der Championships in Wimbledon könnte man sagen, Serena Williams leide noch unter Frühjahrsmüdigkeit. Aber zum einen ist das Frühjahr offiziell vorbei, zum anderen sollte man sich von einer gewissen Dosis Lethargie in diesem Fall nicht täuschen lassen.