Der 35-jährige Schweizer Tennisstar und Grand-Slam-Rekordssieger Roger Federer spricht über seinen Start auf dem Stuttgarter Weissenhof im Juni, sein starkes Comeback – und sein gutes Image.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Lenzerheide - Roger Federer ist mittlerweile nicht mehr in seiner Heimatstadt Basel zu Hause, sondern im Skiort Lenzerheide im Kanton Graubünden. Dort hat der beste Tennisspieler der Geschichte, der zurzeit pausiert, vor Ostern noch zu seinem letzten Pressegespräch in kleiner Runde vor seinem nächsten Turnierstart eingeladen. Das werden die French Open in Paris (22. Mai bis 11. Juni) sein – oder womöglich sogar erst anschließend der Mercedes-Cup auf dem Stuttgarter Weissenhof (11. bis 18. Juni).

 

Herr Federer, wann haben Sie letztmals einen Schläger zertrümmert?

Lange her. Vielleicht gegen Novak Djokovic in Miami?

Das hat auch unsere Recherche ergeben, 2009 war das also.

Im Training ist es sicher auch danach mal passiert (lacht).

Der junge Roger Federer war ein viel zornigerer, aggressiverer Spieler als Sie das heute sind und hat öfter mal einen Materialschaden verursacht. Wie haben Sie ihm das ausgetrieben – und war diese Selbstkontrolle letztlich das, was Sie dann auf das absolute Spitzenniveau gehievt hat?

Ja. Das hat mir irgendwann erlaubt, Woche für Woche, Tag für Tag gut zu spielen. Alle wussten, dass ich ein Match oder einen Satz gut spielen konnte. Die Frage war: Wie häufig kann ich das abrufen? Das war die große Schwierigkeit für mich. Das ist aber ganz normal. Das ist jetzt bei Nick Kyrgios oder Alexander Zverev nicht anders.

Können Sie das konkretisieren?

Kann man immer wieder mit 220 Kilometer pro Stunde servieren? Kann man sich immer wieder auf den Punkt motivieren – auch bei 2:2 im ersten Satz bei 15:15. Sieht man, dass das der gleichwichtige Punkt sein kann wie bei 5:5 und 30:30. Versteht man das alles? Das braucht seine Zeit. Ich bin froh, dass ich das alles durchlebt habe. Ich habe das Alles hinter mir. Es hat Spaß gemacht, ganz ehrlich, dass ich so war. Ich bin froh, dass ich so war, ein bisschen verrückt. Aber ich glaube, ich habe einfach gemerkt, ich kann so nicht 15 Jahre auf der Tour verbringen, denn sonst drehe ich mit 25 irgendwann einmal komplett durch.

Jetzt sind Sie Roger Federer, der tadellose Sportsmann, der perfekte Gentleman, der vierfache Familienvater, das umjubelte Vorzeigeidol – ist es nicht manchmal eine Belastung, dieser Riesenerwartung gerecht zu werden, die sich damit verbindet?

Belastung eher nicht, weil ich zum Glück ich selbst bleiben kann. Das Image wird verzerrt oder noch vergrößert: Der hat Erfolg, alles ist wunderbar, der ist perfekt. Aber jeder hat seine Macken. Ich selbst weiß das auch. Ich bin immer dran, an mir zu arbeiten, um Sachen besser zu machen. Sei es in der Organisation oder als Familienvater oder als Tennisspieler. Ich habe auch überall Baustellen. Das Problem ist, dass das Ganze irgendwann mal so eine Dimension annimmt, dass man gar nicht mehr dagegen ankämpfen kann und das dann einfach sein lässt. Aber gleichzeitig habe ich auch viele Interviews, in denen ich mich immer wieder normal geben kann, ich selbst sein kann, und die Leute spüren, das sitzt jemand, der ist total normal. Das ist nicht der Mister Perfect, der da reinläuft. Tennis ist ein guter Sport, den versuche ich gut zu repräsentieren. Und das Ganze davon weg, als Familienvater oder Ehemann, da haben doch alle gar keine Ahnung, wie gut oder schlecht ich bin.

Was ist die größte Baustelle?

Die kommen und gehen. Es gibt glücklicherweise keine ganz große. Aber die Organisation ist sicher immens bei uns. Ich glaube, das kann man sich gar nicht vorstellen, was alles abgeht im Hintergrund.

„Die Leute verstehen mich vielleicht heute besser als jemals zuvor“

Sie haben mit den Siegen bei den Australian Open, in Indian Wells und Miami sowie einer 19:1-Bilanz einen phänomenalen Saisonstart hingelegt. Dass Sie nach Ihrer langen Verletzungspause 2016 in diesem Jahr so gut zurückkommen, konnte keiner erwarten. Wovon sind Sie selbst bei sich am meisten überrascht?

Von praktisch allem. Weil von gar nicht spielen zu viel spielen, das ist doch immer wieder eine gewisse Schockreaktion. Und die habe ich gut überlebt. Ich kann es kaum glauben, dass es so gut gelaufen ist. Ich war sehr, sehr froh, wieder auf dem Platz zu stehen und das Glück zu spüren, das ich hatte, dass ich nochmal angreifen durfte.

Comebackgeschichten wie Ihre üben immer eine ganz besondere Faszination auf die Menschen aus . . .

. . . das habe ich auch gemerkt! (lacht)

Haben Sie das Gefühl, dass infolgedessen Ihre Popularität einen neuen Höchststand erreicht hat?

Ja, ich glaube schon. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen sich mit so einer Comebackgeschichte einfacher identifizieren können als mit Dominanz, wenn man immer gewinnt und alles gut läuft. Ich habe 2016 gespürt, dass ich Wimbledon ziemlich sicher nicht gewinnen werde. Trotzdem bin ich angetreten und habe es probiert. Das zu wissen, ist sehr schwierig als Spitzensportler. Das waren sicher nicht ganz einfache Zeiten. Die Leute verstehen mich vielleicht heute besser als jemals zuvor. Es ist sehr schön, wie viele sich für mich gefreut haben nach Australien. Ich habe mir erst gestern 20 Minuten vom fünften Satz des Australian-Open-Finales geschaut, weil ich das von einem Freund zugeschickt bekommen hatte, und hatte nochmal Gänsehaut. Das war einfach so cool.

Die Schweiz hat viele schöne Ecken, wo man gut leben kann. Wieso sind Sie gerade in Lenzerheide im Kanton Graubünden gelandet?

Keine Ahnung. Ich bin ja eigentlich eher ein, der ans Meer geht als in die Berge. Jedenfalls war das früher so. Denn mir wird immer schnell kalt an den Füßen und Händen. Ich bin zwar gerne Skifahren gegangen, aber von Basel aus haben wir fast den weitesten Weg zu den Bergen in der Schweiz. Ich kenne keinen guten Basler Skifahrer, ganz ehrlich. Mich hat es immer in die Wärme gezogen wie nach Südafrika (Heimatland seiner Mutter, Anm. d. Red.). Irgendwann einmal waren wir immer wieder hier in den Ferien mit Freunden. Dann habe ich gehört, dass ein Stück Land verkauft wird. Das habe ich angeschaut, das war wunderschön, dann hatten wir das Glück, dass wir es kaufen konnten. Ich wollte schon immer einen Rückzugsort für mich und meine Familie sowie auch meine Freunde. Ich habe irgendwie das Gefühl gehabt, in der Schweiz ein Chalet zu haben, ist irgendwie wie ein Traum geworden, nachdem ich mehr Zeit in den Bergen verbracht hatte. Die Ruhe hat mir gefallen, im Sommer wie im Winter. So sind wir hier gelandet. Heute zahle ich meine Steuern hier, und es gefällt mir wunderbar.

„Das Ziel sind Turniersiege, das Ranking kommt von alleine“

Die Sandplatzsaison steigt bis auf die French Open komplett ohne Sie. Ist es im Hinterkopf eine Option, selbst Paris auszulassen?

Ich werde nach dem ganzen Aufbautraining entscheiden, so am 10. Mai, wenn ich mit dem Tennis fertig bin in Dubai. Wechsle ich auf Sand oder eben nicht? Denn bis dahin bleibe ich auf Hartplatz. Da wird sich zeigen, wie ich mich fühle. So wie es momentan aussieht, spiele ich die French Open. Aber nur zu spielen, um zu spielen, das mache ich nicht mehr.

Zurzeit liegen Sie in der Weltrangliste auf Position vier. Glauben Sie, dass Sie dieses Jahr noch einmal auf Platz eins zurückkehren können?

Klar, sieht der Trend momentan so aus. Aber durch die ganze Sandplatzsaison, die ich nicht spiele, wird sich natürlich einiges verändern. Denn wenn du nicht spielst, dann gewinnt sofort jemand anderes. Dann macht es wumms, wumms, wumms – und dann sind wir alle wieder gleich stark. Ich muss riesige Stricke zerreißen, um die größten Turnier zu gewinnen. Ob es die Weltmeisterschaft am Ende vom Jahr ist oder Wimbledon oder US Open oder andere große 1000er-Turniere auf der Tour. Es braucht sicher noch einmal solche Siege. Denn nur mit Halbfinals und damit irgendwo 360 Punkte abzuholen in Montreal oder sonstwo, das bringt dich nicht auf Position eins der Weltrangliste. Du musst Turniere gewinnen.

Sind Sie noch heiß genau darauf?

Ja, logisch bin ich da heiß drauf. Das Ziel sind aber Turniersiege, das Ranking kommt von alleine. Deshalb ist es auch gar kein Ziel zu sagen, jetzt will ich die Drei werden, die Zwei werden, die Eins werden. Das kommt von alleine, wenn ich gut spiele bei den größten Turnieren. Es ist wirklich so einfach, weil die Punkte stecken nun einmal im Finale und besonders im Sieg. Das ist bei einem 250er-Turnier wie dem Mercedes-Cup nicht anders. Ob du im Viertelfinale verlierst oder das Turnier gewinnst, das ist so ein riesen Punkteunterschied, das ist eigentlich zu extrem, aber das ist mal ein ganz anderes Thema.

„Stuttgart genießt dieses Jahr noch mehr Priorität bei mir“

Der Mercedes-Cup ist ein gutes Stichwort. Was für Eindrücke sind von Stuttgart und dem Turnier von Ihrer Teilnahme 2016 hängengeblieben?

Ich habe es sehr genossen im vergangenen Jahr. Es ist ein wunderschönes kleines Turnier mit tollem Ambiente in einem Tennisclub. Von denen haben wir leider nicht mehr so viele auf der Welt. Häufig sind es Stadien, wo sonst nichts läuft im Jahr. Ich fand es wirklich sehr spannend und die Atmosphäre sehr angenehm. Generell in Deutschland sind die Turniere immer sehr, sehr gut organisiert, ganz ehrlich. Es wäre schön gewesen, wenn es ein bisschen weniger geregnet hätte. Aber trotz allem hat mir die Stadt gut gefallen. Ich hätte natürlich gerne dort gewonnen. Vergangenes Jahr war aber alles kompliziert mit meinem Knie. Ich hoffe und denke, dass ich diesmal fitter und besser bin. In der Vorbereitung ist die Priorität bei mir dieses Jahr mehr auf den Rasen gelegt, deshalb genießt Stuttgart noch mehr Priorität bei mir.

In der Liste Ihrer Turniersiege stehen unzählige Städte von Basel bis Bangkok – kommt 2017 Stuttgart hinzu, wo Sie 2016 im Halbfinale trotz Matchball knapp am Österreicher Dominik Thiem gescheitert sind?

Vielleicht habe ich in dem Spiel schon zu fest an das Siegerauto gedacht (lacht). Aber Spaß beiseite: Es ist sicher so, dass auf Rasen meine Erwartungen ziemlich groß sind. Da es das erste Turnier auf Rasen ist, ist es immer schwierig, sofort reinzukommen. Ich habe ja auch ein Freilos, mein erster Gegner hat also einen Vorteil, weil er schon ein Match gespielt hat. Ich habe noch nie in Stuttgart gewinnen können, darum muss das Ziel sein, den Titel dort anzupeilen.

Ihr ganz großes Ziel in diesem Jahr ist der achte Sieg in Wimbledon, mit dem Sie dann der alleinige Rekordgewinner wären. Ist es ein Gedanke in diesem Fall die Karriere zu beenden?

Daran habe ich noch nicht gedacht. Das müsste dann der Moment entscheiden. Ich habe über Wimbledon hinaus lange geplant. Ich glaube nicht, dass Siege in dem Stil etwas verändern. Es ist eher der Kopf und der Körper, der mir sagen wird, ob Schluss ist, und nicht ein Turniersieg oder eine Niederlage. Ich muss nicht auch noch so kitschig aufhören, wie das andere gemacht haben.

Tommy Haas ist ja ein guter Freund von Ihnen. Er sieht dem Karriereende entgegen – was wünschen Sie ihm für seine Abschiedstour in diesem Jahr?

Ein Finale in Stuttgart (lacht). Das wäre doch etwas, am liebsten gegen mich.