Nach einem von Terror und Amoklauf bewegten 2016 geht Münchens Polizei „gelassen, aber definitiv nicht blauäugig“ in den Jahreswechsel.

München - Ausgerechnet mit einer neuen Herausforderung, mit der „Herausforderung Silvester“, geht für die Münchner Polizei ein Jahr zu Ende, das ihr stellvertretender Pressesprecher, Thomas Baumann, ein „komisches Jahr“ nennt: „Es hat uns vor Augen geführt, wie schnell man aus einer allgemeinen gesellschaftlichen Wohlfühlsituation in Lagen kommen kann, in denen sich keiner mehr zurechtfindet. Wir haben unsere Naivität verloren.“

 

Das war in München nicht nur am 22. Juli so, als der jugendliche Amokläufer David S. eine komplette Millionenstadt in Todesangst versetzte und sie buchstäblich lahm legte. Dieses „komische Jahr“ hatte schon am Silvesterabend 2015 begonnen, als eine akute Terrorwarnung durch das Bundeskriminalamt die Münchner Behörden zwang, den Hauptbahnhof und den großen Verteilerbahnhof Pasing zu evakuieren. „Die Warnung, eine von vielen in jenem Dezember, kam erst gegen 20.30 Uhr“, sagt Baumann: „Zeit, ihr mit Ermittlungen auf den Grund zu gehen, hatten wir an diesem Abend keine mehr, und gegen 22 Uhr ging’g nicht mehr anders; da mussten wir im Interesse der allgemeinen Sicherheit die Bahnhöfe eben räumen.“ Die Bilder von den schwer bewaffneten Polizisten der Sondereinheiten, die zum Jahreswechsel durch gespenstisch menschleere Hallen patrouillierten, haben sich den Münchnern eingeprägt – auch wenn sich alles im Nachhinein als Fehlalarm herausgestellt hat: „Unsere Ermittlungen haben ins Nichts geführt“, sagt Baumann.

Gefeiert wird trotzdem

Die „abstrakte Terrorgefahr“ bestehe zwar fort, konkrete Warnungen für München aber habe das BKA für München dieses Jahr nicht ausgesprochen, sagt der Polizeisprecher. Was das im Zweifelsfall bedeutet, weiß er allerdings auch nicht: „Dass islamistische Terroristen vorab propagieren, wo sie zuschlagen wollen, glaube ich nicht. So also rüstet sich die Polizei in Bayerns Landeshauptstadt, „sensibilisiert und nicht blauäugig“, mit etwa hundert Beamten mehr als silvesterüblich für den Jahreswechsel. Absagen von Feierlichkeiten gibt es in München auch nach dem Berliner Terroranschlag nicht – da sind andere Städte im Freistaat schon rigoroser: Regensburg und Passau beispielsweise haben beliebte Brücken für Partys gesperrt.

Welche Lehren aus diesem „komischen Jahr“ zu ziehen sind, damit beschäftigen sich bei den Münchner Sicherheitsbehörden noch immer 15 Arbeitsgruppen. „Eine derart intensive Nachbereitung habe ich in meinen 27 Jahren bei der Polizei noch nicht erlebt“, sagt Baumann. Da geht es unter anderem um die Erkennbarkeit von Polizeibeamten bei Noteinsätzen: Am Abend des Amoklaufs wurde die Stadt flächendeckend dadurch verunsichert, dass Schießereien an 70 Stellen gemeldet wurden – dabei gab es nur einen Schützen und nur einen Tatort. Schuld an der Vervielfachung war laut Baumann nicht nur die Angst der Bürger, sondern auch die Tatsache, dass Bewaffnete tatsächlich an vielen Orten gesichtet wurden: Es waren Polizisten in Zivil, die keiner als solche erkannte. Das soll sich so nicht wiederholen.

Viel Lob für die Twitter-Polizei

Als Modell bewährt und in etlichen Auszeichnungen niedergeschlagen hat sich die Präsenz der Münchner Polizei in den „Sozialen Netzwerken“. Dort ist es – so gibt Baumann zu – am Amok-Abend zwar nicht gelungen, all die 65.000 eingehenden und über Twitter etc. verbreiteten Hinweise zu sichten („In jedem hätte ja was Wichtiges stehen können, und wir sind im Medien-Team nur fünf Leute“). Doch über alle „fake news“ hinweg konnte sich letztlich die Polizei als Informationsquelle durchsetzen: „Vielleicht hat dieser Abend die Menschen dazu gebracht zu fragen, wo sie in einer solchen Unübersichtlichkeit vernünftige Informationen bekommen.“ Mittlerweile zählt der Twitter-Account der Münchner Polizei beachtliche 270.000 Follower.

Noch keine abschließende Meinung hat man sich in München auch über das „Konzept sichere Örtlichkeiten“ gebildet. Am Abend des Amoklaufs öffneten zahlreiche Münchner ihre Privatwohnungen (oder ihr Hotel oder eine Theaterlobby) für Menschen, die von den Straßen flüchten wollten, aber wegen des Komplettstillstands der öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr nach Hause kamen. Baumann spricht von Überlegungen, in ähnlichen Situationen beispielsweise den Dom als eine von der Polizei garantierte „sichere Örtlichkeit“ zugänglich zu machen: „Aber wenn wir da nicht jeden am Eingang durchsuchen, schlüpft auch der Attentäter rein und richtet drinnen sein Blutbad an. Die Frage ist: haben wir als Polizei genügend Leute dafür?“

Immerhin ist in selbst in diesem „komischen Jahr“ das Oktoberfest reibungslos über die Bühne gegangen – mit einem beträchtlichen, aus Angst gespeisten Besucherrückgang. Und immerhin blieb München von einer Welle sexueller Übergriffe nach Kölner Muster verschont. „Vorbereitet und mit einer gewissen Gelassenheit“, sagt Polizeisprecher Baumann, gehe man nun in die Silvesternacht: „Aber definitiv nicht blauäugig“, wiederholt er.