Zwei Schülerinnen und eine Lehrerin sterben höchstwahrscheinlich bei dem Anschlag. Die Hauptstadt trauert am Pariser Platz.

Berlin - Noch in der Nacht zu Freitag, wenige Stunden nachdem der 31-jährige Attentäter seinen Lastwagen in die feiernden Menschenmenge gelenkt hat, schwappt der Horror von Nizza direkt nach Berlin: Zwei Schülerinnen und eine Lehrerin wurden höchstwahrscheinlich bei der Terrorfahrt getötet. Die Informationslage dazu verdichtet sich den Tag über immer mehr, eine letzte Klärung steht aber bis zum Abend aus: Zwar gelten die drei beim Auswärtigen Amt noch als vermisst, aber das zuständige Bezirksamt bestätigt am Nachmittag die Todesfälle und damit Berichte mehrerer Medien. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller erklärt: „Wir müssen davon ausgehen, dass Berliner unter den Opfern sind.“

 

Die Schülerinnen besuchten die Abitursklasse der Paula-Fürst-Schule in Charlottenburg. Der Trip sollte ihre Abschlussfahrt sein, der Start nach 13 Schuljahren in ein neues Leben – wo könnte man damit besser anfangen als an einem blau-weiß-roten Sommerabend an der Côte d`Azur?

Aber so ist es nicht gekommen. Wie das Entsetzen langsam Dutzende Familien in der Hauptstadt ergreift, schildert am Morgen die Mutter einer Schülerin im rbb-inforadio: Um halb zwei in der Nacht klingelt es an ihrer Haustür Sturm. Draußen steht eine Freundin der Tochter mit einem Smartphone und schlechten Nachrichten vom Tod der Schülerinnen und der Lehrerin. Verzweifelt versucht die Mutter daraufhin, ihr Kind zu erreichen – das Netz in Nizza ist zusammengebrochen. Irgendwann klappt es aber, die Tochter meldet sich per Kurznachricht aus dem Hotel. In Sicherheit. Aber auch um jede Sicherheit für ihr künftiges Leben beraubt.

Zehn Berliner Klassen waren in Nizza

28 Schüler der Klasse hätten sich mit ihren Lehrern seit Montag auf der Kursfahrt befunden, sagt später eine Schulrätin. Es war der erste Abitursjahrgang der noch jungen Reformschule. Am Morgen versucht die Bildungsverwaltung, einen Überblick über die Lage zu bekommen – wie sich herausstellt, sind kurz vor Ferienbeginn insgesamt zehn Schülergruppen aus der Hauptstadt in Nizza. Die Schulen erstatten Vermisstenanzeigen in Frankreich, es beginnt ein mühsames, nervenaufreibendes Sammeln von Informationen.

Manche, so wie die Wilma-Rudolph-Oberschule geben schnell auf ihrer Homepage Entwarnung: „Unser Leistungskurs Deutsch ist in Sicherheit“, heißt es da. Als sich am Mittwoch die ersten Journalisten vor der Paula-Fürst-Schule einfinden, riegelt die Polizei das Gebäude ab. Am Nachmittag meldet sich die Bildungssenatorin zu Wort: „Wir sind bestürzt und in großer Sorge“, sagt Sandra Scheeres. „Mit dem schrecklichen Attentat von Nizza reicht der Terrorismus direkt hinein in die Schulklassen und die Familien unserer Stadt.“ Man könne höchstens hoffen, dass sich für die Vermissten nicht das Schlimmste bewahrheite. In der Paula-Fürst-Schule wird am Mittag ein eigener Trauerraum eingerichtet. Auch an den anderen Schulen in Berlin betreuen nun Psychologen die Kinder und Lehrer.

Blumen in den Farben der Tricolore

Unterdessen zieht es Tausende Berliner und Touristen dorthin, wo man inzwischen in einer traurigen Üblichkeit sein Mitgefühl zeigt: vor der französischen Botschaft am Pariser Platz legen Menschen Blumen nieder, viele Sträuße leuchten in Blau-Weiß-Rot. Die 21-jährige französische Studentin Lea Bourges, die aus der Gegend von Paris stammt und gerade ein Praktikum in Karlsruhe macht, steht auf dem Platz. Sie sei froh, im Moment nicht in Frankreich zu sein, sagt sie. „Die Atmosphäre dort ist sehr angespannt. In Deutschland fühle ich mich sicherer.“ Um im Moment in Frankreich zu leben, müsse man stark sein, „denn man darf keine Angst haben. Aber das kostet Kraft“. Ihr Kommilitone Nicolas Gershater findet, dass sich seine Heimat durch den Terror verändert hat. „Die Unbeschwertheit ist seit den vielen Terroranschlägen weg. Die Menschen in Frankreich sind ständig auf der Hut.“

Hier auf dem Pariser Platz wollten eigentlich Franzosen und Deutsche am Wochenende wie jedes Jahr ein Fest zum französischen Nationalfeiertag feiern. Auf der Bühne finden sich am Mittag Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der französische Botschafter Philippe Etienne zu einem Gedenken zusammen. Der Terror ist bis in die Mitte Berlins gekommen, auch wenn die Toten nicht hier auf der Straße liegen. „Hass darf nicht unsere Antwort auf Hass sein“, sagt Michael Müller, der in den gut eineinhalb Jahren seiner Amtszeit in Trauergeste wohl ein Dutzend Mal hier stand. „Wir werden weiter die Freiheit leben und lieben – gerade im Gedenken an die Opfer dieses Tages.“ Philippe Etiennes Stimme wankt etwas. „Wir werden diese Schlacht gewinnen“, sagt der Franzose. „Wir zeigen Entschlossenheit, dieser Erpressung durch Terrorismus nicht nachzugeben.“

Zum Feiern ist niemandem mehr. Das Fest ist für Freitag abgesagt. Am Samstag will man hier im Gedenken der Opfer wieder zusammenkommen.

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