Die Terrormiliz Islamischer Staat wirbt auch in den USA Dschihadisten an, darunter viele mit somalischen Wurzeln aus Minneapolis. Die US-Behörden versuchen, junge Männer auf Facebook über den Terror aufzuklären.

Minneapolis - Seine Tochter nörgelt, sie will Geld für Eis, und Abdirizak Bihi lässt sich erweichen. Er gibt dem Mädchen einen Dollar und schickt es weg. Dann sagt der hagere Mann, dessen Augen hinter einer getönten Brille versteckt sind: „Ich rede nicht über Zahlen, sonst sagen die Leute nur wieder, dass ich maßlos übertreibe. Aber ich sage Ihnen: Die Zahlen sind viel höher, als wir uns vormachen.“ Bihi, der bald seinen 50. Geburtstag feiern wird, macht jetzt eine Handbewegung, die vom Basketball-Feld in dem kleinen Park bis hinüber zu den hässlichen Hochhäusern von Little Somalia reicht, ein Viertel von Minneapolis, in dem Tausende von Somaliern leben.  Es ist, als wolle er sagen: Das Problem ist mindestens so groß, wahrscheinlich aber viel größer.

 
Die Polizei versucht, Kontakt mt der somalischen Gemeinde zu finden. Foto: The Star Tribune

Das Problem sind jene jungen Männer und Frauen aus der somalischen Gemeinde von Minneapolis, die die Stadt im Norden der USA verlassen und sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben. Wie viele es sind, weiß niemand. Die US-Behörden glauben, dass von den mehr als 100 US-Bürgern, die in den Nahen Osten in den Kampf gezogen sind, etwa 15 von hier stammen.

Gemessen an den Zahlen der Dschihadisten aus Europa ist das wenig. Für US-Präsident Barack Obama aber schon sehr viel. Er hat der Terrormiliz den Krieg erklärt. An diesem Mittwoch will er dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution vorlegen, die den UN-Mitgliedstaaten auferlegt, die Aus- und Durchreise von IS-Kämpfern zu verhindern. Vielleicht wird sogar Russland zustimmen.

Bihis Ängste wird das nicht beseitigen. Er steht in dem kleinen Park neben den hässlichen Hochhäusern und sagt, die Extremisten würden sich doch von einem UN-Beschluss nicht davon abhalten lassen, Rekruten zu suchen. Minneapolis und seine weit in den Ebenen Minnesotas verstreuten Vororte scheinen ideal zu sein für Anwerbungsversuche. In der Region lebt mehr als Drittel der rund 100 000 Somalier, die nach Beginn des Bürgerkriegs in ihrer Heimat Mitte der 90er Jahre in den USA Zuflucht gefunden haben. Minneapolis, heißt es, beherberge die größte somalische Exilgemeinde. Am Oberlauf des Mississippi ist über die Jahre eine Art Ghetto entstanden – ein Ort, in dem Integration nicht existiert und die Bindekräfte der somalischen Gesellschaft noch wirken.

In den Kaffeehäusern wird überwiegend Somalisch gesprochen. Die Restaurants servieren gebratenes Ziegenfleisch mit Spaghetti, was an die italienische Kolonialherrschaft über Somalia erinnern soll. „Wir haben hier die Auswahl unter 20 Satellitenkanälen, die Nachrichten aus der Heimat senden“, sagt der 44 Jahre alte Ibrahim Dirri, den alle nur „Galayah“ (Bleichgesicht) nennen, weil seine Haut für ostafrikanische Verhältnisse sehr hell ist.

Er steht an diesem Nachmittag vor dem Starbucks an der Ecke Riverside Avenue/Highway 94 und macht, was er jeden Tag macht. Er politisiert mit Landsleuten. Mehrere Dutzend Männer versammeln sich regelmäßig vor dem Kaffeegeschäft und reden durcheinander. „Das somalische Problem“, sagt Dirri, „ist ein Stammesproblem.“ In Somalia herrscht seit Langem Bürgerkrieg, weil sich die unterschiedlichen Clans nicht vertragen. „Wir lösen hier unsere Meinungsverschiedenheiten aber auf andere Weise als zu Hause. Wir reden, wir streiten.“ In Somalia herrscht Krieg, in Minneapolis nur ein Krieg der Worte.

Neuerdings müssen die Männer vom Starbucks in Minneapolis nicht mehr nur über die alte Heimat reden, sondern auch über die Terroristen des IS und weshalb sich junge Leute somalischer Herkunft, die ihr ganzes Leben in Minneapolis zugebracht haben, den Terroristen anschließen. Besser gesagt: die Männer vom Starbucks antworten dann, wenn ihnen Fragen gestellt werden. Es ist ihnen unangenehm. Ibrahim Dirri nippt an seinem Pappbecher mit Kaffee und sagt: „Radikale gibt es doch überall. Es ist doch nicht so, als wäre das hier ein Nest von Extremisten.“ Maximal ein Prozent der Leute, sagt Dirri, fühlten sich von den Radikalen angezogen.

Propagandabilder des IS ziehen junge Männer an. Foto: Militant Website

Ein Extremistennest würde selbst Abdirizak Bihi seine Nachbarschaft nicht nennen. Aber er hält seinen Landsleuten vor, den Kopf in den Sand zu stecken. Der hagere Mann nennt das Realitätsverweigerung. Dabei gebe es doch genügend Beispiele aus der Vergangenheit, die belegten, dass die Terrorrekrutierer erfolgreich seien. Sein eigener Neffe sei ihnen zum Opfer gefallen.

Es war im Jahr 2008, als sich der 17 Jahre alte Teenager entschloss, ein Kämpfer der radikalislamischen Al-Schabab-Miliz in Somalia zu werden. Im Jahr darauf wurde der junge Mann getötet. Damals reisten zwei Dutzend Somalier aus Minnesota ans Horn von Afrika, einige von ihnen wurden zu Selbstmordattentätern.

Kaffeehaus-Krieger von Minneapolis

Wer mit den Kaffeehaus-Kriegern von Minneapolis über diese Geschichte spricht, hört ein bisschen Verständnis für die jungen Leute von damals heraus. Damals hatte Äthiopien in den somalischen Bürgerkrieg eingegriffen, damals „haben es manche als nationale Pflicht empfunden, in den Kampf zu ziehen“, sagt Hashi Shafi, der als Chef der „Somali Action Alliance“ Sozialarbeit auf den Straßen von Litte Somalia betreibt.

Er habe viele der jungen Krieger von damals gekannt. Er könne sich aber nicht erklären, warum ausgerechnet die Milizen des sogenannten Islamischen Staates so eine Anziehungskraft auf die Jungen ausübten. Vielleicht sei es das Internet. „Ich habe Videos gesehen, in denen direkt unsere jungen Leute angesprochen wurden“, sagt Shafi: „Manche lassen sich von so etwas beeindrucken. Vielleicht fühlen sie sich wie im Videospiel und wissen gar nicht, worauf sie sich in Wirklichkeit einlassen.“ Das glaubt auch Abdirizak Bihi, dessen Neffe getötet würde.

Der Tod seines Verwandten hat Bihis Leben umgekrempelt. Aus dem Übersetzer wurde ein Aktivist, der ein Nichteinsteiger-Programm für Jugendliche in Little Somalia betreibt. Bihi organisiert Fußball-Spiele, Basketball-Turniere, betreut Familien, deren Kinder in den Dschihad gezogen sind. Er redet und redet und redet.

Er wolle den jungen Leuten beibringen, dass das Leben in Minnesota besser sei als der Tod im Nahen Osten, sagt Bihi. Genau könne er es natürlich nicht sagen, aber er habe wahrscheinlich schon Hunderte davon abgebracht, sich den Terroristen anzuschließen. Geld bekommt er dafür nicht, nur Spenden. Seine Frau sage ihm andauernd, er solle sich anständige Arbeit suchen, sagt Bihi mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Wie könnte er? Er ist ein gefragter Mann in der somalischen Gemeinde, die Mailbox seines Handys ist voll. Bihi arbeitet im Park neben den Hochhäusern oder im Starbucks an der Riverside Avenue.

Abdirahman Muhumed wollte Bihi ganz offensichtlich nicht finden. Der 29 Jahre alte Mann aus Bihis Nachbarschaft, der neun Kinder von mehreren Frauen hatte und keine Arbeit, hat nicht einmal versucht, ins Nichteinsteiger-Programm Bihis zu kommen.  Muhumed gilt als der zweite US-Staatsbürger, der für den IS in den Terrorkrieg zog und in Syrien ums Leben gekommen sein soll. Der erste war der in Minneapolis aufgewachsene Afroamerikaner Douglas McAuthur McCain, das haben die US-Behörden bestätigt. Der dritte könnte Abdi Mohamud Nur sein. Im Internet kursieren Fotos, die angeblich den 20 Jahre alten Mann aus Minneapolis zeigen, wie er einen Koran in Händen hält, um den Bauch so etwas wie ein Sprengstoffgürtel.

McCain war der erste amerikanische IS-Kämpfer. Foto: Hennepin County Sheriff's Office

Beweise sind das nicht, aber für Bihi sind es Indizien, dass er mit seiner Theorie von den aggressiven Anwerbeversuchen der IS-Leute mitten in der somalischen Gemeinde von Minneapolis recht hat. „Sie gaukeln unseren Jugendlichen etwas vor. Sogar meine Tochter haben sie schon angesprochen. Sie wollen Vaterfiguren sein, denen die jungen Leute dann Vertrauen schenken.“ Bihi redet sich in Rage und deutet mit einer Handbewegung auf den Basketball-Korb, der hinter Bäumen in dem kleinen Park neben den Hochhäusern an einem Eisenpfosten hängt: „Und dann schicken die Dummköpfe Fotos von sich über das Internet zurück, wie sie im Irak an irgendwelchen großen Kanonen stehen. Mann, die sollten lieber hier beim Basketball den Chef markieren.“

Bihi ist ein stolzer Somalier, aber er ist auch stolz, Amerikaner zu sein. Die Mehrheitsgesellschaft aber verstehe das offenbar nicht. Immer noch gebe es zu wenige Somalier bei der Polizei in Minneapolis, und die Behörden verschlössen einfach die Augen vor dem Problem: „Ich sage, das Geld, das ein Drohneneinsatz in Somalia kostet, würde wahrscheinlich reichen, um mein Programm lange Zeit zu finanzieren.“