Die Terrormilizen des IS sind in Syrien und Irak unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Sie haben ganze Landstriche erobert und die westliche Allianz ist ratlos: Wer stoppt sie?

Kairo - Im syrischen Kobane und im irakischen Tikrit hat die Terrormiliz schwere Niederlagen erlitten, doch mit einem Schlag ist sie wieder in der Offensive. In Ramadi (Irak) und Palmyra (Syrien) verzeichnen die Dschihadisten spektakuläre Siege, obwohl sie zwei Armeen und eine Luftstreitmacht unter US-Führung zum Gegner hat. Wieso ist der IS nicht zu stoppen? Fragen und Antworten.

 

In Syrien beherrschen die IS-Kämpfer nach der Eroberung von Palmyra jetzt 50 Prozent des Staatsterritoriums. Sie haben die meisten Öl- und Gasfelder in der Hand. Den letzten noch vom Regime kontrollierten Grenzübergang zum Irak an der Fernstraße Damaskus–Bagdad eroberten sie am Donnerstag, so dass die Grenze zwischen beiden Staaten faktisch nicht mehr existiert. Bisher gab es nur selten direkte Konfrontationen zwischen der Armee von Baschar al-Assad und den Dschihadisten. Palmyra ist die erste Stadt, die der IS direkt der Kontrolle des Regimes entreißt. Eine Woche nach Beginn des Angriffs nahmen die syrischen Truppen Reißaus. Assads Armee ist zunehmend demoralisiert. Sie ist durch das islamistische Bündnis unter Führung der Al-Nusra-Front, hinter der die Türkei, Saudi-Arabien und Katar stehen, im Norden und Süden des Landes unter Druck.

70 000 Menschen wohnten bisher in der Stadt, die sich in den letzten vier Jahren fest in der Hand des Assad-Regimes befand. Kurz nach dem Einmarsch verhängten die IS-Krieger eine Ausgangssperre und begannen die Viertel mit Namenslisten nach Assad-Funktionären, Soldaten und Polizisten zu durchkämmen. Im Internet kursieren grausame Fotos von jungen Männern, die im Zentrum von Palmyra enthauptet wurden. Gleichzeitig übernahmen die Eroberer die zentrale Bäckerei und begannen, an die Bevölkerung Brot zu verteilen. Der einmaligen antiken Ruinen-Metropole und den römischen Nekropolen droht die Zerstörung. Kleinere Fundstücke werden die Milizionäre schonen, um sie auf dem illegalen Antiquitätenmarkt zu Geld zu machen.

Der IS-Vormarsch ist ein herber Rückschlag

Seit einer Woche hat der Islamische Staat auch die westirakische Provinzhauptstadt Ramadi in den Händen – für die Zentralregierung in Bagdad das größte militärische Debakel nach dem Verlust von Mossul 2014. Wieder gleichen sich die Bilder, die ganze Brigaden auf ihrem kopflosen Rückzug zeigen. Nach der Einnahme von Ramadi kontrolliert der IS nun praktisch die gesamte westirakische Provinz Anbar, von der aus er nicht nur Jordanien, sondern auch die Hauptstadt Bagdad angreifen kann. Die irakische Armee ist bis auf einige Eliteeinheiten desolat. Nach Meinung von US-Experten sind nur 50 000 Mann wirklich einsatzfähig. Der Rest der 280 000 Soldaten existiere nur auf dem Papier.

Für die Strategie der USA ist der IS-Vormarsch ein herber Rückschlag. Die bisher 3500 Lufteinsätze, an denen sich saudische, jordanische und emiratische Kampfjets beteiligten, haben die Dschihadisten nicht entscheidend geschwächt. Nur bei den Schlachten um Kobane und Tikrit waren die Luftangriffe mitentscheidend. In Ramadi und Palmyra dagegen blieb die alliierte Streitmacht weitgehend tatenlos. So zog der IS in Anbar mit 100 Geländewagen eine Siegesparade ab, ohne dass Kampfjets am Himmel auftauchten. Palmyra konnten die Milizionäre angreifen, nachdem sie zuvor unbehelligt eine Fahrzeugkolonne Hunderte Kilometer durch die offene Wüste an die Oasenstadt herangeführt hatten.

Saudi-Arabien kommt durch die Angriffe unter inneren Druck: Auf eine schiitische Moschee in Kudeih im Osten des Landes, wo mehrheitlich Schiiten leben, wurde am Donnerstag ein Selbstmordattentat verübt. Die Behörden sprachen von 19 Toten und 100 Verletzten. Der IS hat im sunnitisch dominierten Saudi-Arabien viele Sympathisanten.

Die westlichen Nationen sind uneins, wie sie auf die dramatische Entwicklung reagieren sollen. US-Präsident Barack Obama spielte die Gefahr herunter, sprach von einem „taktischen Rückschlag“ und bestritt, dass alliierte Kriegsbündnis sei dabei, gegen den IS zu verlieren. Erneut schloss Obama ausdrücklich eigene Bodentruppen aus. Dagegen forderte Frankreichs Präsident François Hollande, die Welt müsse einschreiten und das antike Weltkulturerbe in Palmyra retten. Wie genau das geschehen soll, ließ Hollande offen.