Der Suizid eines mutmaßlichen Selbstmordattentäters wirft Fragen auf. Die sächsischen Sicherheitskräfte blamieren sich im Fall des syrischen Terrorverdächtigen Al-Bakr. Das wächst sich aus zur Staatsaffäre, kommentiert StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Vorab wäre festzuhalten: Das Leben des mutmaßlichen Terroristen Dschaber al-Bakr hätte schlimmer enden können – mit einem Selbstmordattentat statt durch Suizid in der Gefängniszelle. Das mag zynisch klingen. Doch die potenziellen Opfer des syrischen Islamisten – Bahnreisende, Flugpassagiere oder schlichtweg Passanten – werden ein solches Abwägen kaum als herzlos empfinden.

 

Ungeachtet dessen ist der Tod des Bombenbastlers ein Skandal. Dieser Mittwochabend ist für die sächsischen Sicherheitsbehörden so etwas wie der Schwarze Donnerstag für die Polizei in Stuttgart: eine Blamage, die sich zur Staatsaffäre auswachsen könnte – mit noch fataleren Folgen. Immerhin ist hier ein Mensch ums Leben gekommen. Weitere Menschenleben könnten bedroht sein, da der Generalbundesanwalt es ohne den Hauptverdächtigen ungleich schwerer haben wird, das Terrorkomplott aufzuklären.

Unfähigkeitsbescheinigung für Polizei und Justiz

Der Zwischenfall in Leipzig ist das vorläufige Ende einer unfassbaren Pannenserie. Es ist wohlfeil, bei solchen Anlässen gleich von Staatsversagen zu reden. Doch es fällt schwer, an dumme Zufälle zu glauben. Schließlich ist dies nicht das erste Mal, dass Sachsens Ordnungshüter in trübem Licht erscheinen. Das gilt für die Ignoranz des Gefängnispersonals bis hinauf zu einer Ministerriege, die auf sicherheitsrelevanten Plätzen ziemlich dürftig besetzt ist.

Das Protokoll des Falles Al-Bakr liest sich wie eine Unfähigkeitsbescheinigung für Polizei und Justiz des Freistaats. Zunächst hatten sich die Einsatzkräfte bei der Observation des Terrorverdächtigen so auffällig benommen, dass selbst die Nachbarn bemerkten, wie ihr Haus beobachtet wurde. Dann konnte der IS-Sympathisant der Polizei zu Fuß entkommen, reiste anschließend stundenlang unbehelligt durchs Land. Drei Flüchtlinge schafften, was 700 Ermittlern versagt blieb: eine Festnahme.

Keine Sensibilität für heiklen Fall

Auch bei der Übergabe in die Obhut der Polizei hat diese sich eher tumb als kooperativ angestellt. Zuletzt ließen Justizvollzugsbeamte jegliche Sensibilität für diesen heiklen Fall vermissen. Sie hielten es weder für nötig, sofort einen Dolmetscher herbeizuschaffen, noch deuteten sie die Versuche, eine Lampe von der Decke und eine Steckdose aus der Wand zu reißen, als dringende Warnsignale für akute Suizidabsichten, obwohl schon eine Amtsrichterin bei der Haftprüfung auf diese hingewiesen hatte. So ließen sie den Mann ohne ausreichende Aufsicht. Grobe Fahrlässigkeit ist ein viel zu harmloser Ausdruck für dieses Verhalten. Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz und befreundete Geheimdienste ähnlich stümperhaft gearbeitet hätten, wäre der von Dschaber al-Bakr gehortete Sprengstoff vielleicht schon explodiert.

Sachsens Sicherheitskräfte hatten sich schon bei der Einheitsfeier in Dresden nicht mit Ruhm bekleckert. Die Toleranz für rechte Krakeeler überschritt jedes Maß. Der Einsatz war unprofessionell. Unverhohlene Sympathien von Uniformträgern für Pegida-Demonstranten waren oft genug aufgefallen. Kein Geringerer als der Stellvertreter des Ministerpräsidenten sieht „quantitative und qualitative Probleme“ bei der Polizei. Er spricht gar von einem Offenbarungseid, weil der Verdacht nicht auszuräumen ist, dass der Rechtsstaat in Sachsen gewisse Mängel aufweist.

Zurück zu Al-Bakr: Der Suizid des verhinderten Selbstmordattentäters gefährdet nicht nur die Ermittlungen. Er beschädigt auch den Ruf Sachsens und der CDU, die dort seit mehr als einem Vierteljahrhundert regiert und fast ausnahmslos die Justiz- und Innenminister gestellt hat. Dabei führt sich die CDU gerne so auf, als sei gerade sie Garantin der Sicherheit im Land. Die Mehrheit der Bürger, die nicht die Absicht hat, diese Partei zu wählen, muss das nicht bekümmern. Doch der Flurschaden, den christdemokratisch geführte Behörden angerichtet haben, der geht uns alle an.