In Terry Gilliams neuem Film spielt Christoph Waltz einen sehr unglücklichen Angestellten. Dieser Bildschirmarbeiter will nicht weiter mit Datenbündeln hantieren – er möchte sinnvoll leben. Aber wie?

Stuttgart - Was, das soll Arbeit sein?“, möchte man ausrufen, wenn man Qohen Leth (Christoph Waltz) bei der Verrichtung seines verhassten Jobs zuschaut. Der Mann sitzt mit einer Art Spielkonsolensteuerung in der Hand vor dem Rechner und lenkt kleine Datenbündel, als sei er in eine Flugsimulation vertieft. Aber Qohen wartet darauf, dass ihn ein höherer Ruf ereilt, und sein Job ist eine Qual, die ihn den Ruf verpassen lassen könnte. Bei jedem Telefonanruf hofft Qohen, das Schicksal selbst am anderen Ende zu hören, das ihm den Weg zum erfüllten Dasein weist.

 

Der kleine Angestellte, der symbolischerweise in einer ehemaligen, sehr kalten Kirche wohnt, würde seine Bildschirmarbeit gerne von zu Hause aus verrichten, wo das Schicksal ihn erreichen kann. Seine Uhr liefe ab, klagt er, er sterbe langsam, er müsse raus aus dem Büro. Dieser Wunsch trägt ihm in Terry Gilliams neuem Film „The Zero Theorem“ eine betriebsärztliche Fitness-Untersuchung ein, gekoppelt mit einer Psycho-Evaluierung und einem Auftritt von Gutachtern, der uns völlig auf Qohens Seite zieht: egal, wie spleenig dieser Mann daherkommt, in dieser nahen Zukunft ist er der Normalste von allen.

Gestern und Morgen gemixt

Immer, wenn der mittlerweile 74-jährige Terry Gilliam von der Zukunft erzählt, hat er das Heute im Auge, und damit darüber auch ja keine Missverständnisse entstehen, mischt er Technologien, Moden und Designs des Gestern und Vorgestern in die Zukunft, in „Brazil“ (1985) etwa. Das ergibt aber etwas  ganz anderes als das handelsübliche Steampunk-Design. Statt der ornatreichen Härte einer Gründerzeit-Industriewelt erwartet uns bei Gilliam ein Panoptikum, das aus der Kostümkiste eines Jahrmarktsgauklerkarrens und aus den Himmel-und-Hölle-Gemälden alter Kirchenfenster gespeist scheint.

Auch „The Zero Theorem“ mischt das Analoge und Digitale, Mittelalterliche und Futuristische, Strenge und Alberne. Wenn Qohen Leth zwischen Zuhause und Arbeitsstelle wechseln muss, sehen wir kurz Fetzen jener Welt, in der er sich nicht gern aufhält: überall laufen Werbebanner, brüllen Bewegtplakate, jede Hauswand sieht aus wie die Bildschirmausgabe eines Schrottshoppingsenders am fernsten Ende der Fernbedienungsbelegung. Ja, das ist bereits unsere Welt, nur ein klein bisschen von Schminke befreit.

Im öffentlichen Raum krakeelen die „Sei gierig, hol dir mehr“-Botschaften, in den privateren Räumen regieren die Smartphones und Tablets. Qohen wird auf eine Party gezwungen, wo jeder für sich tanzt, zur Musik aus den eigenen Ohrstöpseln und vom eigenen Digitalgerät, und alle auf ihre Bildschirme starren, ohne Blicke füreinander.

Visionär mit Schwierigkeiten

Gilliam selber war immer ein Außenseiter und Querkopf, der einzige Amerikaner in der britischen Komikertruppe Monty Python, der Bursche, der animierte Collagen lieferte, während die anderen in Realsketchen vor der Kamera standen. Diese in seinem Fall ganz unprätentiöse Eigenwilligkeit hat er beibehalten, seine Filme waren stets eine Klasse für sich. Was aber auch heißen will, es waren Arbeiten, für die es keine gängigen Schnittmusterbögen gab, bei denen Gilliam nie auf Erprobtes zurückfallen konnte und in denen hohes Risiko immer auch zumindest das teilweise Scheitern mit sich brachte. Werke wie die „Abenteuer des Baron Münchhausen“ waren bei aller Brillanz diverser Einzelaspekte stets so etwas wie unvollkommene Verwirklichungsstufen einer ahnbaren, aber nicht ganz nacherlebbaren Vision.

Der Film seines Lebens wäre sicher jener über Don Quijote geworden, über den bis zum Wahnsinn in seinen Fantasien gefangenen Ritter, der für den Alltag gänzlich untauglich wird. Das Mammutprojekt ist Gilliam von Pleiten, Pech und Pannen beim Dreh durchkreuzt worden, die Produzenten nahmen irgendwann lieber das Versicherungsgeld als einen neuen, riskanten Anlauf. Davon erzählt der spannende Dokumentarfilm „Lost in La Mancha“.

Auch „The Zero Theorem“, in dem Qohen seine Heimarbeit bekommt und an der Beweisformel arbeiten soll, dass das ganze Universum sich zu null addiert, fügt sich nicht zu einem runden Film. Das liegt an Budgetbeschränkungen, aber auch an Gilliams Gefangensein in der eigenen Vision. Ihm fällt nicht mehr auf, dass er nur Splitter und Fetzen liefert, kein intaktes Ganzes, denn er hat eben dieses immer vor Augen. Dazu passt, dass Christoph Waltz wirkt, als parodiere er einen Film lang John Malkovich, ein Gag, der sich vor die Figur von Qohen schiebt. „The Zero Theorem“ zeigt geduldigen Altfans von Gilliam genau, wo der Meister Schwierigkeiten hat. Neue Fans wird Gilliam mit dem Film nicht gewinnen.

The Zero Theorem. Großbritannien, Rumänien, Frankreich 2013. Regie: Terry Gilliam. Mit Christoph Waltz, David Thewlis, Mélanie Thierry, Matt Damon, Tilda Swinton.107 Minuten. Ab 12 Jahren.